at-themovies-soundtrack-of-your-life-1-cover

AT THE MOVIES: The Soundtrack Of Your Life – Vol. I

Björn Strid, Sänger von SOILWORK und NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, und PRETTY-MAIDS-Gitarrist Chris Laney haben in Corona-Zeiten eine illustre Schar an Hardrock- und Metal-Musiker*innen um sich geschart, um Filmklassiker der 80er Jahre neu einzuspielen. Klingt nach einem interessanten Konzept: Scheitert aber an der teils mutlosen, geradezu biederen Umsetzung der Neuinterpretationen. Zu oft denkt man sich, leider: im Zweifel für das Original.

Leute, Ihr kennt das doch alle! Man hat schon zu viel getrunken, man trägt eine stylische Rocky-Balboa-Gedächtnis-Boxerhose, man steckt in Corona-Quarantäne und alles ist Scheiße. Was also tun? Einen Kasten Bier bestellt, die Karaoke-Maschine angeworfen: und lauthals in den eigenen vier Wänden Songs aus Zeiten geschmettert, als Rocky Balboa noch scheinbar übermächtige Gegner vermöbelte und Tom Cruise im Kampfflugzeug durch die Lüfte düste. Die Nachbarn klopfen, man trifft keinen Ton: aber man hat Spaß, so ganz für sich allein. Und fühlt sich zurückgeworfen in Zeiten, als die interessanten Filme in muffigen Videotheken noch hinter roten Vorhängen versteckt waren. Die Videothekarin (ein aussterbender Beruf!) fragte damals: „Sag mal, bist du denn auch schon volljährig?“ Und man antwortete als 13jähriger verlegen: „Ja klar! Warum fragen Sie?“ Um sich dann doch in der Porno-Abteilung wiederzufinden.

So ähnlich muss es auch Björn Strid ergangen sein, Sänger von SOILWORK und NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, als er sein neuestes Projekt AT THE MOVIES plante und umsetzte. Die Idee: Man sammle eine illustre Schar aus Hardrock- und Metal-Musikern um sich, um seine Lieblingssongs aus Filmen der 80er und 90er Jahre neu zu interpretieren und aufzunehmen. Ein sehr sympathischer Ansatz, zumal er schon ein gesundes Selbstbewusstsein in Sachen „Bad Taste“ beweist.

Im vorliegenden ersten Teil von „The Soundtrack Of Your Life“ haben wir es mit Kult-Songs aus den 80ern zu tun. Und „Kult-Song“ muss man an dieser Stelle groß schreiben. Songs, bei denen man nur ungern zugibt, dass man sie geil findet. Guilty Pleasure, eben Karaoke-Futter. Mein Gott, wer möchte solche heimlichen Fremdscham-Songs nicht neu interpretiert von Björn Strid hören? Mit seinem Retro-Projekt NIGHT FLIGHT ORCHESTRA hat er doch bewiesen, dass er den Sound der 80er Jahre kompetent, frisch und gekonnt in die heutige Zeit übertragen kann. Wenn es einer vermag, diese Nummern in die heutige Zeit zu übersetzen und auch dem Metal-Publikum schmackhaft zu machen: Dann doch wohl er?

Wo ist der Mehrwert von “The Soundtrack Of Your Life”?

Ich muss zunächst Entwarnung geben: Die Kult-Songs von damals werden Kult-Songs bleiben. Und das liegt ausgerechnet am Versagen von AT THE MOVIES. Sie übersetzen den 80s-Sound von damals in einen Sound, der nicht so weit weg ist von dem, was Björn Strid mit NIGHT FLIGHT ORCHESTRA abliefert. Und das ist eben ein 80s-Retro-Sound. Aber was beim Nachtorchester noch originell und auch selbstironisch klingt, führt bei vorliegendem Album zu einem seltsamen Aha-Effekt. Songs der 80er werden in einen Retro-Sound der 80er übersetzt? Hallo?

