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JESTER`S FUNERAL Part 2: Von Lautmalerei, Dinosauriern und geheimnisvollen Namen

Teil 2 des Interview-Marathons mit JESTER`S FUNERAL-Sänger und Gitarrist Stefan Schmidt, in dem dieser von seiner Neigung zur Melancholie und Terry Pratchett berichtet, und darüberhinaus erklärt, was Dinosaurier im Proberaum zu suchen haben und wer eigentlich diese Typen namens Hieronymus und Damien sind…





Wir erinnern uns: Im ersten Teil dieses Interview-Marathons hatte Stefan Schmidt noch über die Aufnahmen des aktuellen Albums “Quicksilverlight” berichtet und ein für allemal klargestellt, daß METALLICA zwar eine feine Band ist, JESTER`S FUNERAL aber doch eine Ecke anders klingen. Doch damit ist noch längst nicht ALLES geklärt! Warum also ein junger gesunder Mensch so melancholische Texte schreibt, wieso sich in seinen Songtiteln Dinosaurier, merkwürdige Gestalten und Wörter, die es gar nicht gibt, herumtreiben, und weshalb Wolfgang Hohlbein eine Pfeife und Terry Pratchett der Fantasy-King ist: Ihr werdet es erfahren. Hier und jetzt. Los geht`s…

Stefan, nun würde ich Dich gerne das ein oder andere zu Deinen Texten fragen…

Vesteht man denn was? Wir haben die ja gar nicht abgedruckt…

Ich habe sie mir von Eurer Homepage besorgt.

Ah ja…

Nun, die Texte sind sehr interessant, aber ich glaube nicht, daß ich sie alle verstanden habe…

Das ist gut, das würde mich auch sehr wundern (lacht). Aber erst mußt Du mir sagen, was Du mit interessant meinst, das ist ja noch in alle Richtungen auslegbar! (lacht)

Zunächst finde ich es interessant, daß Du immer wieder bestimmte Schlüsselworte verwendest. Zum Beispiel verschiedene Farbnuancen, allen voran Schwarz. Generell tauchen auch immer wieder textliche Motive auf, bei denen man annehmen könnte, Du hättest schwere Zeiten hinter Dir. Es klingt mitunter, als würde da ein Mensch vergangene Momente an sich vorbei ziehen lassen, die alles andere als erfreulich waren…

