Wir schreiben das Jahr 2000. Ganz Italien ist besetzt von melodisch powernden Happy Metal-Bands. Ganz Italien? Nein! Noch immer gibt es vereinzelte Bands, die nicht aufhören, den Trend(be)reitern Widerstand zu leisten. Unter ihnen: EMPTY TREMOR.
Eben jene junge Band veröffentlichte vor kurzem mit ihrem Zweitwerk `Eros And Thanatos` ein überaus ansprechendes Prog Metal-Album, das sich zwar aufgrund seiner musikalischen Nähe zum DREAM THEATER-Durchbruchs-Epos `Images And Words` nicht uneingeschränkt originell heißen darf, aber nichtsdestotrotz eine mehr als wilkommene Abwechslung zum gegenwärtigen Tralala-Trend aus Italien darstellt. Keyboarder Daniele Liverani meldete zum telephonischen Plauderstündchen:
Hallo, hier Daniele Liverani von EMPTY TREMOR
Hallo, Daniele!
Habe ich den richtigen Tag erwischt?
Äh, ja, stimmt schon…
Oh, gut! Ich verliere manchmal das Gefühl für Tage und Stunden, wenn ich viel zu tun habe. Also, hier bin ich…
Wunderbar!
Hast Du schon das EMPTY TREMOR-Album?
Ja, klar…
Und? Gefällt es Dir?
Durchaus! Ich würde sagen, in der Sparte junge Bands, die sich an DREAM TEHATER orientieren liegt Ihr recht weit vorne…
Vielen Dank! Es ist nämlich sehr schwer, mit diesem Stil heutzutage einen Blumentopf zu gewinnen, denn alles ist voller Power Metal-Bands im Stile von RHAPSODY, mit lauter Schwertern, Pferden und so weiter. Unser erstes Album wurde ja damals noch von Rising Sun herausgebracht, aber sie wollten, daß wir unseren Stil verändern. Wir sagten: sorry, nein. Wir beschlossen, unsere Richtung beizubehalten, aber wir mußten dann eben das Label wechseln und das alles hat uns zeitlich ein wenig zurückgeworfen. Elevate Records ist allerdings ein sehr gutes Label, aber nicht ganz so groß.
Jetzt muß ich aber nachhaken: Rising Sun wollte, daß Ihr Euren Stil ändert?
Ja, kaum zu glauben, aber es war so. Ich weiß auch nicht wieso. Weißt Du, das Album war im Prinzip fertig, wir hatten genug Material zusammen und präsentierten es Rising Sun. Sie sagten: Das ist gut, das ist sehr nett, aber es ist zu progressiv. Wir möchten geradlinigere Sachen. Sie wollten, daß wir bestimmte Dinge an den Songs ändern. Sie wollten einen Produzenten nach Italien schicken, der uns sagen sollte: Das ist OK, das nicht. Wir haben versucht, sie von unseren Songs zu überzeugen, blieben aber erfolglos. Wir folgten dann unserem eigenen Weg und unserer Musik und mußten uns nach einem neuen Label umschauen, Wir haben es bei vielen versucht, auch bei Noise, bei Inside Out und vielen anderen, aber wir bekamen keine Resonanz. Ich möchte damit aber nicht sagen, daß wir nun mit Elevate Records nicht zufrieden sind, denn sie leisten gute Arbeit. Wir geben viele Interviews und sind in den Magazinen sehr präsent. Wir sind sehr zufrieden, vor allem auch, weil das nun UNSERE Musik ist, die veröffentlicht wurde. Es hätte keinen Sinn gemacht, ein Album zu veröffentlichen, das viel verkauft, das aber nicht unsere Band repräsentiert. Wir mußten aber letztendlich drei Jahre warten, um `Eros And Thanatos` aufzunehmen. Wir hoffen aber, daß die, die unser Debüt mochten, sich noch an uns erinnern! (lacht). Aber sag` Du mal: eine solche Stilvorgabe kann man als Band nur sehr schwer akzeptieren, oder?
Nun, ich kenne die Hintergründe nicht und vermag dazu nicht viel zu sagen. Generell denke ich jedoch, daß Musik eine Form der Selbstverwirklichung ist und auch sein sollte…
Genau! Letztes Jahr hatte ich die Gelegenheit, Mike Portnoy von DREAM THEATER kennenzulernen. Wir trafen uns nach einer Show und ich gab ihm ein Tape von uns. Seitdem sind wir in e-mail-Kontakt. Nun, er hat mir erzählt, daß es bei ihnen damals genauso war, als sie `Falling Into Infinity` aufnahmen. Obwohl sie ja als Band recht groß sind und viel verkaufen, wurde ihnen vom Label auferlegt, mit Co-Writern zusammen zu arbeiten. Dergleichen passiert also nicht nur kleinen Bands. Bei vielen Labels sitzen die falschen Leute, die das Gefühl haben, sie könnten bestimmen, welche Musik Du spielst.
Auf jeden Fall bin ich froh um jede italienische Band, die ausnahmsweise NICHT nach RHAPSOWEEN zu klingen versucht. Diese endlose Schwemme mittelmäßiger italienischer Epic Melodic Classic Blabla-Metal-Clones wird nach und nach unerträglich…
Du meinst also, daß diese Sachen so langsam wieder out sind?
Durchaus. Wie bei allen Trends werden wohl ein paar überleben, der Rest wird jedoch wieder in Vergessenheit geraten. So dämlich sind die Hörer nun auch nicht, daß sie blind alles abgreifen, was aus Italien kommt und ein Schwert auf dem Cover hat…
(lacht) Das hoffe ich! Das Problem mit Progressive Metal – im Gegensatz zum Power Metal – ist, daß es nicht kaum große und bekannte Bands gibt, die so etwas wie eine Szene bilden. Beim Power Metal gibt es Dutzende, STRATOVARIUS, RHAPSODY, LABYRINTH, früher eben HELLOWEEN und so weiter. Es gibt zahlreiche Bands in verschiedenen Größenordnungen, aber im progressiven Bereich gibt es eigentlich nur DREAM THEATER. Es gibt keine anderen, die in der gleichen Liga spielen. Irgendwie scheint Progressive Metal tot zu sein, was meinst Du?
Nun, er war zumindest in punkto Popularität schon lebendiger…
Alle scheinen nur DREAM THEATER zu kennen. Es gibt zwar noch FATES WARNING; aber sie sind in Sache Verkaufszahlen wesentlich kleiner. Wenn DREAM THEATER nach Italien kommen, haben sie bei ihren Konzerten 4000 bis 5000 Besucher. Wenn FATES WARNING kommen, sind es vielleicht 300 bis 400. Es gibt im progressiven Bereich einfach keine größere Anzahl an Bands, die ein größeres Publikum ansprechen. Ich denke das ist ein Problem für den Markt und zeigt, daß Prog Metal-Fans nur DREAM THEATER kaufen.
Um ehrlich zu sein, erstaunt mich der Ausnahmestatus (in kommerzieller Hinsicht) dieser Band auch ein wenig. Als `Images And Words` damals so erfolgreich war, dachte ich, daß das für Bands wie FATES WARNING oder PSYCHOTIC WALTZ die Türen hätte öffnen können, aber da ist leider nichts passiert.
Das stimmt wohl. Nun, man muß sagen, `Images And Words` war ein absolut großartiges Album, es setzte in Sachen Songs und Texte neue Standards, es war sehr eindrucksvoll. Möglicherweise kommen nicht mal FATES WARNING an diese Stücke heran.
Also da bin ich nicht ganz einverstanden. Technisch waren und sind sie sicherlich absolut brillant und geradezu perfekt. Aber es gibt durchaus Bands, die ihnen das Wasser reichen können. Zum Beispiel SPOCK’S BEARD oder…
Oh, ja, SPOCK’S BEARD sind wirklich sehr gut, ich habe sie als DREAM THEATER-Support gesehen. Aber letztlich sind DREAM THEATER doch unerreichbar. Das Erlebnis sie live zu sehen und das Gefühl, das sie einem vermitteln, ist nur schwer zu umschreiben, es ist einfach unglaublich.
Meiner Ansicht nach kommen sie dabei aber nicht an die leider verblichenen PSYCHOTIC WALTZ heran, obgleich der direkte musikalische Vergleich natürlich hinkt…
Das Traurige ist, daß man uns selbst wohl niemals in Deutschland spielen sehen wird, denn ich denke, die Deutschen würden uns vielleicht mögen. Aber das Problem ist, daß man entsprechende finanzielle Voraussetzungen braucht, denn das ganze technische Drumherum und die Show muß ja auch stimmen. Wir haben in den letzten Jahren nicht nur hart an unserer Musik gearbeitet, sondern auch an unserer Stageshow. Wir möchten eben auch eine gute Show bieten und nicht nur gut spielen. Das Problem ist, daß das alles an der Motivation nagt, denn man kann einfach nicht zeigen, was alles in einem steckt. Ich denke, daß viele Leute einen besseren Zugang zu uns hätten , wenn sie uns einmal live erleben könnten.
