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EGO KILL TALENT: The Dance Between Extremes

Die Brasilianer EGO KILL TALENT spielen auf dem zweiten Album ihre Mischung aus Stadionrock und Alternative kompetent und vielversprechend. Wenn, ja wenn: sie dabei nur nicht so berechnend vorgehen würden. Das gibt deutliche Abzüge in der B-Note. Hörenswert ist das Album trotzdem: auch wenn ihm Ecken und Kanten fehlen.

Wer in den letzten Jahren die Karriere der Brasilianer EGO KILL TALENT verfolgt hat, kann nicht bestreiten, dass hier eine Band musiziert, die kurz vor ihrem Durchbruch steht. Von FOO FIGHTERS-Bandkopf Dave Grohl wurde die junge Band persönlich als Support für die Südamerika-Tour ausgewählt. Und er hat das 5köpfige Ensemble schließlich auch ins Studio 606 nach Los Angeles eingeladen, wo das vorliegende Album „The Dance Between Extremes“ satt und kompetent produziert wurde. An den Reglern saß Steve Evetts, der zuvor schon für Größen wie SEPULTURA, HATEBREED oder THE CURE tätig war. All das wäre nicht passiert, wenn wir es hier nicht mit einer guten, kompetent musizierenden Band zu tun hätten, die weiß, wie man die Herzen der Zielgruppe im Sturm erobert. Sogar für METALLICA hätten sie eröffnen sollen – wenn nicht Corona dazwischengekommen wäre.

EGO KILL TALENT scheuen keine großen Gesten

Und die Zielgruppe sind: Fans, die vor den ganz großen Gesten keine Scheu haben, eine ordentliche Portion Stadionrock und Eingängigkeit zu schätzen wissen. Keine Frage: EGO KILL TALENT schielen eher auf die großen Bühnen als auf den Jugendklub. Nicht zu unrecht, denn sie verstehen sich auf catchy Songs, die mit weit ausgestreckten Armen auch als Soundtrack einer MARVEL-Verfilmung funktionieren würden. Oder aber auf der Bühne von Rock am Ring.

Die FOO FIGHTERS sind hier gar keine so schlechte Reverenz. Die Gitarren grooven hart und trocken, und Sänger Jonathan Correa hat eine angenehme, raue und charismatische Stimme, die sich hinter den Genre-Größen nicht zu verstecken braucht. Auch die Songs funktionieren eigentlich: der Opener Now! ist ein wirklich guter Rocker, der sich auch hervorragend auf einer der letzten Platten von ALTER BRIDGE oder von SHINEDOWN gemacht hätte. Klever arrangiert, hat Atmosphäre, der Refrain funktioniert. Es gibt diese Mischung aus Melodrama und leicht melancholischem Pathos, die diese Art von Musik vielleicht braucht, um zu funktionieren. „Ich sehne mich nach etwas, das meine Zeit mit Sinn erfüllt/ Wir sollten uns vor der Illusion fürchten, für immer hier zu leben/ Die Fantasie der Zukunft ruiniert das wahre Leben/ Ohne jeden Hinweis auf das, was als nächstes kommt, habe ich mein Leben verloren“, fleht Correa. Angenehm zu hören: Und es wäre definitiv gelogen zu behaupten, dass einen diese Musik nicht erreicht.

Im Gegenteil: Je öfters ich das Album höre, desto besser gefällt es mir. Die Band kriegt mich. Der Alternative-Rock der FOO FIGHTERS ist hier nicht die einzige Referenz. Es gibt auch erdigen Hard-Rock, der stellenweise sogar Richtung AOR schielt. Und leichte Progressive-Rock-Referenzen. Manchmal, wenn sich die Band etwas traut, grooven die Songs in bester TOOL-Manier. „Diamonds and Landmines“ ist dann im letzten Drittel des Albums auch komplexer und experimenteller arrangiert als das Gros der anderen Titel, die mehr auf Hooklines setzen. Hervorzuheben ist auch das Schlagzeug-Spiel, das sich die beiden Mitglieder Jean Dolabella und Raphael Miranda aufteilen (mehr als einmal wechselt die Band untereinander die Instrumente): wuchtig und abwechslungsreich, können EGO KILL TALENT damit Bonuspunkte sammeln.

EGO KILL TALENT musizieren noch etwas zu kalkuliert

Aber das Problem ist eben: Das alles präsentiert die Band aus der 11-Millionen-Einwohner-Metropole São Paulo hier zu kalkuliert, zu berechnend: Sie weiß zu viel darüber, wie diese Musik zu funktionieren hat. Und so sind die Songs mitunter zu groß aufgetragen, zu selbstgewiss, zu sehr auf den Massengeschmack zielend. Das ist verdammt schade. Wenn sie wie in „Lifeporn“, dem dritten Song der Platte, zunächst eine interessante Strophe mit ALICE IN CHAINS-Singalongs auftischt, fühlt man sich dann doch eher im Refrain: ich kann den Namen leider nicht unerwähnt lassen, an NICKELBACK erinnert. Das kommt zu schnell, zu erwartbar. Das ist, als würde man in der 91. Minute einen Elfmeter verschießen, der einem die Qualifikation für die Champions League sichern würde. Und es ist nicht der einzige Moment auf der Platte, wo man das Gefühl hat, hier wurde das Pulver zu früh verschossen. Vielleicht haben sie sich doch zu zeitig unter die Fittiche von Dave Grohl begeben, dessen Hauptband zuletzt auch zu kalkuliert musizierte. Sie trauen sich zu selten, aus den engen Genre-Grenzen auszubrechen.

Das alles sollte Fans von ALTER BRIDGE, FOO FIGHTERS und Co. nicht davon abhalten, das Album mal anzuchecken, wenn sie sich eine recht gelungene Mischung aus Stadionrock, Alternative und Hard Rock vorstellen können. Songs wie „In Your Dreams Tonight“ oder das folgende „Sin and Saints“ sind sicher Nummern, die bei „Radio Bob“ locker bestehen können – zwischen deutlich schlechteren Nummern. Es gibt eben doch Momente, die aufhorchen lassen: Den Respekt von Dave Grohl muss man sich auch erstmal verdienen. Man hat nur mehr als einmal das Gefühl, dass diese Band so viel mehr könnte – wenn sie sich nur trauen würde.

Dieses Album gefällt sieben von zehn Radio-Bob-Hörern

Mehr im Netz: offizielle Webseite

EGO KILL TALENT: The Dance Between Extremes

Erscheinungstermin: 19.3.2021
Label: BMG Rights

1 Now!
2 The Call (Video auf Youtube)
3 Lifeporn (Video auf Youtube)
4 Deliverance (Video auf Youtube)
5 Silence
6 In Your Dreams Tonight
7 Sin and Saints
8 Starving Drones (A Dinner Talk)
9 Our Song
10 Diamonds and Landmines
11 Beautiful
12 The Reason

Besetzung:
Jonathan Dörr [Vocals],
Jean Dolabella [Drums, Gitarre],
Raphael Miranda [Drums, Bass],
Niper Boaventura [Gitarre, Bass],
Theo Van Der Loo [Bass, Gitarre]