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NEAL MORSE: International Church, Kortrijk, 15.02.2008

Stand bei SPOCK`S BEARD-Konzerten der Musiker NEAL MORSE im Vordergrund, steht nun bei seinen Gottesdienst-Abenden der Christ NEAL MORSE im Vordergrund. In beiden Fällen ist es der Mensch NEAL MORSE, der Eindruck hinterlässt.

Stand bei SPOCK`S BEARD-Konzerten der Musiker NEAL MORSE im Vordergrund, steht nun bei seinen Gottesdienst-Abenden der Christ NEAL MORSE im Vordergrund. In beiden Fällen ist es der Mensch NEAL MORSE, der Eindruck hinterlässt. Seine Vitalität suchte in der Progressive Rock-Szene ihresgleichen – abgesehen vielleicht von Schlagzeugtausendsassa und Morse-Kollaborateur Mike Portnoy (DREAM THEATER). Da ist es kein Wunder, dass der geläuterte Morse mit seiner ungezwungenen, natürlichen Art in seiner neuen Rolle als Wanderprediger aufblüht. Bei seinem jüngsten Besuch in Belgien hatte ich endlich die Gelegenheit, seine One-God-Show mitzuerleben.

Als ich um kurz vor 19 Uhr am Ort des Geschehens eintraf, fand gerade noch der minimalistische Soundcheck statt: Keyboard, Gitarre, Gesang. Der Veranstaltungsort hatte Lagerhallencharakter und somit durchaus Ähnlichkeit mit diversen Rockschuppen. Doch das Innenleben unterschied sich deutlich von den Clubs, in denen SPOCK`S BEARD aufspiel(t)en: Die Saalbeleuchtung strahlte den ganzen Abend über die gelb-blaue Wanddekoration an; am Getränkestand suchte man vergeblich nach Bier und Whisky; der Eintritt war frei; man wurde von den Veranstaltern persönlich mit Handschlag begrüßt; zahlreiche Kinder wuselten zwischen den Stuhlreihen umher. Am Ende waren es etwa 100 Leute, die dem Gottesdienst-Konzert-Konglomerat beiwohnten.

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Neal Morse spielte überwiegend Stücke seiner Gottesdienst-Alben am Keyboard oder wie hier an der Gitarre.

Während bei konventionellen Konzerten bisweilen Vorbands die Geduld des Publikums strapazieren, schnallte sich eine halbe Stunde später einer der Veranstalter die Gitarre um und sang eine Reihe von kirchlichen Liedern. Neal begleitete ihn am Keyboard und die Gemeinde sang fleißig mit. Letzteres klang ausgesprochen gut. Hier können sich Prog-Konzertbesucher definitiv eine Scheibe abschneiden. Anschließend hatte Neal die Bühne für sich und harrte einer Eingebung. Das sollte im Laufe des Abends noch öfters vorkommen, da Neal das Programm grundsätzlich nicht plant, sondern spontan gestaltet. Einige Augenblicke später legte er mit Amazing Grace los und griff das Mitsingmoment auf. Hätte jemand an diesem Abend das Praise God!-Trinkspiel gemacht, wäre er bereits nach diesem – mit einer entsprechenden Extra-Strophe ausgestatteten – Stück hoffnungslos betrunken gewesen.

Nach Alleluia, dem Opener seines Anfang des Jahres erschienen Album Worship Sessions Volume III: Secret Place fragte Neal, ob SPOCK`S BEARD/TRANSATLANTIC-Fans anwesend wären. Außer mir outeten sich noch drei, vier weitere Leute. Neal bedankte sich für unser Erscheinen und meinte, wir sollten keine Angst haben. Denn Gott ist gut. Zusammen mit Julie Harrison spielte eine bewegende Fassung von We All Need Some Light mit schönem Gitarrensolo und zweistimmigem Gänsehautgesang, ehe er sich wieder den Gottesdienstliedern widmete. Room At The Cross hellte die Atmosphäre im ohnehin hellen Raum auf und zeigte einmal mehr, dass Neal auch jenseits von opulenten Prog-Epen ein talentierter Songwriter ist. Allerdings machte sich im weiteren Verlauf auch eine gewisse Monotonie bemerkbar, da Lieder wie beispielsweise You Can Be Delivered (vom Dylan-esquen Songs From The Highway-Album) die nötigen Spannungsmomente vermissen lassen.

