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POWER TRIP: Live in Seattle 05.28.2018

Mit „Live in Seattle 05.28.2018“ schenken POWER TRIP ihren Fans ein unpoliertes, authentisches Livealbum und kreieren damit einem der besten Frontmänner der 2010er Jahre ein kleines Denkmal

Willkommen zum Schreckliche-Fakten-Donnerstag: Fentanyl ist ein Schmerzmittel, dessen Überdosierung in den USA die häufigste Todesursache von Erwachsenen zwischen 18 und 49 Jahren darstellt. Ein prominentes, tragisches Schicksal ist hierbei Riley Gale, der im August 2020 im Alter von nur 34 Jahren verstarb. Und obwohl er mit seiner Band POWER TRIP nur 2 Alben, 2 EPs und eine Handvoll Splits vorweisen kann, besitzen seine Performance live und im Studio Legendenstatus. Kurz nach der Veröffentlichung von „Nightmare Logic“, das eine deutliche Steigerung zum Debüt „Manifest Decimation“ darstellt, durfte ich zum ersten und einzigen Mal POWER TRIP live erleben – und sie stellten nicht zuletzt wegen Riley Gale mit dessen unglaublichen Kraft und Spielfreude NAPALM DEATH in den Schatten.

Das auf einem Livealbum nachzuhören ist natürlich schwierig, gerade wenn eine Band wie POWER TRIP so sehr von ihrer Präsenz und Energie lebt. Nicht einmal Live-Videos können das einfangen, was ein echt erlebtes Konzert der Texaner rüberbringt. Eigentlich sind das relativ schlechte Voraussetzungen für ein Livealbum – und ohne Riley Gales Tod müssten wir dieses Dokument nicht als Trostpflaster annehmen, wir dürften vielleicht schon Album Nummer 3 hören. Dennoch, „Live in Seattle 05.28.2018“ ist ein kraftvolles Album und zeigt viel vom Können der Band, ist aber auch nahbar, denn es zeigt die Band mit Ecken und Kanten und abseits von Perfektion und Sterilität. Auch dass der Sound ein, zwei Minuten braucht, bis er wirklich ausgepegelt ist – anfangs ist die Sologitarre etwas leise geraten – hinterlässt ein authentisches Feeling.

Der Name verpflichtet: „Live in Seattle 05.28.2017“ fängt POWER TRIPs Energie authentisch ein und zeigt die Band mit Ecken und Kanten.

Wir sind also schnell drin, mitten im Pit bei POWER TRIP, an diesem Memorial Day 2018, vor der Pandemie, vor dem Schicksalsschlag, als wir dachten, diese fünf kommen jetzt und nehmen karrieremäßig aber sowas von Fahrt auf. So wie auch das Set der Band Fahrt aufnimmt, spätestens mit dem ultraschnellen „Suffer No Fool“ von der selbstbetitelten EP, wenn das Chaos regiert und der Sound kurzzeitig so kratzig wird, dass die Ohren pfeifen. Der Thrash-Hardcore-Mix von POWER TRIP kommt hier roh und unpoliert zur Geltung und wirkt genauso gut, aber eben etwas anders, wie auf den Studioalben mit ihrem unnachahmlichen Sound, der die Brücke vom neuen Jahrtausend in die Achtziger schlägt.

Dass POWER TRIP einige der stärksten Tracks von „Nightmare Logic“ gar nicht im Set stehen haben, ist ein schade, zeigt aber auch, was für eine Fülle an Hits die Band hervorgebracht hat. Je vier Songs der Studioalben plus zwei Songs der ersten EP füllen die knappe Dreiviertelstunde. „Soul Sacrifice“, „Firing Squad“ und „Heretic’s Fork“ sorgen je für ein kleines Schleudertrauma, die Hits „Executioners Tax“ und „Crossbreaker“ laden auch zu Hause zum beherzten Mosh ein. Klar, kurz ist „Live in Seattle 05.28.2017“ schon geraten, gilt nicht selten das ungeschriebene Gesetz, dass Livealben eine maximale Spieldauer haben sollten. Doch mit anderen Tracks auf eine Stunde aufgebläht, würde den Show-Charakter und damit die Authentizität der Aufnahme hier tatsächlich verloren gehen. „Live in Seattle 05.28.2018“ lebt und ist fern von auf Perfektion getrimmten Livealben, die in den letzten Jahren in zahlloser Vehemenz um Aufmerksamkeit und Geld buhlten.

Kompakter Spaß: „Live in Seattle 05.28.2018“ ist kurz und zeigt dennoch POWER TRIP mit all ihren Facetten.

Insofern ist POWER TRIP ein gelungenes, weil authentisches Gegenstück zum größte (Post-)Corona-Trend, dem Livealbum, geglückt. Vor allem die fanatischen Anhänger der Band dürften daher mit diesem Livealbum glücklich werden. Auch wer POWER TRIP bisher nicht schätzen gelernt hat, erhält hiermit einen guten Überblick über das Schaffen der Texaner und bekommt in kompakter Form einiger ihrer stärksten Hits zu hören. Das ersetzt natürlich kein Konzert und hinterlässt auch etwas Wehmut und Trauer. Ein Frontmann wie Riley Gale ist selten, seine Stimme, sein Stageacting, seine Persönlichkeit und seine Direktheit werden – wenn überhaupt – nur sehr schwer zu ersetzen sein. „To Be Continued“, sagt Riley am Ende von „Manifest Decimation“. Wer weiß, ob es wirklich weiter gehen wird für POWER TRIP. So bleibt ein Livealbum als Vermächtnis für einen der vielen, die Fentanyl zum Opfer gefallen sind.

VÖ : 23. Juni 2023

Spielzeit: 42:37

Line-Up:
Riley Gale – Vocals
Blake Ibanez – Guitar
Nick Stewart – Guitar
Chris Whetzel – Bass
Chris Ulsh – Drums

Label: Southern Lord Recordings

POWER TRIP „Live in Seattle 05.28.2018“ Tracklist

1 Drown (Intro)
2 Divine Apprehension
3 Suffer No Fool
4 Soul Sacrifice
5 Executioner’s Tax (Swing Of The Axe) (Ausschnitt bei YouTube)
6 Crucifixation
7 Heretic’s Fork
8 Conditioned To Death
9 Firing Squad
10 Manifest Decimation
11 Crossbreaker

Mehr im Netz:

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