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ENSLAVED: Heimdal

Eine Zumutung von einem Album: ENSLAVED verzichten darauf, die Erfolgsformel von „Utgard“ zu kopieren und schicken mit „Heimdal“ einen sperrigen und unbequemen Nachfolger ins Rennen.

„Utgard“, die sagenumwobene Unterwelt, die ultimative Heldenreise für ENSLAVED, ließ das Publikum schweißnass zurück. Und weil ENSLAVED es weder sich selbst noch den Fans zu leicht machen wollen, ist „Heimdal“ keine zweite Reise in den mythologischen Abgrund. Einer der Asen, „Heimdal“ nämlich, steht konzeptuell im Mittelpunkt vom mittlerweile sechzehnten Album der Bergener und wer schon lange im Team ENSLAVED ist oder zumindest in einschlägigen Metal-Enzyklopädien herumsurft, hat vielleicht bemerkt, dass auf „Yggdrasil“, dem zweiten Demo der Band aus dem Jahre 1992, ein Stück namens „Heimdallr“ steht. Alle, die jetzt darauf hoffen, dass Ivar, Grutle und ihre Freunde wieder den urigen norwegischen Black Metal aufleben lassen, liegen natürlich grundfalsch.

Und auch die, die hoffen, dass es ähnlich catchy wie zu „Utgard“ weitergeht, haben Pech. Aber: Die kompromisslose Experimentierfreude der EP „Caravans To The Outer Worlds“ lassen die Norweger auch nicht raus. ENSLAVED verweigern sich erneut sämtlicher Erwartungen und lassen sich von ihrer Inspiration und Intuition treiben. „Heimdal“ ist ein verschrobenes und verkopftes Album, das sich weder so richtig verspielt und proggy, noch wirklich brachial zeigt. Es will nicht so richtig ins Ohr gehen und es verweigert sich der Entfaltung. Herrgottnochmal, ENSLAVED, was habt ihr euch dabei gedacht, mag man fast im ersten Moment denken. Fast. Denn „Heimdal“ ist gerade wegen dieser Eigenwilligkeit so faszinierend.

Proggy, heavy, catchy – und auch wieder nicht: Mit „Heimdal“ verweigern sich ENSLAVED spielerisch ihren Fans.

ENSLAVED begeben sich nicht auf neues Terrain, sie vermengen ihre Viking Metal oder meinetwegen auch Black Metal-Basis nur sperriger mit Prog Metal und Krautrock und flirten dabei mehr als einmal mit HAWKWIND. Es frustriert anfangs, dass keine so richtig großen Stücke in den fünfzig Minuten zu finden sind und dass sich die sieben Songs auch nicht nach und nach als ebensolche entpuppen. Irgendwie zwingt „Heimdal“, der riesenhafte Gott, der Wächter, die Rezipienten in die Knie. Und wenn man sich auf dieses Album einlässt, dann finden sich seine Qualitäten. Nicht, weil man es schönhört, nicht weil es sich zähmen lässt, viel mehr, weil die Hörerschaft sich gezähmt wird. Und doch, Songschreiber Ivar Bjørnson, der alte Trickster, versteckt die memorablen Momente auf „Heimdal“, indem er sie recht prominent platziert.

Schon „Behind The Mirror“ zeigt trotz starkem Hauptriff und einer recht melodischen Bridge eine Band, die sich verweigert im Midtempo dahineiert. Kein Bilderbuchstart für das Album, aber irgendwie hat der Song Charme. Man will ihn einfach mögen und seine cineastischen Lyrics: „A Thousand Years Of Fire And Ice“. Dass ENSLAVED im Anschluss mit „Congelia“ einen überraschend schnellen und brutalen Track mit eiskaltem Riffing platzieren, der trotz thrashigem Drumming nicht so richtig vom Fleck kommen will, ist der zweite Affront gegen die Hörer*innen mit ihren Erwartungen. Doch nach der Hälfte löst sich die Bremse und Grutles Knurren, die Riffs, die zahlreichen Gitarrenspuren und das Drumming bekommen einen Energieschub, der am Ende mit einem großen Finale inklusive Chor und Shredsolo wird. Ähnlich monoton ist „Kingdom“, das durch den Chorus gekonnt abgewürgt wird und sich immer wieder neu finden muss. Ein spannendes Stück, das auch ohne Frustrationen fasziniert.