Das alles fühlt sich so an: Es gibt witzige Experimente, bei denen man ein Gedicht von Goethe mit „Google Translator“ zunächst in eine andere Sprache überträgt, zum Beispiel das „Heidenröslein“: und dann wieder zurückübersetzen lässt ins Deutsche, auch mit dem Translator. Die Ergebnisse sind fast immer lustig: aber machen wenig Sinn. Ich habe, um das zu verdeutlichen, mal das „Heidenröslein“ ins Samoanische übersetzen lassen und wieder zurück ins Deutsche: „Als ein Junge eine kleine Rose sah/, kleine Rosen im Wald,/ Sie war am Morgen sehr jung und schön/ Er lief, um genauer hinzuschauen, in den Wald/ Er betrachtete es mit großer Freude./ Kleine Rose, kleine Rose, kleine rote Rose, kleine Rosen im Gras“. Gras? Ja super, im zugedröhnten Zustand ist das alles besser zu ertragen. Erkennt Ihr das Problem? Tatsächlich nicht weit weg vom Original. Aber kackt gegenüber der Version von Goethe doch ein wenig ab.

So ergeht es ein bisschen auch AT THE MOVIES. Sie orientieren sich stark an den Originalen der 80er Jahre. Klar: Die Gitarren sind härter, die Produktion ist wuchtiger. Strid verfügt über eine tolle Stimme. Aber was im Zweifel verloren geht, ist der Charme der Original-Songs. Der Grund, weshalb man diese Songs doch irgendwie mochte: mögen sie auch noch so trashig sein. Ich sage das nur sehr ungern. Aber im Zweifel für die Originale.

AOR-Sound wird in AOR-Sound übersetzt

Zunächst die harten Fakten: Hier sind allesamt Könner am Werk. Und ich muss mich zunächst korrigieren, sorry. Nicht Björn Strid war Initiator dieses Projektes: sondern Chris Laney, Gitarrist und Produzent, der seit 2016 bei den PRETTY MAIDS am werkeln ist. Ja, tut mir leid: Strid überstrahlt mit seiner Stimme halt alles, was hier stattfindet. Er singt bei jedem Song. Der Verweis auf NIGHT FLIGHT ORCHESTRA ist naheliegend. Man steinige mich, aber: Diesen Übersetzungsfehler kann ich jetzt rückblickend nicht mehr korrigieren.

Übersetzungsfehler: Das passt im Zweifel auch zu vorliegendem Projekt, haha. Ich habe den Promo-Zettel der Plattenfirma („Atomic Fire“, das neue Label des Nuclear-Blast-Gründers Markus Staiger), einfach zu spät gelesen. Auch die anderen teilnehmenden Musiker sind keine Unbekannten im Geschäft: Pontus Egberg von KING DIAMOND und WOLF. Pontus Norgren von HAMMERFALL. Und Linnéa Vikström Egg, die schon auf Alben von THERION zu hören gewesen ist. Sie hat ein kraftvolles, ein amtliches Organ. Und es hätte alles so schön sein können.

Aber schon der erste Song „No Easy Way Out“, im Original von Robert Tepper, verdeutlicht das Problem. Dieser war Bestandteil des „Rocky IV“-Soundtracks von 1985. Jener Film, in dem Rocky den Russen Ivan Drago vermöbelt, nachdem dieser Rockys Freund und Trainer Apollo Creed umgebracht hat. Es war der platteste und klischeehafteste Film der Rocky-Reihe: guter Amerikaner gegen bösen Russen. Aber darum geht es hier nicht. Wer die Rocky-Filme kennt, der weiß, dass Sylvester Stallone ein gutes Händchen für Musik hatte. Kraftvoller AOR-Rock, der sich irgendwo zwischen Metal und Pop ansiedelte. Treibend, wuchtig: Musik für das Workout, für schweißtreibenden Sport. Man sieht Rocky trainieren: Die Songs pushen ihn. Und so ist auch „No Easy Way Out“ ein sehr amtliches Stück Hardrock, mit gutem Gesang und wuchtigem Schlagzeug. Und ja: auch mit sehr dominanten Keyboards. Aber selbst, wenn du sportlich eine Flasche bist, Arme wie Otto Waalkes hast: Mit diesem Song auf den Kopfhörern schaffst auch du 3.000 Liegestütze. Das ist feinster Hardrock, 80s-Style.

