SLIPKNOT, MACHINE HEAD, CHILDREN OF BODOM: Stuttgart, Schleyer-Halle, 26.11.2008

Die Maskenmänner mögen auf Platte melodischer und austauschbarer geworden sein, live machen sie nach wie vor alles platt. Vertragspartner dieses erfolgreichen Abbruchunternehmens: hervorragend aufgelegte MACHINE HEAD-Männer und spielfreudige BODOM-Lausejungen.

SLIPKNOT in Stuttgarts größter Halle? Haben die Verrückten aus Iowa inzwischen sogar mit den absoluten Publikumsmagneten der Szene aufgeschlossen? Nun, ganz so weit ist es noch nicht: Während METALLICA die komplette Halle quasi binnen Tagesfrist ausverkauften, sind an diesem Abend die Sitzplatzränge mit Vorhängen verhängt. Die Hierarchien bleiben also gewahrt, aber wer will bei einen Gig von SLIPKNOT schon sitzen!? Eben. Also stürzt man sich, als CHILDREN OF BODOM pünktlichst beginnen, munter ins Getümmel vor der Bühne – wenn man denn das wohl komplizierteste und bürokratischste Abtrennungssystem zwischen hinterer und vorderer Hallenhälfte schnell genug durchschaut hat. Stellvertretend für viele bizarre Konversationen mit den Ordnern sei hier die paradoxe Information wiedergegeben, dass man, wenn man in den vorderen Teil der Halle wolle, vorher von dort – wo man ja nicht hin darf – einen Ausgangsschein bringen müsse. Kafka wäre stolz auf denjenigen, der dieses System verbrochen hat. Sei´s drum, was zählt, ist der Rock´n´Roll, und davon besitzen die Rotznasen aus Bodom eine ganze Menge. Alexi Laiho und Co. posen, was das Zeug hält, und rotzen eine bunte Mischung alter und neuer Knaller runter, die jedoch einmal mehr verdeutlicht, dass ein Keyboard bei dieser Art von Musik völlig deplatziert wirkt. Doch trotz Geklimper können die Finnen einen Achtungserfolg vor dem Publikum der ja doch durchaus anders ausgerichteten SLIPKNOT-Maskenmännern verbuchen, sogar Zugaberufe hallen durch die unpersönlichen Stahlträger unterm Dach der Schleyer-Halle.

Dann wird die Bühne freigeräumt für wahre Männer. Robb Flynn und Konsorten schwitzen vom ersten Akkord von Clenching The Fists Of Dissent pures Testosteron auf. Folgerichtig entwickeln sich gleich mehrere Circle-Pits im weiten Rund. Die Band zeigt sich beeindruckt und gibt umso mehr Gas. Imperium und Aesthetics Of Hate sind dafür geeignete Allzweckwaffen, die eine Band in Höchstform zeigt, kein Vergleich zum müden Headliner-Gig vor einigen Monaten wenige Kilometer weiter, bei dem Robb Flynn gesundheitliche Probleme zu schaffen machten. An diesem Abend hingegen wirkt er wie das blühende Leben und singt wie ein junger Gott. Die Menge frisst während dem erfreulich langen Gig – eine geschlagene Stunde stehen MACHINE HEAD auf der Bühne – dem charismatischen Kalifornier aus der Hand und begleitet Halo und Old mit metallisierten Fischer-Chören…Gänsehaut! Nebenbei plaudert der Bandleader noch ein paar Interna aus: Als er in den ersten Reihen einige Frauen entdeckt, zeigt er sich überrascht und erinnert sich hämisch grinsend, dass bei der Band früher Auftritte in Deutschland wegen des hohen Männeranteils unter German Sausage Fest firmierten. Davidian setzt dann den Schlusspunkt unter einen würdigen Auftritt, der glatt als Co-Headliner-Gig durchgeht.

Doch wer sich schon jetzt völlig verausgabt hat, ist selber schuld. Zwar darf man sich wundern, warum die spätestens seit dem Mega-Werk Iowa definitiv krankeste Band der Welt sich in letzter Zeit wie wild darum bemüht, melodischer und damit austauschbarer zu werden. AC/DC bestehen ja auch nicht darauf, dass sie vor allem gute Progstücke schreiben, und Lemmy behauptet wohl ebenfalls kaum, dass das Alleinstellungsmerkmal von MOTÖRHEAD die Offenheit gegenüber Hiphop und Techno sei. Doch glücklicherweise bleibt die Lagerfeuergitarre an diesem Abend im Koffer, stattdessen regiert wie erhofft die blanke Aggression. Beim sofort ausbrechenden Pit-Inferno kann wohl selbst der härteste Ordner das Ausgangsscheinsystem nicht mehr aufrecht erhalten – Körperteile zucken im flackernden, grellen Licht, die Luft brennt trotz Rauchverbot. Corey Taylor sucht schon bald auf Englisch wie auf Deutsch den Kontakt zum Publikum, und auch wenn er dem Metal-Phrasenschwein nach dem Gig garantiert eine dreistellige Summe schuldet, sorgt er dafür, dass Stuttgart ihm aus der Hand frisst. Serviert werden Everblacks wie The Heretic Anthem oder das immer noch geniale People=Shit, aber auch neues, leider etwas gesichtsloseres Material. Dafür melden sich die Gesangsvereine im Publikum bei Duality wieder lautstark zurück. Wer in dieser höllischen Stimmung eine Verschnaufpause benötigt, schaut sich die wie immer spektakuläre, wenn auch kaum aktualisierte Bühnenshow des durchgeknallten Neuners an: Hebebühnen, rotierende Drumkits, durchdrehende Maskenmänner – Madenherz, was willst du mehr? Stimmt, eine Runde allgemeines Hinsitzen mit anschließendem zigtausendfachem Aufspringen auf Kommando fehlt noch und wird prompt nachgereicht. SLIPKNOT mögen nicht mehr ganz die Frische, Härte und Intensität der anarchistischen Anfangszeit besitzen, aber an diesem Abend überzeugen sie dennoch auf ganzer Linie, zumal die Spielzeit von eineinhalb Stunden den hohen Eintrittspreis von 50 Öcken aufwiegt. Und so sieht man auf dem Weg hinaus in die Kälte viele glückliche Gesichter…und bekommt prompt einen Ausgangsschein in die Hand gedrückt…

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