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JULIE CHRISTMAS: Ridiculous And Full Of Blood

Sie schreit wieder! JULIE CHRISTMAS ist „Ridiculous And Full Of Blood“, hat Spaß dabei, geht aber auch dank Ernsthaftigkeit unter die Haut. Ihr zweites Soloalbum hat dennoch Luft nach oben.

In der Hitparade der „Cleversten Sprüche aus dem geistigen Aschenbecher der Zivilation“ rangiert einer recht weit vorne, der aber im Falle von JULIE CHRISTMAS zufälligerweise passt: „Willst du gelten, mach dich selten.“ Während 95 % aller Künstler*innen in der Versenkung verschwunden wären, die 2010 ihr letztes Album veröffentlicht haben, ist JULIE CHRISTMAS noch immer sehr präsent. Ihr bisher einziges Soloalbum „The Bad Wife“, aber auch ihre legendären 2000er-Alben „A Day Of Nights“ (BATTLE OF MICE), „The Ruiner“, „Coward“ und „Trophy“ (MADE OUT OF BABIES) sind unvergessene Evergreens im Post Metal, respektive Noise Rock; eine Art Legendenstatus darf man JULIE CHRISTMAS also schon attestieren. Umso aufgeregter darf ihre Anhängerschar ob des nun – endlich – erscheinenden zweiten Albums durchaus sein.

Und weil damals, in den 2000ern gefühlt alles besser war, trifft „Ridiculous And Full Of Blood“ insgesamt gesehen einen Nerv. Ein nostalgisches Revival ist diese Dreiviertelstunde aber nicht, auch wenn mit Gitarrist John LaMacchia (CANDIRIA) und Bassist, respektive Produzent Andrew Schneider zwei wichtige Mitmusiker von „The Bad Wife“ wieder dabei sind. Auf „Ridiculous And Full Of Blood“ ist – wenig verwunderlich – auch Gitarrist Johannes Persson (CULT OF LUNA) zu hören. Nicht erst seit die Kollaboration „Mariner“ sind CHRISTMAS und Persson enge Freunde. Nun ist JULIE CHRISTMAS aber wieder ganz zu Hause, in ihrer Bude in Brooklyn sozusagen: Die zehn Songs sind voll und ganz auf ihre überdurchschnittlich facettenreiche Stimme zugeschnitten, und so darf sie auch alles rauslassen, was sie ausmacht. Sie ist die Furie, das Riot Grrrl, die weirde Outsidern.

Kein nostalgisches Revival, trotz viel 2000er-Charme: Mit „Ridiculous And Full Of Blood“ schließt JULIE CHRISTMAS ohne große Kanten an „The Bad Wife“ an.

„Ridiculous And Full Of Blood“ spiegelt für JULIE CHRISTMAS das pralle, wilde Leben. Kein Wunder, dass die zehn Songs eine recht große musikalische Bandbreite bieten. Dabei dominiert die Heaviness des Post Metal, mit all seinen Charakteristika. Schon „Not Enough“ baut Spannung auf und erlebt eine dynamische Explosion, leitet das Album also selbstbewusst und doch kompakt ein. „Silver Dollars“ beginnt recht düster, wird am Ende dissonant und schimmernd, bleibt dadurch aber eher unentschlossen und etwas farblos. Das abschließende „Seven Days“ ist recht bedrückend und hinterlässt die Hörer*innen mit einem Fragezeichen über dem Haupt. Immerhin: JULIE CHRISTMAS lebt ihre Musik und legt ein Maximum an Intensität in ihre Performance.

