Der festivalähnliche Zeitplan sah vor, dass THAUROROD bereits zu einer Zeit auftreten sollten, zu der viele Leute noch arbeiten oder Lokführerstreiknachwehen mitmachen mussten. Immerhin wurde der Konzertbeginn nach hinten verschoben, so dass ich immer noch ein paar Töne von der Band mitbekam. Viel mehr als der tadellose, superklare Gesang von Michelle Luppi ist mir jedoch nicht in Erinnerung geblieben. Mit ihrem netten Melodic Metal versetzte die Band die bereits ordentlich gefüllte Halle jedenfalls nicht in Ekstase.
Auch MERCENARY stießen auf eine gewisse Gleichgültigkeit. Mit ihrem gesichtslosen, weil völlig normalen Heavy Metal konnte die Band zwar Höflichkeitsapplaus einheimsen. Aber über weite Strecken waren die Aktivitäten des Sekundenzeigers meiner Uhr ebenso spannend wie das Bühnengeschehen. Der undifferenzierte Sound, der die Keyboard-Samples zu sehr betonte, machte die Sache auch nicht besser. Sicher kann man so etwas mit dem Verweis auf Tourbeginn und Bandanzahl entschuldigen. Doch das Konzerterlebnis wurde dadurch nicht unterhaltsamer. Der einzige Lichtblick war das bodenständige Auftreten von Bassist und Sänger René Pedersen, der zwischen den Songs sichtlich erfreut den Vorbandstatus genoss und offenbar ebenso gespannt auf die nachfolgenden Auftritte war, wie das Publikum.
Nach 45 Minuten dänischem Metal kam dann die Durchsage, dass NEVERMORE aufgrund von luftverkehrbedingtem Sängermangel nicht spielen würden. Diese Nachricht verhinderte die vollkommene Glückseligkeit im Saal, half aber auch, den irrwitzigen, festivalähnlichen Zeitplan zu entzerren.
Während der Umbaupause erfasste eine gewisse Unruhe den Zuschauerraum. Als ein großes, farbintensives Banner von A Social Grace hinter dem Schlagzeug aufgehängt wurde, gab es bereits anhaltenden Applaus. Was anschließend folgte war dann ein Stückchen Progressive-Metal-Geschichte. Nach 14 Jahren Pause kamen PSYCHOTIC WALTZ zurück ins Rampenlicht, zurück auf die Bühne, zurück zu alten Fans, die die Gruppe nicht vergessen hatten. Und sie kamen auch zu einer ganzen Reihe neugieriger Leute wie mich, die bislang noch keinen Auftritt der Band erlebt hatten.
Ein Streifzug durch die Diskographie mit Schwerpunkt auf dem Debüt war angekündigt worden und wurde dann auch dem Stuttgarter Publikum präsentiert. Hinter diesem nüchtern ausgedrückten Sachverhalt versteckte sich eine musikalische Reise ins Wunderland des progressiven Metal. Originalität hatte hier stets Vorrang vor spieltechnischer Selbstbeweihräucherung. Die Stücke waren verschlungene Wege durch Harmonien und Melodien, die hier und da von Rifflawinen unterbrochen wurden, über weite Strecken jedoch einfach nur atemberaubende Ausblicke boten in bislang unbekannte Klanglandschaften. Hinter dieser blumig ausgedrückten Metapherkaskade versteckten sich fünf nicht mehr ganz junge Herren aus San Diego, Kalifornien, die sichtlich Spaß hatten, wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Gleichzeitig war wenig Spielraum für Egos. Klar, Devon Graves – the Artist formerly known as Buddy Lacket – war der agilste und kommunikativste Teil der Band. Aber ohne die flüssige Rhythmusarbeit und ohne die blind aufeinander eingespielten Gitarristen Dan Rock und Brian McAlpine wäre sein exzentrischer Gesang nur so viel wert wie, nun ja, so viel wert wie DEADSOUL TRIBE und THE SHADOW THEORY eben wert sind.
Dass Brian McAlpine (PSYCHOTIC WALTZ) sich wegen Fluggepäckkomplikationen die Gitarre von einer anderen Band leihen musste, hatte glücklicherweise keinerlei negative Auswirkungen auf sein Spiel.
