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LORNA SHORE, RIVERS OF NIHIL, INGESTED, DISTANT: Konzertbericht – Zenith, München – 23.11.2023

Die bislang größte Headliner-Show ihrer Karriere: Bei ihrem Stopp in München demonstrieren LORNA SHORE vor fast 6000 Fans, warum sie derzeit vielleicht das heißeste Eisen im Extrem-Metal sind.

Rund 6000 Leute fasst das Münchner Zenith und fast ebenso viele haben sich an einem frostigen Donnerstagabend angekündigt, um die Deathcore-Größe LORNA SHORE auf deren „Pain Remains“-Tour durch Europa live zu erleben. Um zu verstehen, wie absurd diese Zahl eigentlich ist, müssen wir den Blick aber zunächst zurückrichten. Erst im August des vorherigen Jahres spielten die US-Amerikaner im Vorprogramm AS I LAY DYINGs im hiesigen Backstage Werk vor knapp einem Viertel der Leute, stand dann auf dem SUMMER BREEZE OPEN AIR 2022 um 12 Uhr mittags auf der Bühne und eröffnete im Herbst für PARKWAY DRIVE die „Viva The Underdogs“-Tour.

Die Sphären, in welchen sich LORNA SHORE nun bewegen, sind somit auf den ersten Blick nur schwer zu fassen, gerade weil die Show in der bayerischen Landeshauptstadt aufgrund der hohen Nachfrage gleich zweimal hochverlegt wurde und man im Gegenzug zu manch anderer Tournee dieser Tage zwar ein hochwertiges, aber kaum über die Maße zugkräftiges Support-Paket im Schlepptau hat. RIVERS OF NIHIL, INGESTED sowie DISTANT versprechen natürlich trotzdem einen krachenden Auftakt, den sich ein guter Teil der früh angereisten Besucher:innen folglich auch nicht entgehen lassen will.


DISTANT

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Unsere einzige Sorge um halb sieben: die berüchtigt schwierigen Soundverhältnisse im Zenith, welche gerade im Fall des heutigen Line-ups schnell zum Albtraum werden könnte. So weit wollen wir zu Beginn des Abends aber noch gar nicht denken, denn die Stimmung in der Halle ist ausgesprochen losgelöst. Die kauzige „Spongebob Schwammkopf“-Titelmelodie singen die Fans daher lauthals wie textsicher mit, bevor DISTANT ihrem Intro das größtmögliche Kontrastprogramm folgen lassen.

„The Eternal Lament“ trifft zum Auftakt mit der Wucht eines Vierzigtonners, wobei insbesondere die schleppenden Breakdowns einen ungefähren Vorgeschmack dessen geben, was im Laufe der kommenden vier Stunden zu erwarten sein wird. Vom Circle Pit in „Oedipism“ bis hin zum unwiderstehlichen Groove von „Born of Blood“ bieten sich den Münchner:innen eine halbe Stunde lang zahlreiche Optionen, die eingerosteten Gelenke schon frühzeitig wieder in Betrieb zu nehmen.

DISTANT setzen auf mächtige Deathcore-Walzen

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Dem kommen wir auch gerne nach, obwohl der Audiomix in diesen Anfangsminuten noch etwas wechselhaft gerät. Gerade die atmosphärisch so wichtigen Synth-Spuren des aktuellen Materials gehen zwischen Bass und Schlagzeug etwas unter. Den Spaß trübt das jedoch glücklicherweise nur geringfügig, schließlich bleibt das mächtige Rückgrat der Deathcore-Walzen durch einen solchen Makel weitestgehend unberührt. Dementsprechend ist die Begeisterung der Fans nicht nur zu spüren, sondern gar deutlich zu hören, als DISTANT-Frontmann Alan Grnja den Titeltrack des aktuellen Werks „Heritage“ (2023) ankündigt. Der in manchen Ecken der Halle still herbeigesehnte Gastauftritt Will Ramos‘ (LORNA SHORE) muss diesmal zwar Wunschdenken bleiben, zum Höhepunkt des knackigen Sets wird der Track dank der mächtigen Darbietung der Niederländer aber auch ohne zusätzliche Starpower.

DISTANT Setlist – ca. 30 Min.

1. The Eternal Lament
2. Oedipism
3. Born Of Blood
4. Heritage
5. Heirs Of Torment
6. Exofilth
7. Hellmouth

Fotogalerie: DISTANT


INGESTED

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Als eine gute Viertelstunde später bereits zum zweiten Mal am heutigen Tag die Lichter ausgehen, ist es vor der Bühne reichlich eng geworden. Schon DISTANT-Shouter Alan Grnja blickte kurz zuvor etwas ungläubig auf die Masse vor ihm, die nun abermals durch eine Ladung (Slam-)Death in Wallung gerät. Dabei profitiert das dargebotene Material INGESTEDs vom mittlerweile gut ausdifferenzierten Sound, welcher der Lead-Gitarre genügend Raum zum Atmen gibt.