AT THE MOVIES haben dem nichts hinzuzufügen, wirklich gar nichts. Es adelt sie, dass sie sich diesen tollen Song als Coverversion ausgesucht haben. Die Gitarren sind ein wenig lauter und drückender, die Produktion ist moderner. Aber gibt es einen Mehrwert? Nope. Sie übersetzen einen 80s-Hardrock-Song in einen 80s-Retro-Hardrock-Song. Souverän umgesetzt, es gibt hier eigentlich wenig zu meckern. Kann man gut anhören, wenn man in Nostalgie schwelgt. Aber: im Zweifel für das Original. Das Projekt hat wenig Neues beizusteuern.

AT THE MOVIES gehen zu sehr auf Nummer sicher

Überhaupt die Song-Auswahl: Auch diese geht auf Nummer sicher. Es wäre ein spannender Ansatz gewesen, Songs auszuwählen, die vielleicht weniger bekannt, zu Unrecht vergessen sind. Aber nicht mit AT THE MOVIES. Man kennt hier fast jedes Lied, jede Note: selbst dann, wenn man die Filme nicht kennt. Das ist schade. Eine vertane Chance.

Und so gibt es als Song Numero zwei „Maniac“, im Original von Michael Sembello: okay, an den Interpreten kann sich vermutlich wirklich keiner mehr erinnern. Aber an den Song sehr wohl. Teil des Flashdance-Soundtracks: „She’s a maniac, maniac on the floor/ And she’s dancing like she’s never danced before!“ Ja: Sorry für den Ohrwurm. Hier teilt sich Björn Strid den Gesang mit der weiblichen Stimme von Linnéa Vikström. Und ja, das ist okay, der Song funktioniert auch im Hardrock-Gewand. Aber auch hier stellt sich die Frage: Wo ist der Mehrwert gegenüber dem Original? Reicht es, diesen Song einfach in Hardrock zu übersetzen?

Am besten sind AT THE MOVIES dann, wenn sie nicht ganz so offensichtliche Nummern auskramen: und dann auch ein wenig Eigenständigkeit einbringen können. „A View to Kill“ ist im Original von „Duran Duran“: und Teil des Soundtracks von James Bond, „Im Angesicht des Todes“ (1985). Man kann an dieser Stelle nicht genug betonen, dass DURAN DURAN eine ziemlich geile Band waren und sind: oft als Pop-Band der New-Romantics-Bewegung verschrien, als Boy-Group, waren ihre Songs sensationell ausgereift, mit viel Funk und Soul und Groove und mit Simon Le Bons charismatischer Stimme. Bereits im Original ist das ein richtig guter Song: so auch hier. Die 80s-Retro-Version funktioniert gut. Ein bittersüßer, ein guter Hardrock-Song in der neuen Interpretation. Und das ist einer der besten Momente des Albums: Weil ich nicht sagen kann, ob nun die Original-Version besser ist oder die neue Version von AT THE MOVIES. Aber erkennt Ihr das Problem? Im besten Fall kann ich mich nicht entscheiden, ob die Original-Version besser ist: oder die Neuinterpretation. Es gibt eigentlich nie den Moment, wo ich sagen kann: Ja klar, weil das hier heavier ist, ist das auch besser. Nope: Gibt es nicht. An keiner Stelle des Albums.

Ronnie Atkins meistert Tina Turner souverän

Und es gibt weitere Highlights auf diesem Album. Am meisten Angst hatte ich vor der Neuinterpretation von „We Don’t Need Another Hero“, im Original 1985 von Tina Turner gesungen: und Teil des „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“-Soundtracks von 1985. Vielleicht einer der meistgespielten Songs im Formatradio ever. Und ich dachte, sie können nur verkacken. Der Song lebt einfach vom kraftvollen, charismatischen Gesang von Tina Turner: der eigentlich nicht zu kopieren ist.

Hier hat man für die Neuinterpretation Ronnie Atkins, Frontmann der PRETTY MAIDS, als Gastsänger gewinnen können: und das funktioniert wunderbar. Er drückt dem Song seinen eigenen Stempel auf: und plötzlich wird aus diesem Song eine gute, originelle Hardrock-Nummer, die man sich gern anhört. Mit viel Atmosphäre, Melancholie, Sehnsucht. Mit ganz viel Gefühl. Hier harmoniert das Duo Chris Laney und Atkins wunderbar. Da könnte ich mich tatsächlich nicht entscheiden, welche Version ich mir lieber anhöre: das Original oder die Neuinterpretation.

