Downfall Of Gaia 2023 by David Stöcklin

DOWNFALL OF GAIA: Hassliebe und Happy End

Statt weiter in Richtung Atmospheric Black Metal zu driften, beleben DOWNFALL OF GAIA mit ihrem sechsten Album „Silhouettes Of Disgust“ die Liebe zu ihren Wurzeln. In 45 Minuten erzeugt das deutsch-US-amerikanische Quartett einen nihilistischen Mahlstrom zwischen Post Black Metal und Crust, bei dem sowohl furiose D-Beats als auch melancholische Elemente ihren Platz haben. Weshalb es eine lange Pause gab, wie Ur-Gitarrist Peter Wolff wieder zur Band stieß und wie er den kreativen Prozess zum Album beeinflusst hat, beantworten dieser und Frontmann und Gitarrist Dominik Goncalves dos Reis per Mail.

Vier Jahre zwischen zwei Alben ist für die Verhältnisse von DOWNFALL OF GAIA eine recht lange Zeit. Daran waren sicher die Pandemie und der Besetzungswechsel schuld, richtig? Wie habt ihr die vergangenen vier Jahre erlebt?

Dominik: Um ehrlich zu sein, haben wir unsere Instrumente kein einziges Mal angefasst. Am Anfang war es natürlich erstmal ungewohnt, aus der gewohnten Blase gerissen zu werden. Ich denke aber, im Endeffekt hat es uns als Band auf eine gewisse Art und Weise auch gut getan. Jeder hat sich in den Jahren so ein bisschen um seine eigenen Baustellen gekümmert und wir haben tatsächlich erst mit dem Songwriting zum neuen Album begonnen, als wir auch die Lust dazu verspürt haben. Und natürlich auch, als so langsam Licht am Ende des Tunnels zu erkennen war, was die Pandemie anbelangt. Das hat jede Band wahrscheinlich anders gehandhabt, aber diese ganzen Streaming-Events und Co., das war wirklich nicht unsere Welt. Da haben wir es lieber direkt gelassen und jeder hat sein eigenes Ding gemacht.

Seit bald 10 Jahren sind DOWNFALL OF GAIA eine internationale Band, das ist recht gefestigt. Fühlt sich dennoch seit der Pandemie die Entfernung zwischen eurem Drummer Michael Kadnar und dem deutschen Rest von euch größer an, so als wäre die Welt nicht mehr so kompakt wie früher? Oder hat sich das im vergangenen Jahr wieder gelegt?

Peter: Dadurch, dass wir tatsächlich fast 2 Jahre die Bremse gezogen hatten, war der Kontakt auf jeden Fall weniger und die Entfernung dadurch viel deutlicher. Zuvor hatten wir uns ja mehrfach im Jahr gesehen. Ich denke, das wird sich aber bald wieder normalisieren, wenn wieder die ersten Konzerte und Touren starten.

Sorry, falls es sich provokant anhört, aber: Fiel das Songwriting nach fünf Alben schwerer als zuvor, bzw. hat es länger gedauert, bis ihr wieder Inspiration gefühlt habt? Mir fällt oft auf, dass Bands, je länger die Karriere dauert, umso länger für neues Material benötigen. Ist der kreative Prozess schwieriger, je länger eine Band aktiv ist, weil vielleicht schon zu viel gesagt ist oder der Schwung abhandenkommt?

Dominik: Es wird mit der Zeit auf jeden Fall nicht einfacher, das stimmt schon. Unsere Möglichkeiten und die eigenen Skills sind limitiert und irgendwann fängt man an, sich im Kreis zu drehen. Wir sind halt alle keine Gitarren-Virtuosen und müssen mit den Mitteln arbeiten, die uns zur Verfügung stehen. Ich komme beim Songwriting mittlerweile sehr oft an meine Grenzen, sei es musikalisch oder auch bei den Texten und es kann ein ziemlich ermüdender Prozess sein. Allerdings muss ich ebenfalls sagen, dass wir wahrscheinlich noch kein Album so schnell und smooth geschrieben haben, wie „Silhouttes Of Disgust“. Ich denke, die kleine Auszeit der letzten Jahre hat uns am Ende allen sehr gut getan.

blankGenerell wirkt „Silhouttes Of Disgust“ spontaner als zuvor, so als wäre das Songwriting relativ leicht von der Hand gegangen und als hätten sich die angestauten Ideen in relativ kurzer Zeit entladen. Stimmt das? Wie lief es dieses Mal ab?

