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KHANATE: To Be Cruel

In den Händen von Wahnsinnigen: KHANATE nehmen auf ihrem Comeback-Album „To Be Cruel“ ihr Publikum in Geiselhaft.

Das Gehirn des Verfassers ist am 19. Mai 2023 um die Mittagszeit zu wenigen Gedanken fähig, außer: „What. The. Fuck.“ KHANATE sind wieder da? Ein wirklich neues Album, kein Archivfund, keine uralte Live-Geschichte, keine redundanten Dubversionen, und das alles aus dem Nichts? „Her damit“, sage ich und freue mich, dass meine an diesem Tag hundsmiserable Stimmung nun passend untermalt werden kann. Und wahrhaftig, KHANATE zermalmen gute Laune wie ein Panzer ein Matchbox-Auto. Wer sich nicht an KHANATE erinnert, sei gewarnt: Die Formation bestehend aus Sänger Alan Dubin, Gitarrist Stephen O’Malley, Bassist James Plotkin und Drummer Tim Wyskida betreibt Dekonstruktion wie niemand sonst und verpasst mit diesem ultranihilistischen Gebräu selbst den hartgesottensten Drone-, Doom- und Sludge-Anhängern Nierensteine.

So einmalig KHANATE immer schon klangen, so eng eingegrenzt ist ihr stilistisches Korsett, weshalb ihr Split nach dem eigentlich unhörbaren „Clean Hands Go Foul“ im Jahr 2009 nur konsequent war. Es überrascht somit nicht, dass „To Be Cruel“ in derselben Spur ist, wie die drei ersten Alben der Band und am ehesten ein neues „Capture & Release“ darstellt. Der Schmerz, den diese Musik heute ausstrahlt, fühlt sich sehr vertraut an, feine Unterschiede gibt es dennoch. KHANATE balancierten stets auf der schmalen Grenze zwischen Abstraktion durch die Musik und Realismus durch die unglaubliche Leistung Alan Dubins als Sänger und Texter, doch dieser Gegensatz rückt auf „To Be Cruel“ näher zusammen. Die Ästhetik der Band, schmutzig, abstrakt, nicht greifbar und doch – wieder Alan Dubins wegen – so persönlich, verwundbar und verwundend, wird verdichtet, der alldem zugrunde liegenden Minimalismus ist so zum Zerreißen angespannt, dass es stellenweise kaum zu ertragen ist.

Musik für Masochisten: KHANATE quälen auf „To Be Cruel“ selbst das hartgesottene Drone- und Sludge-Publikum.

Wer schon einmal mit schmerzenden Knochen an einen Stuhl gefesselt, in völliger Dunkelheit aufwachte, weiß wovon KHANATE handelt. Ihre Disziplin ist auch auf „To Be Cruel“ weniger Musik, als eine Erzählung über Tod und Schmerz. Drei schier endlose Kompositionen bilden den Rahmen, der einer verfallenen, modrigen Hütte in den Wäldern gleicht, die die Leute nur zum Sterben aufsuchen. Oder in die sie hineingeschleift werden. Als wäre jeder Anschlag auf der Gitarre, jedes Mal, wenn die Snare erklingt, ein Fausthieb. KHANATE erreichen damit fast schon zufällig, dass „Like A Poisoned Dog“ für ihre Verhältnisse nachvollziehbar und strukturiert klingt.

Der Einsatz von Dynamik ist derart brutal, dass es sich anfühlen kann, als wäre der Hals mit einem Kabelbinder abgeschnürt, die Hände wären mit Stachendraht an den imaginären Stuhl gefesselt und jeder Versuch, diese zu sprengen, scheuert die Haut etwas mehr auf, bis sie schließlich auf den Knochen kratzen. „To Be Cruel“ ist oft so unerträglich leise, so schwelend böse, dass man die brutalen Ausbrüche herbeisehnt. Und sie kommen, weniger und gewaltig dissonant als zuletzt, dafür umso bedrohlicher. Das nicht enden wollende „It Wants To Fly“ zeigt KHANATE manisch und unberechenbar. Immer wieder verlassen sie ihre Deckung, weichen dann wieder zurück. Dadurch entsteht ein Druck, der nicht entweicht, im Gegenteil – das alles baut sich immer mehr auf, potenziert sich und erfährt höchstens im finalen Titelsong, der das Thema des Openers wieder aufnimmt, eine Art Erlösung, wenn KHANATE zu einer letzten Steigerung ansetzen. Doch Erlösung schenken KHANATE nicht, „To Be Cruel“ würgt sich am Ende selbst zu Tode, während die Rezipienten gefesselt dasitzen und dem grausigen Schauspiel beiwohnen müssen.

KHANATE kreieren auf „To Be Cruel“ einen Raum für die dunkelsten Emotionen und lassen sie dort präsent werden.

Die Heaviness, die von „To Be Cruel“ ausgeht, ist gar nicht mal so extrem, auch wenn KHANATE zwischendurch immer wieder Donnerschläge auf ihr Publikum herniedergehen lassen. Daneben: Drones, Feedback, kaputte Synthesizer, das Gefühl, dass diese Stunde, dieser Schmerz, dieser Druck niemals enden wird. Alan Dubins Lyrics, deren Dringlichkeit ins Fleisch zu schneiden drohen, sein gequältes Geschrei, das ist Tortur, aber gleichzeitig auch Erleichterung. Dass noch jemand sowas fühlt. Dass es einen Raum für diese Emotionen gibt. Dass jemand anders den Weg in die Hölle beschreiten muss, nicht wir. Somit ist es auch nur konsequent, dass KHANATE weniger Songschreiber als Geschichtenerzähler sind. Keine erfreulichen Geschichten freilich, keine, die uns aufbauen oder Erlösung bieten, aber solche, die im Gedächtnis bleiben.

Da ist die Frage manchmal gerechtfertigt, wer zur Hölle sich freiwillig so etwas anhört und warum man selbst dazu gehört. KHANATE loten stellvertretend für ihr Publikum so manches Extrem aus. Daher muss man Mut aufbringen, sich diesem Monstrum von einem Album zu nähern, selbst wenn man in der angesprochenen Zielgruppe sitzt. Zwar ist „To Be Cruel“ ein wirklich extremes Stück Musik, im Vergleich zu „Clean Hands Go Foul“ ist es dennoch das zugänglichere Album. Das gibt „To Be Cruel“ die Chance zu wachsen und findet vielleicht öfter den Weg ins Ohr der Hörer:innen, als zuletzt. Insofern ist diese Auferstehung geglückt – auch wenn KHANATE außer ihrer plötzlichen Rückkehr kein weiteres Überraschungsmoment parat haben. Die erneute Existenz von KHANATE reicht für ein von Herzen kommendes „What. The. Fuck.“ eben locker aus.

Wertung: 7,5 von 10 ausgerissene Fingernägel

VÖ: 19. Mai 2023 (digital) / 30. Juni 2023 (Vinyl & CD)

Spielzeit: 61:13

Line-Up:
Alan Dubin – Vocals
Stephen O’Malley – Guitar
James Plotkin – Bass
Tim Wyskida – Drums

Label: Sacred Bones

KHANATE „To Be Cruel“ Tracklist:

1. Like A Poisoned Dog
2. It Wants To Fly
3. To Be Cruel

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