Das stimmt auf jeden Fall. Findest Du die Grundstimmung negativ oder eher beobachtend oder betrachtend? Denn so ist es eigentlich gemeint. Ich weiß, daß die Texte manchmal… ich würd`s einfach melancholisch nennen. Aber das hat auch seine Gründe. Die Texte sind durchaus autobiograpahischer Natur, und ich weiß auch noch so ziemlich bei jedem Text, in welchem Monat ich ihn geschrieben habe. Das war eine sehr intensive Zeit für mich, denn im August 1998, als wir das erste Album aufgenommen haben, hat mich meine damalige Freundin ungefähr eine Woche, bevor wir ins Studio gegangen sind, angerufen und mir mitgeteilt, daß sie keine Lust mehr auf unsere Beziehung hätte. Das war nach zweieinhalb Jahren und es war meine erste längere und ernsthafte Beziehung. Das zweite Album fällt vom Komponieren und Songwriting genau in diese Zeit. Das hat an dem Tag angefangen, als ich den Anruf bekommen habe und es hat bis zu dem Tag gedauert, an dem wir zu den Aufnahmen ins Studio gegangen sind, bis ich das verarbeitet hatte. Das waren also eineinhalb Jahre. Das Komponieren und Texten läuft bei uns beziehungsweise bei mir so: Die Lieder entstehen einfach immer nach der Musik, da ich die ja auch nicht alleine komponiere. Die Musik ist also immer zuerst da. Wie die Texte bei mir entstehen, ist sehr interessant. Ich hab` das lange nicht gemerkt, aber dann mal darauf geachtet: Wenn ich ein Lied komponiere und die Gesanglinie dazu, dann habe ich schon Wörter im Kopf. Wenn ich auf dem Klavier rumklimper und dazu singe, passiert es, daß bestimmte Worte an manchen Stellen einfach immer wieder kommen, obwohl sich das nicht reimt und auch Nic Kobold – Guitars & Keyboardszwischendrin Worte dabei sein können, die es im Englischen gar nicht gibt. So entstehen lautmalerische Ansätze, die ich auf jeden Fall beim Texten berücksichtige. Sprich, ich habe in meinem Kopf den Rhythmus, den ich singen will und ich habe schon manche Farben und Worte im Kopf und schreibe dann um diese herum meine Texte. Das ist dann glaube ich auch der Grund, warum diese sehr bildhaft und nur selten konkret ausfallen. Es ist schließlich nicht immer einfach, noch einen Sinn draufzusetzen, wenn man schon Klänge im Kopf hat. Der eigentliche Text entsteht also ganz am Ende, spiegelt dann aber durchaus das Gefühl wider, das ich in diesem Moment in mir habe. Am besten kann ich das an `Traveller` festmachen, denn das war das erste Lied, das ich nach der Trennung geschrieben habe. Und da geht es einfach darum, daß man merkt, daß eine neue Zeit anbricht, daß alles im Fluß ist, und daß du halt täglich den Weg, den du dir vorgezeichnet hast, neu überdenken mußt. Denn die Umstände ändern sich einfach. Es kann Dir immer passieren, daß die Menschen, die um Dich herum sind, ändern können. Und das sind bei mir bei mir die Menschen, denen ich mich ziemlich innig verbunden fühle, nicht nur so “Hallo und tschüß”-Freunde, sondern eben solche, mit denen die Beziehung wirklich sehr innig ist. Auch die können sich ändern, und davon handelt eben dieses Lied, Der “Traveller” ist halt immer auf der Suche nach seinem Weg, und das einzige, was sich kontinuierlich fortbewegt, ohne daß er irgendetwas machen kann, das ist die Zeit und der damit verbundene Wandel. Das war jetzt mal exemplarisch. Solche Gedanken hatte ich eben im November 99, also eineinhalb Monate nach der Trennung, und sowas fließt dann in den Text mit ein. Mit Ausnahme der letzten drei Songs, die ich für das Album geschrieben habe und bei denen ich alles schon etwas verarbeitet hatte, beschäftigen sich alle Texte mit diesem Thema der Trennung.

Stimmt, dieser Themenblock Trennung, Verlust, aber auch Sehnsucht ist allgegenwärtig…

Ja. Wobei ich grundsätzlich nicht jemand bin, der sich der Trauer ergibt. Eigentlich bin ich ein richtig fröhlicher Mensch. Wenn Leute, die mich nicht gut kennen, unsere Musik hören, sagen sie, die würde überhaupt nicht zu mir passen. Aber das ist auch eine Art Ausgleich Ich denke, ich kann auch deshalb so positiv und gut gelaunt auf andere wirken, weil ich solche Gedanken in meinen Texte ausleben kann. Da muß ich halt nicht den ganzen Tag traurig rumhängen. Ich spiel` halt abend wieder ein trauriges oder aggressiveres Lied und kann dann wieder gut gelaunt oder zumindest positiv gestimmt in den nächsten Tag gehen. Das ist jetzt so die Philosophie, die für mich auch hinter JESTER`S FUNERAL steckt, abgesehen davon, daß es natürlich auch richtig Spaß macht, in so einer Band zu spielen. Das ist für mich auch so ein bißchen ein Auffangbecken.

Den Text von `Astrocry` finde ich recht interessant. In welche Zeitphase fällt der?

Das ist einer der letzten drei, die ich geschrieben habe…

Das dachte ich mir. Der Text hebt sich ein wenig von den anderen ab…

Genau. Sag erst mal, was Du denkst, ich bin mal gespannt!

