Vom Großen zum Kleinen: Erörterten WHEEL auf „Resident Human“ (2021) noch die menschliche Natur an sich, rückt auf dem Drittwerk ein spezieller Aspekt der Thematik in den Fokus: Personenkult und Medien nimmt sich „Charismatic Leaders“ zur Brust und wird dadurch natürlich unweigerlich politisch. Unsere Beeinflussbarkeit durch Medien-Konglomerate prangert Sänger James Lascelles ebenso an wie die zusehends dominante Rolle markanter Führungspersönlichkeiten, hinter deren Auftreten die eigentlichen Inhalte in den Hintergrund treten.
Keineswegs neue Konzepte, wie der Frontmann selbst feststellt, und doch aktueller denn je. Vielleicht ist es auch diese besorgniserregende Entwicklung, die den Einstieg „Empire“ so aufbrausend erscheinen lässt. Für WHEEL ist das Stück regelrecht aggressiv: Das metallisch geprägte Riffing drängt zwischen den ruhigen Strophen mit Zug nach vorne und zeigt uns so eine Seite des Trios, die wir in dieser Ausprägung noch nicht kannten.
Ausladende Prog-Kompositionen sind auch auf “Charismatic Leaders” das Herzstück WHEELs
Wobei die britisch-finnische Band auf „Charismatic Leaders“ freilich nicht alles über den Haufen wirft. Ausladende Prog-Metal-Eskapaden um die Zehn-Minuten-Marke bilden weiterhin das Herzstück ihrer Musik, die nach wie vor auf eine gesunde Balance aus Tiefgang und Zugänglichkeit setzt. Entspannt und federleicht können wir uns in „Porcelain“ fallen lassen oder uns in die fordernden Arrangements mit leichtem TOOL-Einschlag reinfuchsen, wie sie uns „Disciple“ oder „Submission“ zur Genüge präsentieren.
Über all dem schwebt Lascelles sanfte wie heller Singstimme, die sich selten in den Vordergrund schiebt und dennoch mittels klar definierter Gesangslinien durch die Stücke führt. Dass die transparente Produktion derweil jedem noch so kleinen Detail seinen Platz einräumt, hilft nicht allein Drummer Santeri Saksalas angenehm unverkrampften Spiel, sondern erzeugt grundsätzlich eine weitläufige und geräumige Klangkulisse.
WHEEL setzen auf eine vertraute Basis, um Neues zu wagen
Zugute kommt das wiederum den zahlreichen Wendungen, mit welchen WHEEL ein Stück wie „Saboteur“ frisch halten: Der getragene, bisweilen verträumte Mittelpart bricht so die beklemmende Atmosphäre auf, welche die manchmal schleppende, manchmal kraftvoll drückende Gitarrenarbeit herausbeschwört.
Obgleich die Formation ihrem Profil auf diese Weise neue Konturen verleiht, bewegt sich „Charismatic Leaders“ im Gesamten allerdings weiterhin in gewohnten Bahnen: Statt zur Revolution aufzurufen, geht es musikalisch um Fortschritt, was in diesem Fall vorwiegend bedeutet, dem politisch aufgeladenen und beängstigenden Grundkonzept einen passenden Rahmen zu spendieren. Dass dabei manche Arrangements über die komplette Laufzeit hinweg auch ineinanderfließen können, ist dem oft vorgelebten Understatement WHEELs zuzuschreiben.
Ein kleiner Fleck auf der Weste, welcher sich aber im Endeffekt gar nicht so bemerkbar macht: Verlieren die Musiker doch einmal unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, schalten wir unbewusst und wie automatisch selbst vom Kleinen zurück zum Großen: Nicht das verkopfte Detail ist nun wichtig, sondern die grundlegende Atmosphäre, in welcher wir uns auch im Jahr 2024 treiben lassen können, ohne mit einem bösen Erwachen rechnen zu müssen.
Veröffentlichungstermin: 03.05.2024
Spielzeit: 47:19
Line-Up
James Lascelles – Vocals, Gitarre
Jussi Turunen – Gitarre
Santeri Saksala – Drums
Produziert von Daniel Bergstrand, Fredrik Thordendal und Forrester Savell (Mix)
Label: InsideOut Music
Homepage: https://wheelband.net/
Facebook: https://www.facebook.com/wheelband/
WHEEL “Charismatic Leaders” Tracklist
1. Empire 04:20 (Video bei YouTube)
2. Porcelain 07:12 (Visualizer bei YouTube)
3. Submission 10:46
4. Saboteur 09:01
5. Disciple 04:12 (Visualizer bei YouTube)
6. Caught in the Afterglow 01:12
7. The Freeze 10:35