Langweilig wurde es trotzdem nicht, da Neal zwischendurch zur Auflockerung für zwei Stücke Kind und Kegel auf die Bühne holte. Der Nachwuchs war süß, nicht mehr, nicht weniger. Abgesehen von den Liedtexten selber wurden alle Ansprachen übersetzt, sowohl die englischen, als auch die niederländischen. Das nahm der Veranstaltung an manchen Stellen den Schwung und verlieh ihr ein gewisses Wetten, dass…-Flair. Zugleich wurden dadurch sämtliche Sprachbarrieren eingerissen und allzu große Wortkaskaden unterbunden. (Bleibt nur zu hoffen, dass Tobias Sammet nicht Neals Beispiel folgt.)

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Neal Morse und Julie Harrison machten einen Ausflug in die Vergangenheit in Form von des TRANSATLANTIC-Songs We All Need Some Light.

Nach etwa einer Stunde Musik war Neal auf Betriebstemperatur und legte seine Gitarre zur Seite. Leidenschaftlich predigte er seine Liebe zu Gott und erzählte von seiner Läuterung, seiner Verwandlung vom alkoholabhängigen, zynischen Musiker, der neidisch die Grammy-Verleihungen anschaute, hin zum fröhlichen Familienvater, der Gott statt Grammys anbetet. Eigentlich wäre nun ein guter Zeitpunkt für mehr Musik gewesen. Doch vom Glauben gepackt rief Neal zum Gebet auf und ein paar andere Leute berichteten von ihren Erfahrungen mit Gott. Sie erzählten von schweren Zeiten in ihrem Leben, in denen sie Gott suchten (und irgendwann auch fanden). Eine junge Frau vergaß – vom Lampenfieber gepackt – das Lied, das sie eigentlich spielen wollte, und sang stattdessen acapella ein Gospellied. Ähnlichkeiten mit laufenden oder abgesetzten Fernsehtalkshows waren rein zufälliger Natur, glaube ich. Auf alle Fälle nahm der Abend so eine Wendung hin zu persönlichen Schicksalen und der Kraft des Glaubens in schwierigen, wenn nicht sogar hoffnungslosen Situationen. Passend zur Atmosphäre spielte Neal schließlich die One-Ballade Father Of Forgiveness.

Danach holte er Julie ein zweites Mal auf die Bühne und läutete mit einer Mischung aus Lied und Predigt das Finale ein, bei dem es Lobpreis, Tränen, Gruppenumarmungen, Gebet und einen Schuss amerikanisches Selbstbewusstsein gab. Emotionale Szenen spielten sich ab und Julie spielte irgendwann alleine ein sehr schönes Lied weiter. Die sichtlich aufgewühlten Gemüter beruhigten sich schließlich wieder und Neal beschloss den Gottesdienst mit zwei weiteren Liedern. Einige Minuten nach dem offiziellen Ende griff er allerdings noch einmal zur Gitarre und spielte auf den Wunsch zweier Besucherinnen noch Sing It High, Sing It Low (vom Testimony-Doppelalbum) – mit gerissener Seite und komplett unverstärkt. Mit diesem i-Tüpfelchen endete ein erlebnisreicher Auftritt mit Höhen und Tiefen, Längen und Glanzlichtern – und allerlei spontanen Amen!-Rufen. Eine angenehme Abwechslung zu den üblichen Rockkonzerten war es allemal.

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