Wenn ich die Zeilen wörtlich nehme, dann würde das wohl einen Menschen umschreiben, der zwar die besten Absichten verfolgt und bestimmte Dinge aufbauen und verbessern möchte, der und aber im Laufe der Zeit das Ziel vor Augen verliert, wodurch letztlich alles in einer Katastrophe endet. Und dieser Person bleibt dann nur noch die Rolle des hilflosen Beobachters, der das, was er begonnen hat, nicht mehr rückgängig machen kann…

Genau, genau, hundert Prozent! Und diese Person in `Astrocry`, das sollte Gott sein. Ob man an ihn glaubt oder nicht, ist noch mal ein anderes Thema. Bei all dem Glauben der Menschen, daß alles gottgewollt und von Gott gelenkt sei, stelle ich mir manchmal vor: Wenn es ein Wesen gäbe, das alles geschaffen hat, wie fühlt es sich dann. Vielleicht ist das einfach jemand, der etwas Gutes im Sinn hatte, als er die Welt geschaffen hatte, was ich ja auch so geschrieben habe: “I thought of love and human nature, trees and lakes and sympathy”. Er hat sich schöne Dinge ausgemalt und die auch geschaffen, mußte dann aber feststellen, daß das alles aus dem Ruder läuft, daß Entwicklungen im Gang sind, die er so erstens nicht gewollt hat, und in die er, was noch wichtiger ist, nicht mehr eingreifen kann. Deshalb auch diese Zeile “Somewhere Lost In Space”: Ich stelle mir halt vor, dieses Wesen schwirrt irgendwo im Universum umher, muß das alles beobachten und kann nicht mehr zurück. Und diesen Zustand wollte ich mit dem Song-Titel verbinden, den es so als englischen Ausdruck ganz bestimmt nicht gibt. Das war einfach mal so ein Gedanke. Und was vor allem bei mir noch dazu kam, war, daß es mich einfach ein bißchen nervt, wenn Leute Fehler, die sie selbst begehen, als gottgewollte Intervention abtun wollen. Ich denke da auch gerade an Kriege die ja oft als Kampf gegen den falschen Glauben gerechtfertigt werden. Wenn es wirklich einen Gott gibt, dann hat er wahrscheinlich als Letztes gewollt, daß sich die Leute wegen ihm die Köpfe einschlagen.

Würde ich unterschreiben… nun zum Song mit dem kuriosen Titel `Brontosaurus666`. Was soll uns das sagen?

(lacht) OK, das ist nun fast schon wieder als Persiflage gedacht. Die Musik war zuerst da, und wenn wir das Stück im Proberaum gespielt haben, es angezählt wurde und die ersten Töne mit diesen schleppenden Riffs kamen, bin ich immer so ein bißchen durch den Proberaum gestapft. Ich habe mich also wirklich sehr schwerfällig und stampfend bewegt, weil ich das Riff irgendwie so tief und schwer und gemein fand. Stefan Schmidt – Guitars & Vocals Und dann kamen wir halt irgendwann auf Dinosaurier und ich hab` dann sofort “Brontosaurus” gesagt, ich wußte überhaupt nicht mehr so richtig, ob`s den gibt. “Tyrannosaurus” ist mir gerade nicht eingefallen. Nun, es gibt ja den “Prontosaurus” mit “P”, aber dass war mir dann auch egal. Bei dem Song stand also der Titel, bevor ich den Text geschrieben habe. Im Text als solchen das kommt das Wort “Brontosaurus” gar nicht vor, das ist inhaltlich schon wieder etwas Persönliches. “Brontosaurus” war halt einfach nur eine lautmalerische Beschreibung des Riffs und wie es auf mich wirkt. Und da dachten wir uns, der Titel ist jetzt schon so (lacht)… also ich will jetzt nicht “blöd” sagen, aber so wie er halt wirkt, so ein bißchen klobighalt, da haben wir gesagt, wenn wir jetzt noch dieses Metal-Klischee Nr. 1, nämlich die drei Sechsen hintendran setzen, dann ist das auch wirklich als Übertreibung zu verstehen. Der Titel als solcher hat also keine tiefere Bedeutung. Es kamen schon ein paar Reviews aus den USA, die sich alle daran aufgehängt haben. Naja, ist auch ganz gut, da hat man denn wenigstens immer ein Gesprächsthema.