Peter: Für den Start haben wir recht lange gebraucht und auch lange Ideen ausgetauscht, wie das neue Album werden soll. Als es dann aber feststand und wir einen roten Faden entwickelt hatten, lief das Songwriting recht schnell und flüssig. Wir haben uns immer neue Songideen geschickt und konnten so auch über die Entfernung sehr gut zusammen an dem Album schreiben. Es war ein großer Unterschied zu „Aeon Unveils The Thrones Of Decay“, dem letzten Album was wir in dieser Konstellation gemeinsam geschrieben haben. Das hatten wir damals noch gemeinsam, ohne die Hilfe digitaler Technik, im Proberaum geschrieben.

Besonders fällt natürlich auf, dass ihr als „Post Black Metal-Crust“-Band erstmalig seit der 2009er Tour-EP tatsächlich Crust-Elemente in Form von D-Beats in der Musik habt, was ich persönlich liebe. Für euch schließt sich auf diese Art ein Kreis. Wie kommt es, dass diese Elemente erst jetzt so deutlich in der Musik sind, als Band, die nie ihre Wurzeln verleugnet hat?

Peter: Nach der „Epos“-LP haben wir uns sehr auf Post- und Black Metal-Elemente konzentriert. Das war damals neu, sehr erfrischend und inspirierend für uns. Vielleicht war es meine Rückkehr in die Band, die lange Pause oder die sich dramatisch und schnell verändernde Weltsituation, die uns alle spüren lassen hat, dass wir uns wieder auf unsere alten Werte konzentrieren wollten. Wir wollten wieder mehr Crust- und D-Beat- Elemente einbauen, ohne aber einen Schritt zurück zu gehen.

Peter ist nach sieben Jahren wieder zur Band zurückgekehrt, die Türen waren aber nie verschlossen. Hat er sich wieder zeitlich freigekämpft? Wie lief der Wechsel ab?

Dominik: Im Grunde war das eine relativ unkomplizierte Geschichte. Ich habe ihn angerufen und gefragt. Er hat sich etwas Bedenkzeit genommen, alles mit Kind und Kegel besprochen, und zum Glück gab es das Happy End. Hätte Peter abgelehnt, wüsste ich wirklich nicht, was heute mit DOWNFALL OF GAIA sein würde. Ich denke, wir hätten zu dritt weiter gemacht oder es tatsächlich ganz gelassen. Wir waren einfach müde, neue Leute in der Band zu haben und die Priorität lag diesmal vor allem anderen definitiv auf einem guten Miteinander. Wir waren in all den Jahren natürlich auch noch gut befreundet. Es ist jetzt also nicht so, das der Anruf aus dem Nichts kam. Und jetzt probieren wir das alles in einem möglichst gesunden Gleichgewicht zu halten. Familie, Jobs, Privatleben, Band. Das war früher auf jeden Fall auch etwas anders. Aber Kompromisse müssen mittlerweile sein.

Peter war in der Zwischenzeit nicht untätig und hat Ambient-Projekte unter seinem Namen veröffentlicht. Dass beispielsweise in „Where Bloodsprings Become Rivers“ Synthesizer unter die Blasts und D-Beats gelegt wurden, kam somit auch von ihm, richtig? Waren solche atmosphärischen Add-Ons Ideen, die im Studio hinzukamen?

Dominik: Dass Peter sich in der Zwischenzeit auf elektronische Projekte konzentriert hat, kommt uns auf dieser Platte auf jeden Fall zu Gute. Wir haben tatsächlich schon mal probiert, Synthesizer zu integrieren. Damals konnte aber niemand von uns diese bedienen und es klang fürchterlich. Deswegen haben wir es dann doch lieber gelassen. Die Idee, elektronische Elemente zu nutzen, stand diesmal allerdings schon vor dem Songwriting. Wir haben uns einen klaren Plan gemacht, wohin die Reise gehen soll und wussten demnach schon vorab, dass wir diesen Weg gehen werden. Und so sind wir dann auch ans Schreiben der Songs gegangen. Aber klar – programmiert hat das am Ende Peter. Aber der Songaufbau war in dem Stil vorab geplant und wurde auch so geschrieben.

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Apropos Studio: Das Album klingt schlicht fantastisch, gerade im Bereich Gitarren- und Basssound. Dabei lief nicht alles nach Plan, ihr musstet die Studiozeit wegen einer Covid-Erkrankung umplanen und seid in Peters Homestudio gelandet, zumindest für die Gitarren und Bässe. War das im Nachhinein betrachtet vielleicht euer Glück? Oder hätte es klanglich kaum Unterschied gemacht? Klingt das Album vielleicht so frisch und energetisch, weil ihr Energie aufwenden und die Studiozeit umplanen musstet?