Eine Zumutung im wahrsten Sinn des Wortes: ENSLAVED fordern mit „Heimdal“ sich und ihr Publikum heraus.

„Forest Dweller“ entspannt dank Midtempo-Drumming, eingängigen Riffs und einigen ruhigeren Momenten und ist dabei in seiner Unaufgeregtheit irgendwie aufregend und das, was am ehesten nach klassischen ENSLAVED klingt. Ruhig ist auch die erste Hälfte von „The Eternal Sea“ und lädt ein wenig zum Träumen ein, bis es am Ende gewaltig die Zähne zeigt – ganz klar eines der stärksten Stücke des Albums. „Caravans To The Outer Worlds“, das schon von der EP bekannt ist, lädt zum Navigieren durch fremde Sphären ein und zeigt die Norweger abermals als Meister ihres Fachs.

Besonders schön ist der erdige, warme Klang, der „Heimdal“ ummantelt. Daher stechen auch nicht alle Details sofort heraus – genaues Hinhören ist gefordert, will man alle Dimensionen von „Heimdal“ erkennen. Dennoch lässt sich sofort erkennen, dass das Gitarrenduo Ivar Bjørnson als Songwriter und Arve Isdal als Shredmeister so gut ergänzt, wie selten zuvor. Frontmann Grutle Kjellson hingegen übt sich fast schon in Zurückhaltung und drängt sich nur selten in den Vordergrund. Immerhin, die Cleansänger Håkon Vinje (Keyboards) und Iver Sandøy (Drums) stehen neben ihrer starken Instrumentalen Performance stimmlich ebenbürtig da – Herbrand Larsens Stimme darf aber weiterhin vermisst werden.

Vielleicht ist „Heimdal“ kein neuer Klassiker im ENSLAVED-Kosmos, doch es beweist die Relevanz der Band.

„Heimdal“ ist eine Zumutung – im direkten Sinne des Wortes. ENSLAVED glauben an sich selbst und ihre Hörer und das zelebrieren sie im abschließenden Titelsong ausgiebig, der die Essenz des Albums destilliert. Die unwahrscheinlich gut klingende Bariton-Gitarre erzeugt eine beachtliche Heaviness, daneben stehen Experimente, proggiges HAWKWIND-Material, eingängige Chöre und ein großes Finale. Und trotzdem klingt das Lied nicht so, als würden die Musiker ihre Muskeln spielen lassen. Das zeigt: ENSLAVED haben es nicht nötig, auf Taschenspielertricks zu setzen, sie zeigen ihr Niveau auf, ja, erwachsene Art.

ENSLAVED fordern sich selbst und die Zuhörer*innen mehr heraus als auf „Utgard“. Die Musiker gehen auf dem sechzehnten Album einen eher steinigen Weg, stolpern manches Mal, fangen sich aber immer wieder und zaubern ihren offenen Fans immer wieder aufs Neue ein Lächeln ins Gesicht, selbst wenn es zwischenzeitlich schmerzverzerrt war. Ob „Heimdal“ ein neuer Bandklassiker wird, ist unsicher, ein Konsenswerk wie „Utgard“ ist das fünfzigminütige Album außerdem nicht, doch eine Enttäuschung wie das konfuse „E“ ist es nicht geworden. Wie schön ist das eigentlich, dass es eine Band gibt, die nach sechzehn Alben in mehr als dreißig Jahren unberechenbar und spannend bleibt? Man muss sie einfach lieben, diese Bergener Urgesteine.

Wertung: 7 von 9 Riesenschwestern

VÖ: 3. März 2023

Spielzeit: 48:25

Line-Up:
Ivar Bjørnson – Guitars
Grutle Kjellson – Vocals, Bass
Arve “Ice Dale” Isdal – Guitar
Håkon Vinje – Keyboards, Clean Vocals
Iver Sandøy – Drums, Clean Vocals

ENSLAVED „Heimdal“ Tracklist:

1. Behind The Mirror
2. Congelia (Official Video bei Youtube)
3. Forest Dweller (Official Video bei Youtube)
4. Kingdom (Official Video bei Youtube)
5. The Eternal Sea
6. Caravans To The Outer Worlds
7. Heimdal

Mehr im Netz:

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