Ich hatte dahinter zuerst eine Black Metal-Persiflage vermutet…

(lacht) Na gut, das ist`s jetzt vom Tempo her schon mal gar nicht…

Wär` doch nicht schlecht: Der satanische Dinosaurier oder so…

(Lacht) Der nur Christen frißt…

Genau!  Der Text an sich ist allerdings schon etwas ernster…

Ja, der Song beschäftigt sich eigentlich mit dem Tod. Es drückt aus, daß eigentlich jeder weiß, daß der Tod irgendwann kommt. Gleichzeitig steckt der Gedanke drin, jeden einzelnen Tag, den man leben kann, positiv zu gestalten. Der Carpe Diem-Gedanke also. In der ersten Strophe ist das einfach nur eine melancholische Beschreibung der Situation: Man hat viel erlebt und merkt, daß es nun dem Ende zugeht. Man weiß, daß man jetzt gehen muß und daß einfach die Zeit gekommen ist. In der zweiten Strophe ist dann die Hauptaussage “If today is a bad day, two better days are waiting right for you”. Man sollte also das Positive sehen und seine Kraft, die man hat, solange man lebt, dazu nutzen, ein positive Einstellung zum Leben zu entwickeln und das auch anderen mitzugeben,. Die letzte Strophe heißt dann: “There`s someone with you until the end”, also der Gedanke, daß man nicht alleine ist, alleine schon durch die Tatsache, daß es allen Menschen so geht, daß wir älter werden und irgendwann abtreten. Der Gedanke ist letztlich, das Alter und die Vergänglichkeit zwar zu sehen, sich dabei aber gleichzeitig etwas Schönes und eine positive Ausstrahlung zu bewahren. zu bewahren und einen positive Ausstrahlung auf andere zu haben. Die Grundstimmung ist schon alleine aufgrund des Tempos eine etwas Melancholischere.

Ist einer meiner Lieblingssongs des Albums…

Den hat unser Drummer allein komponiert. Er ist unser Hauptkomponist, weil er ganz gut Klavier spielen kann. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn er loslegt. Das Lied ist also komplett auf seiner Kappe gewachsen.

Kompliment an den Herren! Und weiter mit dem nächsten kryptischen Songtitel: `Hieronymus`…

Der stammt auch noch aus der Zeit nach der Trennung. Sag` Du erst mal…

Nun, ich habe mir die natürlich Frage gestellt, was oder wer Hieronymus ist und für was es oder er steht. Es könnte sowohl ein Schutzengel als auch ein Dämon sein, ebenso aber ein Aspekt der eigenen Persönlichkeit, ein Gefühl, das sich verselbständigt. Aber auch eine andere Person wäre denkbar, die gewissermaßen im eigenen Herzen wohnt...