Dadurch kann das Quartett bei aktuellen Stücken à la „Shadows In Time“ ebenso auf den Rückhalt des Publikums zählen wie bei Kompositionen mittleren Semesters, wo sich etwa in „Invidious“ früh ein Circle Pit bildet. Dass Jason Evans‘ Wunsch nach einer Wall of Death in „Skinned And Fucked“ bereitwillig in die Tat umgesetzt wird, dürfte daher ebenso wenig überraschen.

Sänger Jason Evans drückt den Songs seinen Stempel auf

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Immerhin zeigt der sympathische Sänger seinerseits eine makellose wie gallige Performance, welcher er dank der herrlich schräg gerollten Screams einen unverkennbaren Stempel aufdrückt. Eigentlich schade, dass das unnachgiebige „Echoes Of Hate“ nach einer kurzweiligen halben Stunde bereits das Ende markiert – die Kraftreserven in der Halle hätten sicherlich noch für eine weitere Nummer gereicht.

Fotogalerie: INGESTED


RIVERS OF NIHIL

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Ans Limit kommt das Zenith im Folgenden ebenso wenig, wenn auch aus anderen Gründen. Mit ihrem technischen Progressive Death Metal fallen RIVERS OF NIHIL zwischen den unerbittlichen Hau-Drauf-Kapellen doch ein wenig aus dem Rahmen. Statt von Breakdown zu Blastbeat zu Breakdown zu eilen, setzen die US-Amerikaner zwischen massiven Riff-Walzen auf offene und teils entrückte Passagen, wo in „The Silent Life“ schon mal ein Saxofon als Backing Track mitlaufen darf.

Für gewaltige Moshpits eignet sich das Material also nur bedingt, obgleich die neue Single „Hellbirds“ den Härtegrad zwischendurch anzuziehen weiß und Bassist Adam Biggs die Meute in „Death Is Real“ sogar zu einer Wall of Death animieren kann. Der Songaufbau dahin ist dabei insofern untypisch, als dass RIVERS OF NIHIL die folgende Eruption gar nicht so sehr auszukosten scheinen, wie wir es eigentlich an dieser Stelle erwarten würden.

RIVERS OF NIHIL bringen neue Klang-Facetten in die Halle

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Einen Dämpfer versetzt das den Münchner:innen dabei keineswegs, die natürlich genre-bedingt nicht Vollgas geben, aber in „Focus“ doch bereitwillig mitklatschen und dabei die Fingerakrobatik am Griffbrett bestaunen. Das ist eben das unweigerliche Los, vor ein leicht anders gepoltes Publikum zu treten. Immerhin versuchen aber doch beide Seiten zueinanderzufinden, obwohl die Chemie in dieser Dreiviertelstunde nicht zu einhundert Prozent harmonieren will. Wir hingegen genießen das abwechslungsreiche Material dennoch, schließlich bringt der sphärische Klargesang von Gitarrist Andy Thomas und Schlagzeuger Gary Klein in „The Sub-Orbital Blues“ eine ganz neue Klang-Facette ins Zenith, die mit dem fantastischen „Where Owls Know My Name“ ein ebenso rundes Ende findet.

RIVERS OF NIHIL Setlist – ca. 45 Min.

1. The Silent Life
2. Hellbirds
3. Focus
4. Sand Baptism
5. Death Is Real
6. Soil & Seed
7. The Sub-Orbital Blues
8. Where Owls Know My Name

Fotogalerie: RIVERS OF NIHIL


LORNA SHORE

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Was sich bereits im Vorprogramm abgezeichnet hat, findet nun um Viertel nach neun seine Bestätigung: Auch LORNA SHORE gelingt das Kunststück, einen klaren und doch mächtigen Soundmix ins Zenith zu zaubern. Dabei fällt der Start aufgrund technischer Komplikationen doch holpriger aus als geplant: So will während des Openers „Welcome Back, O‘ Sleeping Dreamer“ das Mikrofon nicht so recht mitspielen, weshalb Will Ramos gleich mehrfach das Equipment tauschen muss. Der Durchschlagskraft des Stücks tut das derweil keinen Abbruch, zumal die US-Amerikaner auch showtechnisch direkt in die Vollen gehen.

Aus den CO2-Kanonen schießen weißfarbene Fontänen empor, im Hintergrund des gestuften Sets fliegen während des Refrains Funken durch die Luft und stattliche Flammensäulen garnieren die massiven Breakdowns. Im Zusammenspiel mit der abwechslungsreichen wie stimmigen Lightshow gibt es folglich auch einiges fürs Auge, um das unnachgiebige Symphonic-Deathcore-Inferno angemessen in Szene zu setzen. Dass LORNA SHORE ihr showtechnisches Repertoire schon zu Beginn in Gänze offenbaren – zumindest inszenatorisch entwickelt das Quintett im Laufe des Gigs keine Dramaturgie –, soll dabei nicht stören.

