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ANTIGAMA: Whiteout

Eine Power, die Energie in die müden Knochen bringt: Mit ihrem achten Album „Whiteout“ kehren ANTIGAMA nach viel zu langer Zeit wieder auf die Bildfläche zurück und spielen Grindcore so kraftvoll und komplex, dass alle bedient werden, die an diesem Genre ihre Freude haben.

Sie sind wie gute, alte Freunde, die man immer wieder gern im Haus hat, die einen inspirieren mit ihren Gedanken und Geschichten. ANTIGAMA begleiten mich seit beinahe 20 Jahren und spätestens mit ihren RELAPSE-Alben „Resonance“ und „Warning“ haben sie das Genre Grindcore auf einen herausfordernden und spannenden Weg zwischen Tradition und Experiment geschubst. Außer NAPALM DEATH selbst schafft es niemand, stilfremdes so sehr in die Musik einfließen zu lassen, sodass es nicht verkrampft wirkt, sondern frisch und organisch. Und dabei scheint sich niemand so richtig für ANTIGAMA zu interessieren. Es ist eine Schande.

Nun sind nach den äußerst experimentellen 2000er-Alben direktere Zeiten angebrochen, und doch sind ANTIGAMA eine der anspruchsvollsten Bands der Szene. Ob die vier Warschauer nun Perfektionisten sind, oder ob das Leben abseits der Band anstrengend ist, sei dahin gestellt – ein wenig war die Sorge schon da, dass sieben Jahre nach dem letzten Studioalbum „The Insolent“ und fünf Jahre nach der letzten EP „Depressant“ die Luft raus sei. Schon die ersten Sekunden von „Whiteout“ zerstreut diese Bedenken in Windeseile: Das achte Album von ANTIGAMA ist fern jeglicher Müdigkeit und steckt mit seiner Energie und Kraft direkt an.

„Whiteout“ ist komplex und doch eingängig: ANTIGAMA kontrollieren ihre Songs auf der Schneide zwischen Anspruch und Direktheit.

ANTIGAMA präsentieren sich direkter als auf den letzten Alben und lassen voller Verve nichts anbrennen. Ihre gesamten Stärken im Songwriting finden sich hier in äußerst kompakter Form wieder. Die elf Stücke verlieren sich niemals im chaotischen Mahlstrom, der sich hieraus ergeben hätte können, dafür sind ANTIGAMA zu gesetzt. Alles ist da, sorgfältige Riffs, die auch trotz VOIVODscher Dissonanzen sehr griffig sind, Blast Beats, die unwahrscheinlich sauber und definiert wirken und groovige Momente, die Hits ergeben, wie sie NAPALM DEATH nur in ihren besten Momenten schreiben.

Der Spagat zwischen Eingängigkeit und Weirdness ist bei ANTIGAMA nicht erzwungen, es ist einfach ihre musikalische Identität. Und somit ist zu jeder Sekunde zwischen der unbändigen, vitalen Wut auch eine gewaltige Spielfreude zu spüren. „Whiteout“ tritt gleichzeitig ins Gesicht und wirkt befreiend. Die Songs sind praktisch nur Hits, vor allem, wenn wie in „Holy Hand“, „Disasters“ und „Hindrance“ der Groove führend ist. Aber auch wenn die Blast Beats dominieren, bleiben die Stücke prägnant: „Dept Pool“, „Dust Farm“, „Unclear Conversions“, „Muteness“ und weitere zeigen ANTIGAMA sicher auf der Schneide zwischen Anspruch und Direktheit balancieren.

Auch sieben Jahre nach ihrem letzten Full Length-Album ist auf ANTIGAMA Verlass: „Whiteout“ ist blitzgescheit und unzähmbar zugleich.

Der Mix mag ein wenig anachronistisch sein, aber er passt exzellent zu einer Band wie ANTIGAMA. Insgesamt ist hier sowohl genügend Volumen und Schmutz um die Energie zu transportieren, als auch der passende Raum, um die Details nicht zu verschlucken. Sänger Lukasz Myszkowski brüllt mit der Kraft eines Tieres über seine Band, ohne ihnen die Show zu stehlen. Allein seine abgestuft gebrüllte Einlage bei „Unclear Conversions“ lässt das Adrenalin in die Höhe schießen. Gitarrist Sebastian Rokicki spielt extrem versiert und routiniert, Drummer Pawel Jaroszewicz ist auch abseits von den irren Experimenten auf „The Howler“ extrem stark und verbindet sichere Varianzen mit technischer Souveränität und der Spielfreude eines energiegeladenen Punks.

„Whiteout“ mag ein für ANTIGAMAs Verhältnisse sehr traditionelles Album sein, ihre Variante des Grindcore ist aber noch immer zukunftsweisend, auch wenn die Experimentierfreude zugunsten von geradezu genredefinierendem Songwriting zurückgefahren wurde. Dass dennoch in diesem kompakten Rahmen Platz für Experimente ist, wie „The Howler“ mit seinen perkussiven Elementen und dem abschließenden, mit Saxofon veredelten „2222“, spricht dafür, wie sehr ANTIGAMA ihre Musik unter Kontrolle halten können. „Whiteout“ ist eine irre gute Platte, und dass, obwohl sie für ANTIGAMAs Verhältnisse eben „nur“ ein weiteres Album geworden ist. Auf diese Band ist eben Verlass – wie auf einen guten Freund. Neben WORMROTs „Hiss“ ist „Whiteout“ der lebendigste Beweis, dass Grindcore noch immer Relevanz besitzt.

Wertung: 9 von 11 Koffeintabletten

VÖ: 15. Juli 2022

Spielzeit: 28:16

Line-Up:
Lukasz Myszkowski – Vocals
Sebastian Rokicki – Guitars
Maciej Morus – Bass
Pawel Jaroszewicz – Drums, Percussions

Label: Selfmadegod Records

ANTIGAMA „Whiteout“ Tracklist:

1. Undeterminate
2. Debt Pool
3. Holy Hand (Official Video bei Youtube)
4. Dust Farm
5. Disasters
6. Unclear Conversions (Official Video bei Youtube)
7. Align
8. Muteness
9. Hindrance (Official Video bei Youtube)
10. The Howler
11. 2222

Mehr im Netz:

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