Die zwei Hauptaspekte waren auf jeden Fall dabei. Ich denke, man versteht den Text wohl besser, wenn man weiß, daß sich die Strophen an eine andere Person richten als der Refrain. Die beiden Worte, die Du erwähnt hast, hätte ich jetzt auch genannt: das wäre zum einen der Schutzengel, zum anderen irgendetwas, was in einem wohnt. Der Text ist in einer Phase entstanden, in der ich das Gefühl hatte, der Zeit vor der Trennung sehr hinterher getrauert zu haben. Mir kam es manchmal so vor, als liefe in dieser ganzen Trennung viles ab wie in einem großen Spiel, also daß zum Beispiel der andere, von dem man sich getrennt hat, sich ganz offensichtlich abweisend verhält. Und daß da der Unterschied zwischen der Liebe, die man sich vorher gegeben hat, und der Abneigung, die man nach der Trennung zum Ausdruck bringt, besonders deutlich wird. Die Strophe handelt davon, daß ich sehr wohl weiß, daß das nur ein Spiel ist und daß ich auch weiß, wie die wirklichen Gefühle einzuschätzen sind, sprich: Wie es früher war und daß jetzt nicht auf einmal alles schlecht sein kann. Und im Refrain wende ich mich eben an das oder den oder die in mir, keine Ahnung, das/der/die mir halt irgendwie am nächsten ist. Nicht, daß ich schizophren wäre, aber ich unterhalte mich schon gerne mit mir selbst. Denn ich merke, daß die Tips oder Ratschläge, die ich jemandem geben würde, der sich so äußert, wie Gerrit Wolf – Guitarsich das in einem solchen Moment und in einer traurigen Phase tue, sich oft komplett von dem unterscheiden, was ich selbst in so einem Moment von mir gebe. Und deswegen ist es in so einer Phase für mich wichtig, daß ich mich selbst hinterfrage, mir klar mache, was ich da sage, und dann zu überlegen, wie ich normalerweise mit so einer Situation umgehe. Mir fällt diese Vorstellung allerdings leichter, wenn ich mich in eine andere Person hineindenke. Daher der Name “Hieronymus”. Das ist mir einfach so irgendwann in den Sinn gekommen, ich weiß auch nicht genau warum. Vielleicht weil es sich ein bißchen mystisch anhört und irgendwie nicht greifbar wirkt. Man verbindet das jetzt nicht mit einer bestimmten Vorstellung und hat jetzt kein Gesicht oder Bild im Kopf, wie das zum Beispiel bei “Brontosaurus”. Das ist einfach irgendetwas, was jetzt etwas mystisch klingt, aber eigentlich bin ich es selbst. Doch ich geben dem einen anderen Namen, weil es dann einfacher ist, diese innere Konversation darzustellen. `Hieronymus` ist für mich der Texte, der mit Abstand am schwersten zu verstehen ist. Auch für mich selbst ist es schwer nachzuvollziehen, was die einzelnen Teile bedeuten, denn da war ich wirklich in einer Phase, in der ich sehr mit mir selbst beschäftigt war, und mir gingen auch viel zu viel Gedanken auf einmal durch den Kopf, die ich tagelang mit mir herrumgeschleppt habe. Daher kann ich auch nur noch die Grundstimmung wiedergeben und wie ich generell mit solchen Dinge umgehe. Ich könnte aber nicht mehr wirklich sagen, was ich mir bei den einzelnen Teilen im Moment des Schreibens gedacht habe. Das ist auf jeden Fall noch einer der Texte, die sehr von dieser ganzen Trennung geprägt sind.

Was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn Du diese Texte jetzt, nachdem ja noch mehr Zeit vergangen ist, wieder vor Dir siehst und auf der Bühne interpretierst?

Also, der Anlaß, aus dem heraus die Texte entstanden sind, macht mir nichts mir aus. Das würde mir auch nicht gefallen, denn ich schreibe die Texte ja auch, um so etwas zu verarbeiten. Wenn sich dann nichts ändern würde, wäre das ja nicht so toll. Was Live-Auftritte angeht, muß ich ganz ehrlich sagen, daß ich in dem Moment, in dem ich die Texte singe, nur an die einzelnen Worte, an meine Stimme und die Töne denke. Ich mache mit da nicht bei jeder Zeile über das Thema des Songs Gedanken, und ich hab` überhaupt keine Probleme damit, die zu singen. Wenn ich die Texte jetzt so lese, merke ich schon, daß ich sie immer noch sehr gut bestimmten Zeiten und Tagen und Monaten zuordnen kann, und das finde ich eindeutig positiv. Denn dadurch habe ich in Zukunft immer etwas, wo ich sagen kann: Da warst Du so richtig scheiße drauf und hast eineinhalb Jahre an Dir selbst gearbeitet, um das zu verarbeiten, hast mit Dir selbst gesprochen und Texte geschrieben. Und das hat ja definitiv geklappt, denn ich bin ja jetzt wieder OK, froh und glücklich. Ich bin also auf keinen Fall traurig, wenn ich die Texte wieder lese, ich denke dann zwar an die Zeit, in der ich wirklich sehr traurig war, nehme es aber als positives Zeichen, daß ich sie dazu benutzen konnte, das alles aufzuarbeiten.