Es ist überhaupt sehr schade, daß italienische Bands ungeachtet der Klasse, die viele auszeichnet(e), im Ausland generell nur wenig Chancen zu haben scheinen. Außer RHAPSODY oder LABYRINTH fällt mir jedenfalls spontan keine Band ein, die es geschafft hätte, auch international für Furore zu sorgen.
Stimmt, in den letzten Jahren waren es nur die beiden. Wobei ich denke, daß RHAPSODY noch nicht mal als „richtige“ italienische Band durchgehen, denn sie werden ja in Deutschland produziert. Vielleicht sind sie alleine deshalb so erfolgreich, haha. Aber nun, es ist eine gute Band und ich mag sie, ich will nichts Schlechtes über sie sagen.
Na, dann wenden wir uns doch einfach wieder EMPTY TREMOR zu. Euer neues Album heißt nun `Eros And Thanatos, läßt sich weit leichter aussprechen als `Apocoldingens`…
Stimmt, haha…
…und klingt um einiges reifer…
Ja, ich denke, was das neue Album vor allem auszeichnet, ist in der Tat die hinzugewonnene Reife Als wir das erste Album aufnahmen, waren die anderen zwischen 15 und 17. Ich hatte so etwas wie eine Vaterfigur inne, war sieben bis acht Jahre älter als sie und hatte durch meine Arbeit mit anderen Bands und als Solokünstler schon weit mehr Erfahrung. Ja, es war sehr viel mehr wie eine Lehrer-Schüler-Beziehung. Aber inzwischen ist es weit mehr und etwas ganz anderes. Aber inzwischen ist es weit mehr: die anderen haben ihre eigene musikalische Persönlichkeit entwickelt. Jeder ist nun in der Lage, Song-Ideen beizutragen, auch daher klingt alles sehr viel reifer, denn jeder kann sich auf seinem Instrument besser verwirklichen und hat sich seine jeweiligen Parts selbst erarbeitet. Das war beim ersten Album noch nicht so, denn sie standen damals ja noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Nun, inzwischen sind sie alle wesentlich reifer. Besonders der Sänger hat sich sehr verbessert, seine Stimme ist viel wärmer geworden. Aber letztlich ist jeder in der Band sehr gewachsen. Es fällt mir natürlich schwer, das objektiv zu beurteilen, aber ich denke, wenn man sich allein den Sänger (Giovanni De Luigi – der Verf.) anhört: er ist wirklich sehr originell und kein Standard-Metalsänger. Er interessiert sich eigentlich auch nicht so sehr für Metal, eher für Sachen wie Stevie Wonder oder Glenn Hughes. Er trägt viel zur Einzigartigkeit EMPTY TREMORS bei.
Soviel zur Musik. Textlich scheint `Eros And Thanatos` eine Art Konzeptalbum zu sein, der Titel ist außerdem der eines Buches von Sigmund Freuds…
Ja. Das Konzept auf diesem Album stammt von unserem Bassisten. Er interessiert sich sehr für verschiedene Kulturen, Bücher und die großen Fragen der Menschheit. Alles handelt von einem Kind, das ein Buch namens „Eros And Thanatos“ findet. Es beginnt den ersten Satz laut zu lesen. Das bezieht sich nicht direkt auf das Buch von Freud, sondern auf ein Buch, daß wir uns erdacht haben. Es hat viele Kapitel, jeder Song stellt eins dar und hat noch mal ein eigens Konzept für sich. Aber wenn man das Album als Ganzes betrachtet, dann handelt letztlich alles von Liebe und Tod, Eros und Thanatos eben. Das Artwork spiegelt diese beiden Aspekte des menschlichen Daseins ebenfalls wieder: es gibt zwei verschiedene Covervorderseiten, man kann das Booklet umdrehen und jede Seite kann für sich stehen. Eines von den beiden wirkt sehr technisch und voller Leben, das andere ist recht unbelebt. Die beiden stehen dem Konzept also sehr nahe. Zunächst wollten wir die Hälfte der CD-Auflage mit dem einen, den Rest mit dem anderen Cover ausstatten, aber das war etwas zu ambitioniert und hätte auch etwas verwirrend werden können, man hätte die beiden vielleicht nicht als das gleiche Album identifiziert. Also haben wir beschlossen, daß wir dieses Wendecover nehmen, von denen die eine Seite Leben, die andere Seite den Tod repräsentiert.