Peter: Genau, die Gitarren, Bass und Gesang mussten wir kurzerhand in meinem Studio aufnehmen. Das Re-Amping haben wir dann aber wie geplant in der Wellenschmiede gemacht. Im Nachhinein betrachtet sind wir recht zufrieden wie das Recording lief, denn wir hatten viel Ruhe, Zeit und nur wenig Einflüsse von außen. Wir haben dadurch definitiv mehr am Gitarren Feinschliff gearbeitet, als es bei allen Sessions zuvor der Fall war. Auch dem Gesang hat dies sehr gut getan. An dem tollen und frischen Sound der Platte sind aber vor allem unser Mixer Timo Höcke und unser Mastering-Engineer Jonas Romann Schuld, mit denen wir zum ersten Mal zusammen gearbeitet haben.

“Um ehrlich zu sein, waren wir alle von den langen 8-10 Minuten Songs etwas übersättigt und hören das selber privat auch nur noch selten.” – Peter Wolff über die neue Kompaktheit der Songs von DOWNFALL OF GAIA.

DOWNFALL OF GAIA haben nie Hits geschrieben, aber eure Songs sind immer kompakter geworden, „Silhouettes Of Disgust“ ist nun das zugänglichste Album. War das auch ein Reifeprozess, dass nicht alles immer extrem komplex sein muss und dass es ein guter, alter D-Beat mit melancholischer Gitarrenharmonie auch tut?

Peter: Um ehrlich zu sein, waren wir alle von den langen 8-10 Minuten Songs etwas übersättigt und hören das selber privat auch nur noch selten. Wir wollten knackige Songs komponieren, die sich auf das Wesentliche konzentrieren. Ich würde es nicht als Reifeprozess bezeichnen, denn ich denke, es ist einfach Geschmacksache. Für uns war es diesmal wichtig, zugänglicher, offener und luftiger zu werden.

Überhaupt, Melancholie. „Silhouettes Of Disgust“ ist in meinen Ohren das Album von euch, das Trauer am ehesten einen Raum gibt, gerade in Bezug auf die Harmonien, auch in Verbindung mit D-Beats bei „Unredeemed“. Seid ihr selbst melancholische Menschen?

Dominik: Ich kann in dem Fall natürlich nur für mich selbst sprechen, würde aber sagen, ich bin definitiv kein melancholischer Mensch. Warum wir klingen, wie wir klingen, ist auch immer nicht so ganz einfach zu beschreiben. Es ist halt das, was am Ende dabei rauskommt, wenn wir zusammen Musik machen. Und jeder leistet seinen eigenen kleinen Beitrag dazu.

Ich verfolge euch seit über zehn Jahren, aber erst mit diesem Album ist mir aufgefallen, was die Faszination an DOWNFALL OF GAIA ausmacht: Ihr bedient das ganze Gefühlsspektrum, von Wut über klaustrophobische Angst hin zur Trauer. Aber es dauert ein wenig, bis klar ist, welches der Gefühle gerade vorherrschend ist. Das überfordert sicher einige Hörer*innen, lässt diejenigen, bei denen es „klick“ gemacht hat aber auch tiefer in die Musik eintauchen. Für den Menschen ist es ja auch wichtig, sich immer wieder klarzumachen, wie es um das Gefühlsleben bestellt ist. Wie seht ihr das? Welches Gefühl ist für euch persönlich vorherrschend, wenn es um die Musik geht? Ist Musik überhaupt für euch dazu da, Gefühle auszudrücken?

Peter: Auf jeden Fall. Musik hat bei mir sehr viel mit Gefühlen zu tun. Ob es beim Schreiben oder beim Hören ist. Wenn ich Musik schreibe, ist das eine starke Verarbeitung meiner eigenen Gefühle und Emotionen in diesem Moment. Wenn ich selber Musik höre, dann beeinflusst mich diese auch sehr stark und dient dann meist als Verstärkung meiner momentanen Gemütslage. Welches Gefühl dann immer vorherrschend ist, kommt ganz auf die ausgewählte Musik an.

Das einzige Stück auf „Silhouettes Of Disgust“, das mich etwas irritiert, ist „Final Vows“, einer eurer kürzesten Songs überhaupt. Er klingt fragmentarisch und hätte stilistisch zu „Suffocating In The Swarm Of Cranes“ gepasst. Gibt es eine spezielle Geschichte zu dem Stück? Ich will es auch so lieben, wie die anderen sieben.

Peter: Da hast du recht, der Song hätte ziemlich gut zu „Suffocating In The Swarm Of Cranes“ gepasst. Dies finde ich aber auch eine tolle Bindung, denn ich denke, dass „Suffocating In The Swarm Of Cranes“ für die Band mit das wichtigste Album darstellt. Ich muss dich hier aber enttäuschen, eine spezielle Geschichte gibt es zu „Final Vows“ nicht. Ich finde gerade am Anfang den Gegensatz zwischen den nach Industrial klingenden Gitarren und Samples, welche harte Cuts haben und dadurch sehr störrisch wirken und der lange klingenden und langsamen Melodie sehr spannend, aber auch verstörend.