Jetzt gibt es ja Künstler, die von sich sagen, sie bezögen all ihre Inspiration ausschließlich aus den weniger angenehmen Zeiten des Lebens. Ist das bei Dir ähnlich?

Nein, auf keine Fall. Beim ersten Album hatte ich kein vergleichbares Erlebnis und da hatte ich auch kein Problem, die Texte zu schreiben. Ich denke mal, da fehlt vielleicht ein bißchen die Kontinuität, denn das war nicht nur ein großer Themenkomplex, sondern einfach unterschiedliche Gedanken. Ich muß also einfach nur Gedanken haben, das müssen keine negativen sein. Ein bißchen Melancholie ist vielleicht immer da, aber das spiegelt sich bei mir in allen Sachen wider, mit denen ich mich beschäftige. Ich lese auch eher Fantasy-Literatur als lustige Bücher, und wenn mir mal nach etwas Unterhaltsamen will, dann lese ich ein Donald Duck-Comic. Die Dinge, die mich berühren und meine Gemütslage beeinflussen, sind grundsätzlich ein bißchen die melancholischen. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist. Auf jeden Fall aber glaube ich nicht, daß ich in Zukunft Probleme haben werde, Texte zu schreiben, nur weil es mir besser geht. Das wäre auch echt traurig. Ich meine, es können ja auch andere Dinge in Deinem Leben geschehen, die emotional sehr überwältigend sein können, ohne daß sie grundsätzlich negativ sein müssen. Ganz konkretes Beispiel: Verliebtsein. Da fließen die Texte auch nur so, und das ist sicherlich nicht traurig. Man muß halt selbst dafür sorgen, daß einem der Stoff nicht ausgeht…

Über das Thema Melancholie hatten wir und ja auch schon im RockHard-Forum unterhalten. Ich denke, dieses Empfinden ist etwas, das manchem wohl generell innewohnt. Meine persönliche Lebenssituation ist beispielsweise nahezu perfekt: Ich führe eine glückliche Beziehung, beruflich läuft alles gut, ich habe alles was ich brauche und eigentlich überhaupt keinen Grund , in irgendeiner Art und Weise traurig vor mich hin zu sinnieren. Und dennoch liebe ich melancholische Musik, Literatur, Filme und überhaupt jede Form von künstlerischem melancholischem Ausdruck. Es scheint wohl in meiner Natur zu liegen…

Bastian Emsig – DrumsGenau. Ich find es gut, daß du das so beobachtest, daß Du Deine Situation so weitgehend einschätzen kannst um sagen zu können, daß es Dir gut geht. Denn ich finde die Leute schlimm, die einem ständig die Ohren volljaulen, wie schlecht es ihnen doch gehe. Ich meine, das Argument, daß es immer andere gibt, denen es noch schlechter geht, zieht natürlich nicht, denn wenn es einem schlecht geht, geht es einem schlecht. Aber ich finde es schön, daß Du das so einschätzen kannst, daß Deine Lebenssituation eine gute ist. Ich finde Melancholie einfach angenehm, solange sie nicht in Selbstmitleid umschlägt beziehungsweise in eine Art von Gefühlsäußerung, mit der man anderen fast schon wieder auf die Nerven gehen kann. Ich persönlich habe da überhaupt keine Probleme mit. Im Gegenteil, ich glaube, daß das einen Großteil, der positiven Energie ausmacht, die man in sich trägt und auch nach außen weitergibt, wenn man auf der anderen Seite auch mal so richtig traurig und melancholisch sein kann. Wenn solche Dinge nicht im Gleichgewicht sind, dann schlägt das ziemlich schnell um.

Der Mensch ist eben ein komplexes Wesen und die Gefühlsspektren einzelner mögen zwar unterschiedlich verteilt sein, aber letztlich wohnt einem ja doch ALLES inne: Trauer, Wut und Aggression ebenso wie Liebe, Freude, Hoffnung und so weiter…

Ja…

Noch mal zu etwas anderem: Du hast vorhin von Fantasy-Literatur und Büchern gesprochen. Gibt es bestimmte Autoren und Werke, die Dich beeinflußt oder geprägt haben?