Dazwischen gibt es aber viel Licht. „The Ash“ ist die erste wirklich starke und unkonventionelle Nummer: Langsamer Groove, verzerrter Bass, eine JULIE CHRISTMAS, die in allen Facetten brilliert und ein großer Chorus, der Gänsehaut verschafft als Finale. „Thin Skin“ lockert endgültig die Handbremse, nervöser, verzerrter, fast schon nach Arcade-Sounds klingender Bass als Intro, dann ein tonnenschwerer Groove, der abgelöst wird von einem Neunziger-Nu Metal-Riff, auf dem sich JULIE CHRISTMAS stimmlich zwischen Flehen und Fauchen bis hin zum Brüllen austoben kann. Ähnlich abgefahren ist „Kids“, dessen Wildheit mit einer sentimental-humorvollen Glockenmelodie erweitert wird. Dem gegenüber stehen mit „End Of The World“ und „The Lighthouse“ zwei düstere, dynamische Nummern, die gegen Ende zu Post Metal-Dramen anschwellen, bei denen sogar Johannes Persson im Hintergrund mitbellen darf – große Finale inklusive.

Facettenreich und mit einem stimmigen Gesamtbild: Auch ein paar schwächeren Songs zum Trotz ist JULIE CHRISTMAS mit „Ridiculous And Full Of Blood“ ein kurzweiliges Album gelungen.

„The Bad Wife“ mag trotz dieser Bandbreite das buntere Album gewesen sein, dafür hat „Ridiculous And Full Of Blood“ das rundere Gesamtbild. Zwar ist mit dem getragenen, spannungsarmen Quasi-Popsong „Supernatural“, der sich durch ein paar Synthie-Farbeinsprengsel rettet und dem fragmentierten „Blast“ auch Füllstoff vorhanden, aber insgesamt haben JULIE CHRISTMAS und ihre Instrumentalisten ein starkes Album geschaffen. Instrumental souverän gespielt und sauber arrangiert, sind John LaMaccia, Andrew Schneider, Chris Enriquez und Johannes Persson so relativ zurückhaltend, sodass JULIE CHRISTMAS ist in diesen Songs ganz sie selbst sein kann, mit all ihren Ecken und Kanten. Genau das ist es, was ihre Anhänger*innen eben an ihr lieben.

„Ridiculous And Full Of Blood“ ist ein irgendwie manisches Album und hat naturgemäß eine Menge Facetten. Es wirkt nicht so, als lägen zwischen „The Bad Wife“ und diesem Album vierzehn Jahre, in denen die Amtszeit eines Turbowahnsinnigen, eine Atomkatastrophe, eine Pandemie, Kriegsausbrüche, und was weiß ich noch alles, die Welt erschütterten. „Ridiculous And Full Of Blood“ ist somit ein wenig wie ein Echo aus einer alten Welt und JULIE CHRISTMAS klingt genauso energiegeladen und wild wie ehedem. Dank dem Routinier John LaMacchia ist auch das Songwriting auch über weite Strecken ziemlich gut, wenn auch nicht zu 100 % treffsicher. Qualitativ kann „Ridiculous And Full Of Blood“ also nicht ganz mit dem mithalten, was bis 2010 im Hause JULIE CHRISTMAS passierte. Dennoch: Wer dieser Frau mit ihrer einmaligen Stimme schon früher erlegen war, wird auch an diesen zehn Stücken seine Freude haben. Es bleibt also bei einer rhetorischen Frage. Wie hätten wir die New Yorkerin vergessen können?

Wertung: 7 von 10 Erythrozytenkonzentrate

VÖ: 14. Juni 2024

Spielzeit: 42:22

Line-Up:
JULIE CHRISTMAS – Vocals
John LaMacchia – Guitars
Johannes Persson – Guitars, Vocals
Andrew Schneider – Bass
Chris Enriquez – Drums
Tom Tierney – Keyboards

Produziert von Andrew Schneider

Label: Red Creek Recordings

JULIE CHRISTMAS „Ridiculous And Full Of Blood“ Tracklist:

1. Not Enough (Official Audio bei Youtube)
2. Supernatural (Official Visualizer bei Youtube)
3. The Ash
4. Thin Skin (Official Visualizer bei Youtube)
5. End Of The World
6. Silver Dollars
7. Kids
8. The Lighthouse
9. Blast
10. Seven Days

Mehr im Netz:

https://juliechristmas.bandcamp.com/
https://www.instagram.com/julie_christmas_official/

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