Aber diese Momente sind -leider- rar gesät. Die Neuinterpretation von „Neverending Story“, im Original von LIMAHL und Titelsong von „Die unendliche Geschichte“? Ja, tut mir leid: Klingt in der Version auf diesem Album fast noch schwülstiger als das Original, auch wenn der Song kompetent umgesetzt ist. Aus einem Synthie-Pop-Song wurde hier ein beliebiger Hardrock-Song mit viel schwülstigen Keyboard-Sounds gemacht. Im Zweifel unhörbar.

Die Originalsongs von “Dirty Dancing” sind besser als die Hardrock-Version

Und die Neuinterpretation von „(I’ve Had) The Time of My Life“? Ihr ahnt es schon: Der war Teil des „Dirty-Dancing“-Soundtracks. Wohl jeder Macker kennt den Song, der von seiner Freundin gezwungen wurde, sich „Dirty Dancing“ 300mal am Stück anzuschauen: und es war ja tatsächlich auch ein guter Film, selbst wenn das viele nicht zugeben wollen. Zum ersten Mal wurde in Hollywood das Thema “Abtreibung” auf die Karte gesetzt. Oh Gott: Wer hat nicht geweint, als Patrick Swayze in der Schlussszene mit „Babe“ Jennifer Grey tanzte? Ich gebe zu: Ich habe geweint. Der Erfolg war auch dem Soundtrack zu verdanken, der eben richtig gut war. Viel Rock aus den 50ern und 60ern: und eben „Time of My Life“. Nope, hier gibt es keinen Mehrwert. Die Gitarren sind härter, aber sonst? Ich gebe das ungern zu: im Zweifel für das Original! Björn Strid schreit diesen Song kaputt, als müsste er beweisen, dass seine Freundin immer und ausschließlich Arthouse-Movie-Fan gewesen ist. Sorry, Dude: Das glauben wir dir nicht!

So gibt es hier einige gute Ansätze, einige Versuche, die Kult-Hits von damals in neuem Sound zu präsentieren: und verdammt viel Fremdscham. Tut mir leid, im Zweifel sind viele der Originale einfach besser. Sie haben mehr Seele, sind weniger kalkuliert. Im Grunde machen AT THE MOVIES hier denselben Fehler, den ATROCITY schon mit „Werk 80“ machten: Sie unterschätzen, dass die Originale verdammt kluge, originell arrangierte Pop- und Rock-Songs sind: von guten und kompetenten Musikern umgesetzt. Da hilft es nichts, die Songs einfach härter zu interpretieren. Tut mir leid: Das hier ist schon eine kleine Enttäuschung. Zu mutlos, zu kalkuliert: einfach nicht kultig genug.

Ja sorry, Björn, ja sorry Chris: Ich liebe Euch doch alle. Aber DAS HIER ist echt grenzwertig. Im Zweifel singe ich dann doch lieber zu den Original-Songs. Nehmt es mir nicht übel: Das ist reichlich uninspiriert, das könnt Ihr besser. Ich sortiere gerade meine Karaoke-Playlist neu: Und Ihr seid im Zweifel nicht dabei.

VÖ: 7. Januar 2022

Label: Atomic Fire Records

Line-Up:
Björn “Speed” Strid | Gesang
Linnéa Vikström Egg | Gesang
Chris Laney | Gitarre
Morten Sandager | Keyboard
Allan Sørensen | Schlagzeug
Pontus Egberg | Bass
Pontus Norgren | Gitarre
Mehr im Netz: At the Movies

AT THE MOVIES  “The Soundtrack Of Your Life – Vol. 1 (Re-Release)”-Tracklist:

01. Intro
02. No Easy Way Out
03. Maniac
04. St. Elmo’s Fire
05. A View To A Kill
06. (I’ve Had) The Time Of My Life
07. Wouldn’t It Be Good
08. We Don’t Need Another Hero (Thunderdome)
09. The Power Of Love
10. The Heat Is On
11. The Neverending Story
12. Far From Over
13. Last Christmas (Bonustrack)

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner