Große Gesten beherrschten AMENRA schon immer, und dass sie dieses Mal mit insgesamt vier Songs auf zwei EPs die Vergangenheit abschließen wollen, passt da genau ins Bild. In mehr als 25 Jahren haben AMENRA an ihrer Ästhetik und Bildsprache gearbeitet, an ihrer Musik sowieso. Was anfangs der krasse Shit in Sachen Post Metal war – wohl niemand dürfte den Moment vergessen, in dem er oder sie zum ersten Mal „Razoreater“ hörte –, wurde durch Worldbuilding mehr und mehr erweitert, inklusive zahlreicher Nebenschauplätze wie jüngst DE MANNEN BROEDERS. Mit „De Toorn“ und „With Fang And Claw“ will die belgische Band nun ihr erstes Vierteljahrhundert ab-, und somit auch den Kreis schließen.
Mit „With Fang And Claw“ beschwören AMENRA die Intensität ihrer ersten zehn Jahre herauf und haben darauf den besten Song der beiden EPs stehen.
So haben beide EPs eine Gestaltung, die klar zusammenpasst, und auch der Produktion und Mix entspricht den AMENRA von heute, nicht der Band von Anfang bis Mitte der 2000er. Dass die EP „With Fang And Claw“, die eher viszeral und impulsiv scheint, hierdurch die interessantere der beiden Veröffentlichungen ist, ist wenig verwunderlich. „Forlorn“ ist roh, brachial und zeigt harmonische Schimmer inmitten der teils dissonanten Riffs. Das erinnert tatsächlich an „Mass III“ oder „Mass IIII“, wirkt dadurch aber auch nicht mehr so frisch und überraschend wie AMENRA eben damals klangen. Die Riffs von Mathieu Vanderkerhove sind indes von beachtlicher Intensität und so voluminös wie zuletzt vor über zehn Jahren. „Salve Mater“ geht in seiner kriechenden Heaviness noch einen Schritt weiter und atmet die Düsternis von „Mass V“. Die schmerzhafte Intensität, die diesem Song innewohnt, und das kompakte Songwriting machen „Salve Mater“ zum besten Stück der beiden EPs.
„De Toorn“ hingegen führt die aktuelle Phase dem Ende entgegen, die im Jahr 2021 mit dem ähnlich betitelten, sensationellen „De Doorn“ seinen Höhepunkt fand. Um es kurz zu machen, die Intensität, die Zärtlichkeit und die Brutalität, die trotz allem so behutsam war, erschaffen AMENRA nicht erneut. Dabei hat „Heden“, das sich in über 13 Minuten sehr langsam aufbaut, gute Startbedinungen. Schicht für Schicht legt die Band aufeinander, angefangen von einem subtilen Rhythmus einem Herzschlag gleich, dann mit Basslinie, leisen Gitarren, Spoken Words und schließlich Colin H. Van Eeckhouves Gesang und entwickelt sich von einzelnen Pinselstrichen zu einer Skizze, um schließlich mit dem brutalen Teil ab Minute 10 den Song zu einem Ganzen werden zu lassen – doch leider wirkt dieser vergleichsweise fragmentiert. Der Aufbau fließt wunderschön, bis die Heaviness das Gesamtbild zersplittert. „De Toorn (Talisman)“ bildet das Gleiche auf andere Art ähnlich ab, ist nur ein wenig üppiger instrumentiert und insgesamt organischer. Doch auch damit schaffen AMENRA trotz berührender Momente und starkem Spannungsaufbau sowie erlösendem Finale es nicht, dieses Gefühl der Ganzheit zu erzeugen, das „De Doorn“ innewohnte. Als Epilog auf dieses Album geht „De Toorn“ in Ordnung, essenziell ist diese 25-minütige EP aber nicht.
„De Toorn“ funktioniert als Addendum zum vergangenen AMENRA-Album „De Doorn“. Um wirklich begeistern zu können, hätte es allerdings mehr songschreiberische Sorgfalt gebraucht.
Vielleicht wird es einfach Zeit für den nächsten Schritt in der Entwicklung von AMENRA, jetzt wo sie alle Facetten ihres bisherigen Schaffens beleuchtet und ausgereizt haben. Vielleicht zeigen beide EPs auch genau die Grenzen des bisherigen Universums von AMENRA auf, oder anders gesagt: Sie porträtieren eine Band in der Sackgasse. Trotzdem agieren die Belgier spielerisch souverän, auch wenn sich die eine oder andere kreative Ermüdungserscheinung verzeichnen lässt. Oder vielleicht hätten sich AMENRA gestatten sollen, diese vier Songs mit weiterem Material zu einem großen Album auszuarbeiten, um ein wirklich großes Panorama aufzuspannen – um dieser Sackgasse gekonnt entgegenzutreten. Insgesamt wirken „De Toorn“ und „With Fang And Claw“ unfertig, auch trotz der wie üblich intensiven Gesangsleistung von Colin H. Van Eeckhout, der charakteristischen Gitarrenarbeit, und der voluminösen Rhythmusinstrumente. Es schmerzt ein wenig das zu schreiben, aber hier wäre mehr drin gewesen.
VÖ: 28. März 2025
Spielzeit: 25:44 / 13:54
Line-Up:
Colin H. Van Eeckhout – Vocals
Mathieu J. Vanderkerckhove – Guitar
Lennart Bossou – Guitar
Tim De Gieter – Bass
Bjorn J. Lebon – Drums
Label: Relapse Records
AMENRA „With Fang And Claw“ Tracklist:
1. Forlorn (Official Video bei Youtube)
2. Salve Mater
AMENRA „De Toorn“ EP Tracklist:
1. Heden (Official Video bei Youtube)
2. De Toorn (Talisman) (Official Video bei Youtube)
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