Also, Bücher beeinflussen mich nicht direkt, sondern eher in meiner Grundstimmung und in meiner Fähigkeit, mich komplexeren Gedanken zu stellen. Das Buch, das mich am meisten beeindruckt hat, weil es auch das erste dicke Buch, war, das ich durchgekriegt habe, war natürlich “Herr der Ringe”…

Da haben wir etwas gemeinsam…

Ja? (lacht) Manchmal glaube ich auch, das MUSS man so sagen, aber es war wirklich so! Vorher habe ich jedes Buch über 200 Seiten weggelegt oder überhaupt nicht erst angerührt “Herr der Ringe” hab` ich dann am Stück durchgelesen, das kannte ich so überhaupt nicht von mir. Darauf folgte dann erstmal “Herr der Ringe” in Englisch (lacht). Das hatte mir mein Bruder empfohlen, weil das noch mal ein Stück beeindruckender sei. Und das war`s dann auch. Und dann habe ich angefangen Bücher zu lesen, in denen das tolkiensche Verfahren kopiert wurde. Das hat mit Hohlbein begonnen, von dem ich zehn Bücher im Schrank habe. Die habe ich auch alle gelesen, aber eigentlich muß ich sagen: zwei Holger Wies – Basshaben mir noch richtig gut gefallen, aber beim Rest merkt man dann halt irgendwie, das er das, was er macht, selbst ein bißchen auf die Schippe nimmt. Und da tat es mit dann unheimlich gut, Terry Pratchett (Autor der “Scheibenwelt”-Romane – der Verf.) zu lesen, weil der das ja ganz offensichtlich persifliert. Und das macht mir dann wieder Sapß, wenn jemand mit Klischees spielt, ohne sich darüber lustig zu machen. Ich denke, bei Terry Pratchett merkt man halt immer, daß er selbst darauf steht. Der kriegt Gänsehaut wenn er Romane mit Kriegern und Schwertern liest, und hat auf der anderen Seite aber auch die Fähigkeit, so etwas Lustiges und durchaus Tiefsinniges zu schreiben. Ich mag am Fantasy-Genre, daß es so spannend ist und man in andere Welten abtauchen kann. Ja, sowas lese ich gerne…

Und wie steht es mit Oscar Wilde? An dessen Roman “Das Bildnis des Dorian Gray” mußte ich nämlich bei dem Songtitel `Dorian` denken…

Ach so! Ja, stimmt, da kann man auch dran denken. Da habe ich mal einen Film gesehen, der war ganz furchtbar schlecht…

Welche Verfilmung war das?

So von 1992 vielleicht?

Die kenne ich nicht. Es gibt eine von 1945, die wirklich gut ist…

Der war jedenfalls weder tiefsinnig noch gruselig, und das Buch habe ich nie gelesen. Damit hat es also nichts zu tun. `Dorian` ist einer der letzten drei Songs, die ich geschrieben habe. Ich war da echt gut drauf, und habe den Text im Studio geschrieben. Es geht um jemanden, der schläft, morgens aufwacht und merkt, daß er verletzt ist. Schließlich findet er heraus, daß er sich die Wunde selbst beigebracht hat. Das ist jetzt auch ein ziemlich konkreter Text, keine Allegorie oder so, eher ein bißchen drehbuchartig. Wenn ich zu einem der Songs ein Video drehen müßte, dann würde sich das `Dorian` am ehesten anbieten, weil wirklich eine Story dahinter steht und weniger eine Aussage oder ein Bild. Es ist die Geschichte einer Person, die nach und nach merkt, daß nachts Kräfte auf ihn wirken, die ihn dazu bringen, sich selbst zu verletzen.

Und hier endet denn auch der zweite Teil des JESTER`S FUNERAL-Interviews. Part 1 gibt`s hier, die JESTER`S FUNERAL-Homepage hier, und die nächste ausgiebige Wortschlacht mit Sicherheit dann, wenn diese vielversprechende junge Band den Nachfolger von “Quicksilverlight” in die Läden bringt…

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