MULHOLLAND DRIVE [Filmkritik]

Es soll ja Menschen geben, die noch immer standhaft versuchen, David Lynch-Filme zu begreifen… und mit "Mulholland Drive" geht es in eine weitere Runde voll Irrnisse und Wirrnisse!

Es soll ja Menschen geben, die noch immer standhaft versuchen, David Lynch-Filme zu begreifen. Ein Bekannter glaubte vor einiger Zeit, „Lost Highway“ verstanden zu haben und lud stolz zur Nachhilfestunde ins Irish Pub. Nach einer halben Stunde musste er entnervt die Segel streichen: Akuter Erklärungsnotstand. Willkommen in der Welt des David Lynch, wo es mit „Mulholland Drive“ in eine weitere Runde voll Irrnisse und Wirrnisse geht!

Bei einem nächtlichen Autounfall verliert Rita (Laura Elena Harring) ihr Gedächtnis. Verwirrt landet die junge Frau in den Armen der Nachwuchsschauspielerin Betty (Naomi Watts). Gemeinsam machen sich die zwei Frauen daran, Ritas Totalamnesie zu erforschen, doch das Geheimnis hinter der schönen Unbekannte entpuppt sich nach und nach als die eigene Geschichte.

Nichts Neues also aus dem Hause David Lynch. Erklärungen gibt es wieder mal keine, wo für gewöhnlich nicht mal die Schauspieler durchblicken (und hartnäckigen Gerüchten zufolge oft auch der Meister selbst den Überblick verliert), bleibt der Zuschauer völlig auf sich allein gestellt. Wer die zweieinhalb Stunden brav bis zum Ende ausharrt, um eine handfeine Auflösung präsentiert zu bekommen, wartet vergebens. Doch alle Alleingelassenen vor den Leinwänden und Bildschirmen dieser Welt seien getröstet: In diesem doppelbödigen Verwirrspiel macht es gar nichts, wenn man nichts versteht. Lynch erzählt mit der Logik eines Traums, zeigt das Leben als Labyrinth, als steten Taumel zwischen Abgrund, Albtraum und Achterbahnfahrt. Ziellos, beklemmend und auf eine verstörende Weise hypnotisch wird die kranke Seite Amerikas skizziert, seziert und ins rechte Licht gerückt: Eine durch und durch absurde Halbwelt voll fantastischer Bilder, wirrer Visionen, multipler Persönlichkeiten und verschwimmender Realitäten.

Ein typischer Lynch also, wenngleich nicht sein bester. Für „Mulholland Drive“ rührt der Mittfünfziger Altbekanntes neu an, biegt noch einmal auf den „Lost Highway“ ein, um am „Blue Velvet“ vorbei zurück nach „Twin Peaks“ zu fahren – wobei sich zu letztgenanntem Film nicht nur die Parallele ergibt, dass auch „Mulholland Drive“ ursprünglich als Pilotsendung für eine Fernsehserie gedacht war, zu der es nie kam. Doch die Sofakartoffeln der TV-Spaßgesellschaft sind gewiss nicht die passende Zielgruppe für den sperrigen Querfilmer – ebenso wenig, wie das Publikum der Multiplex-Kinos. Ich entsinne mich noch gut an die nächtliche sneak preview im Nürnberger CineCitta, wo ein zutiefst verunsichertes Publikum (das beim Kauf der Kinokarte noch nicht wußte, welcher Film an diesem Abend gezeigt wird – daher sneak preview) mit verzweifelten Seufzern und hohlem Gelächter reagierte. Man darf sich sicher sein: Wäre David Lynch damals vor Ort gewesen, er hätte seine helle Freude an all der Verwirrung gehabt.

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