„Bodies As Driftwood“ hat dieses wundervolle Post Punk-Intro. Etwas, das ihr in dieser Form auch noch nie hattet und das an spätere PLANKS denken lässt. Dazu habt ihr auch ein schönes, melancholisches Video gedreht. Die Protagonistin wird durch die Nacht aus ihrem immergleichen Alltag befreit. Ein Bürojob wäre nichts für euch, richtig?blank

Dominik: Tatsächlich sitze ich hauptsächlich am Laptop und arbeite als Freelancer. Allerdings steht es mir komplett frei, wo ich das tue und wie ich das tue. Ich glaube, der Alltag in einem „klassischen“ Büro würde mich schon ziemlich runterziehen. Nee, das wäre nichts für mich.

Überhaupt, die Lyrics. Ihr schreibt aus der Perspektive von unterschiedlichen Personen in einer Großstadt, die vermutlich stinkt, laut und septisch ist. Ich bin ein Landei und meide die Großstadt eher. Zieht es euch auch eher raus aufs Land? Seid ihr typische Stadtmenschen und kommt nur mit den Menschen nicht zurecht, bzw. hofft auf eine andere Zeit wie ihr es in „Eyes To Burning Skies“ beschreibt? Wie sieht eure ideale Stadt aus?

“Ich weiß nicht, wie meine ideale Stadt aussehen würde. Ich glaube, sowas gibt es nicht. Sobald zu viele Menschen am gleichen Ort sind, ist der Ärger vorprogrammiert.” – Dominik Goncalves dos Reis verbindet eine Hassliebe zu seinem Wohnort Berlin.

Dominik: Also ich wohne in Berlin und das ist schon eine ziemliche Hassliebe. Oft ist es mir zu viel und ich würde am liebsten raus aufs Land, aber nach kurzer Zeit fehlt mir der Trubel dann ebenfalls wieder. Ich weiß nicht, wie meine ideale Stadt aussehen würde. Ich glaube, sowas gibt es nicht. Sobald zu viele Menschen am gleichen Ort sind, ist der Ärger vorprogrammiert. Und eine Stadt ohne Menschen ist am Ende auch keine Stadt. Teufelskreis!

Spannend ist, dass ihr nicht nur musikalisch eure Wurzeln stärker betont, auch die Texte sind wieder überwiegend deutsch, wie auf früheren Alben. Liegt es daran, dass die deutschen Worte zu dieser Art bedrückender Lyrics besser passen?

Peter: Die deutsche Sprache unterstützt die Atmosphäre auf jeden Fall sehr. Irgendwie stand es nie so richtig zur Diskussion und es war von Anfang an klar, dass Dominik für dieses Album wieder auf Deutsch schreiben wird. Es hat sich am passendsten angefühlt.

Eine Abschlussfrage, die sich mir noch aufdrängt und doch etwas abseitssteht. Die Lyrics sind pessimistisch, das Artwork ist so grau, wie sich viele Menschen die Zukunft ausmalen. Ich sehe euch als Band von Realisten und da drängt sich das Thema Klimaangst auf, gerade wenn man Kinder hat. Seid ihr überhaupt Familienmenschen und wie geht ihr als Familienmenschen damit um?

Peter: Das ist eine schwere Frage, die sich in so wenigen Worte nicht ausreichend beantworten lässt. Der menschengemachte Klimawandel ist Fakt und ich glaube nicht mehr wirklich daran, dass der Mensch diesen noch verringern wird oder will. Dafür ist selbst in Zeiten wie diesen die Habgier, Selbstsucht und der Egoismus vieler Menschen viel zu groß. Die Augen werden für den schnellen Profit verschlossen. Es ist wohl letztlich nur noch die Frage, wie lange die Menschheit noch auf der Erde überleben kann.

Vielen Dank für eure Zeit, ich freue mich, schon auf eure kommende Tour. Die letzten Worte gehören euch.

Dominik: Vielen Dank für das Interview! Wir sind im April auf Tour mit IMPLORE und DEATHRITE! Alle Termine gibt es auf downfallofgaia.com

mit IMPLORE:
11.04. Backstage – München
12.04. Jugendhaus West – Stuttgart
13.04. Bandhaus – Leipzig
15.04. Zollkantine – Bremen
mit DEATHRITE:
19.04 Pul – Uden, NL
20.04. Rockpalast – Bochum
21.04. Bastard Club – Osnabrück
22.04. Headcrash – Hamburg
23.04. Cassiopeia – Berlin

Bandfoto (c) David Stöcklin, Livebilder (c) Tatjana Braun / vampster.com, Cover (c) Metal Blade Records

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