Eigentlich haben LORNA SHORE nur Hits im Gepäck

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Immerhin sorgt die Setlist selbst für eine sorgsam kurierte Spannungskurve, indem die Band dem Auftakt mit „Of The Abyss“ sowie „…And I Return To Nothingness“ gleich zwei Live-Granaten hinterherschiebt, wobei Frontmann Ramos in Ersterem zeitweilig Unterstützung aus den Niederlanden bzw. der Slowakei erhält: DISTANT-Shouter Alan Grnja kehrt für den gedrosselten Breakdown ein zweites Mal auf die Bretter zurück, um das Meer aus Crowdsurfern höchstpersönlich unter die Lupe zu nehmen.

Wobei die Songauswahl eigentlich ohnehin nebensächlich erscheint: LORNA SHORE haben gefühlt sowieso nur Hits im Gepäck, weshalb zu „Sun//Eater“ nicht ganz ohne Grund zahllose Smartphones in die Höhe schießen. Neben der engagierten Band will man wohl auch den kurz darauf losbrechenden Circle Pit auf Video bannen und bekommt sogar noch ein kleines Schmankerl oben drauf, als Bandfotograf Nick Chance die Kamera spontan für ein paar Momente zur Seite legt und stattdessen selbst zum Mikrofon greift.

Als Zugabe präsentieren LORNA SHORE die komplette „Pain Remains“-Trilogie

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Die Münchner:innen sind zu diesem Zeitpunkt ohnehin vollkommen in Ekstase, schließlich geben LORNA SHORE heute Abend das eigene Material live und mit beängstigender Routine nahezu makellos wieder. Am liebsten würden wir daher die Augen schließen und genießen, wenn Adam De Micco auf dem Podest am rechten Bühnenrand zu einem seiner verspielten Soli ansetzt. Doch würden wir dann das Spektakel um uns herum verpassen, wo die Fans während „Immortal“, des einzigen Tracks aus der Prä-Ramos-Ära, auf und ab springen, nur um dann den Titel des folgenden „Into The Earth“ über das furiose Schlagzeugspiel Austin Archeys hinwegzubrüllen.

Bis sich LORNA SHORE nach dem umjubelt aufgenommenen Hitsong „To The Hellfire“ erstmals für einen längeren Moment zurückziehen, haben die Münchner:innen also eigentlich ihr Soll schon längst erfüllt. Als Geschenk gibt es mit der „Pain Remains“-Trilogie einen rund 20-minütigen Zugabenblock, der uns natürlich emotional in die Mangel nimmt, aber auch einmal mehr die Songwriting-Qualitäten der Band vor Augen führt. Trauer, Wut, Verzweiflung und Resignation liegen hier nahe beieinander und entladen sich in der bayerischen Landeshauptstadt in einem explosiven Schlussakt, der natürlich auch Frontmann Will Ramos ungemein wandelbares Organ in den Vordergrund rückt.

Die „Pain Remains“-Tour zeigt: LORNA SHORE sind die Band der Stunde

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Dass bei diesem während des gesamten Auftritts die Fäden zusammenlaufen, liegt derweil im natürlichen Charisma des Sängers begründet – da zücken wir gerne im Finale „In A Sea Of Fire“ die Smartphone-Lampe, um der bislang größten Headliner-Show LORNA SHOREs zu einem würdigen Ende zu verhelfen. 75 Minuten später fassen wir uns allerdings zunächst ungläubig an den Kopf: Immerhin haben wir hier gerade eine Band erlebt, die noch vor einem Jahr im Vorprogramm zweier einflussreicher Metalcore-Ikonen aufgetreten war und nun mit unbändiger Energie vor fast 6000 Leuten eine Location auseinandergenommen hat, die so manche Metal-Größe nur mit Schützenhilfe vollbekommt. Mussten LORNA SHORE im Sommer 2022 noch zur Mittagszeit auf die Bühne, dürfte der markante Band-Schriftzug demnächst wohl ganz oben auf den Festival-Bannern zu lesen sein.

LORNA SHORE Setlist – ca. 75 Min.

1. Welcome Back, O’ Sleeping Dreamer
2. Of The Abyss
3. …And I Return To Nothingness
4. Sun//Eater
5. Cursed To Die
6. Immortal
7. Into The Earth
8. To The Hellfire
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9. Pain Remains I: Dancing Like Flames
10. Pain Remains II: After All I’ve Done, I’ll Disappear
11. Pain Remains III: In A Sea Of Fire

Fotogalerie: LORNA SHORE

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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