Mit Spiral Tower folgte direkt der erste Song aus den Anfangstagen. Spätestens hier verwandelte sich das Freudestrahlen in vielen Gesicht in entrückte Glückseligkeit. Auch auf der Bühne wich die Anspannung nach und nach der Erleichterung über den begeisterten Empfang, den das Publikum PSYCHOTIC WALTZ bereitete. Die sporadischen Keyboard-Samples fügten sich gut ins Klangbild ein und gaben der Musik in den sphärischen Momenten noch mehr Tiefe. Natürlich durchbrachen immer wieder härtere Passagen das Geschehen und wer noch genügend Haare hatte, bangte eifrig mit. Die klangmalerische Achterbahnfahrt führte vom elegischen Into the Everflow über das bärenstarke Morbid bis hin zum Oldie Halo Of Thorns. Devon Graves sang souverän und mit viel Leidenschaft. Er beschwor mehrmals den Zusammenhalt der Band und kündigte für die Zukunft auch gleich neues Material an. Das war ziemlich mutig angesichts der Tatsache, dass die Band an diesem Abend tatsächlich zum allerersten Mal wieder zu fünft gemeinsam musizierte (sprich vorab nicht komplett geprobt hatte). Doch zumindest an diesem Abend herrschte in der Band eine gereifte Harmonie. Als nach Nothing erst einmal Schluss war, schloss diese Harmonie auch weite Teile des Publikums mit ein. Durch den Ausfall von NEVERMORE blieb dann noch Zeit für I Of The Storm, bei dem auch Fans der Headliner dank heftiger Riffs und kraftvollem Schlagzeug auf ihre Kosten kamen.
PSYCHOTIC WALTZ nach ihrer fulminanten Rückkehr auf die Bühne: glücklich!
Für meinen Geschmack waren SYMPHONY X nach so einem eindringlichen Erlebnis nur noch eine Art Epilog. Der Einstieg mit Of Sins And Shadows begeisterte mich zwar, da ich die Sachen der Band in den 90ern gerne und oft gehört hatte. Doch im weiteren Verlauf klangen die Songs arg gleichförmig. Die Bühnenshow war für eine Progressive-Metal-Band sicher sehr extrovertiert und verhinderte, dass die Monotonie sich in Langeweile verwandelte. Das lag zum Großteil auch an der beeindruckenden Gesangsleistung von Russell Allen. Kraftvoll, charismatisch und treffsicher bot er die ausladenden Melodien von Stücken wie Domination, Inferno (Unleash The Fire) und Serpent´s Kiss dar. Es war dabei durchaus beruhigend zu sehen, dass man im Heavy Metal kein gestylter Bodybuilder sein muss, um als Frontmann bestehen zu können. Jason Rullo drosch derweil wie ein Berserker auf sein Schlagzeug ein. Gitarrist Michael Romeo eiferte dagegen lieber dem Herrn Malmsteen nach und schüttelte ein Hochgeschwindigkeitssolo nach dem anderen aus dem Handgelenk. Als ich noch jünger war, fand ich so etwas tierisch beeindruckend. Im direkten Vergleich mit PSYCHOTIC WALTZ fehlte SYMPHONY X jedoch die stilistische Selbstständigkeit bzw. eben die FATES-WARNING-Lust zur Selbstneuerfindung. So fügten sich die beiden neuen Songs vom kommenden Iconoclast-Album dermaßen nahtlos ins Gesamtbild ein, dass ich sie ohne Ansage nie als solche erkannt hätte. Dass die Band kompositorisch viel Talent besitzt, zeigte sich eher bei Paradise Lost und der Uptempo-Nummer Smoke And Mirrors.
Der Mann mit der mächtigen Stimme: Russell Allen (SYMPHONY X)
Im Endeffekt erfüllte der Auftritt somit alle Erwartungen. Weite Teile des Publikums honorierten dies mit reichlich Applaus, weshalb es am Ende dann noch eine Zugabe in Form von Sea Of Lies gab. Ich persönlich fand den psychotischen Walzer um Längen inspirierender und bewegender, ziehe aber meinen Hut vor SYMPHONY X, die deutlich gemacht haben, dass frickeliger Melodic Metal keineswegs Standfussball mit Mentalakrobatik sein muss, sondern auch ordentlich rocken kann, ohne dabei den spieltechnischen Anspruch unter den Tisch fallen zu lassen.