Wobei beide nicht so isoliert nur das eine widerspiegeln, so finden sich auf dem „Todes-Cover“ auch Elemente des Lebens, wie zum Beispiel der bunte Schmetterling…
Ja, das stimmt, es gibt jeweils beide Elemente, aber der Schwerpunkt mit all den Steinen und dem Sand tendiert doch ganz klar in Richtung Tod. Die Gestaltung war recht schwierig, doch wir sind sehr zufrieden. Ich denke, warum das Artwork jetzt letztlich doch so gut paßt ist, daß der, der es gemacht hat, nicht nur ein Freund von uns ist, sondern auch Musiker. Er ist ebenfalls in einer Band und spielt Progressive Metal. Ich glaube, wenn er kein Musiker wäre, könnte er nicht so gut nachvollziehen, was wir wollen.
Um nun noch einmal auf EMPTY TREMOR an sich einzugehen: Du hast vorhin bereits den großen Altersuntersschied angesprochen, der ja mittlerweile nicht mehr so sehr ins Gewicht fällt. Doch damals, als Du zur Band gestoßen bist, war dieser ja schon recht extrem. Du warst Anfang 20, das jüngste Mitglied begann hingegen gerade mal zu pubertieren. Nun hätte man – selbst in Anbetracht des Reifeprozesses der Anderen – erwarten können, daß Du der unangefochtene Bandleader bleibst und weiterhin ganz alleine die Marschrichtung vorgibst…
Ich spiele nicht gerne den Anführer. Ich habe immer davon geträumt, in einer, war in einer guten Band zu spielen. Und ich sah mich damals nur als jemanden, der den anderen hilft, zur Persönlichkeiten heranzureifen, die für sich selbst denken und ihre eigenen Ideen verwirklichen können. Das war mein Anliegen. Ich habe ja auch meine Solo-Aktivitäten, bei denen ich alles alleine mache. Im September kommt ein neues Album von mir heraus und ich spiele außer den Drums alles selbst. Daher habe ich dort alle Freiheit, die ich will, was sehr viel Spaß macht. Lediglich bei den Keyboards hilft ein sehr junger Musiker aus, der gerade mal 16, aber enorm talentiert ist. Ich arbeite gerne mit jungen Leuten, denn sie sind sehr „energetisierend“. Ein talentierter 16jähriger hat weit mehr Energie und Enthusiasmus in seinem Spiel. Wenn man heranwächst, verliert man oft ein wenig den Schwung, vor allem dann, wenn im Business alles nicht optimal läuft. Das kann einen Musiker töten. Es gibt nicht viele Musiker, die mit 25 oder 26 immer noch die gleichen sind, alles wird schwerer. Daher arbeite ich gerne mit jungen Leuten, sie halten mich frisch. Auf jeden Fall habe ich bei meinen Solo-Projekten alle kreative Freiheiten, die ich brauche, ich muß daher nicht bei EMPTY TREMOR den Chef mimen. Die Band besteht aus sechs Leuten und jeder bringt sich mit ein und das ist auch gut so. Ich bin vielleicht noch psychologisch so etwas wie der Bandkopf, aber nicht musikalisch.
Wie wird denn Dein kommendes Solo-Album klingen? Das letzte tendierte ja sehr in die Mike Varney-Gitarrenhelden-Ecke…
Es geht in Richtung LIQUID TENSION PROJECT, wird allerdings ein Konzept-Album sein und zu einer weiteren Story hinleiten, die ich geschrieben habe. Nächstes Jahr werde ich eine Trilogie beginnen, drei Solo-Alben, die eine Art Prog Metal-Musical bilden werden. Ich werde mit vielen verschiedenen Sängern arbeiten. Das ganze wird eine große Geschichte in drei Kapiteln werden.
Hört sich irgendwie nach einer Metal-Version von AYREON an…
Ja, es ist vielleicht eine Prog Metal-Version von AYREON. Ich möchte dabei auch mit Fabio Leone und anderen arbeiten, aber ich weiß natürlich nicht, ob er mitmachen wird. Mal sehen, was passiert. Ich plane das schon seit einiger Zeit. In den letzten drei oder vier Jahren habe ich an der Geschichte geschrieben und es ist inzwischen ein kleines Buch geworden, eine Fantasy-Geschichte, aber ohne Pferde und Drachen und dergleichen. Es geht um einen kleinen Jungen, der in eine andere Dimension gerät, der dort herausfindet, daß seine Räume in einer Fabrik erzeugt werden. Er findet heraus, daß es eine Organisation gibt, die für all die Träume der Menschen sorgt. Das ist nun die absolute Kurzform, die Geschichte ist sehr lang und er erlebt eine Menge verschiedener Abenteuer und so weiter. Ich werde Dich auf dem Laufenden halten, wie es mit dem Projekt vorangeht!
Ich hinterbleibe gespannt…