Brauchen Metaller im Zeitalter von Google, Wikipedia und Metal-Archives.com überhaupt noch eine Nachschlagewerk in Buchform? Liefert die sorgsam archivierte Print-Magazin-Sammlung nicht genug in Papierform, um die Internet-Publikationen zu ergänzen und sich das nötige Metallerwissen anzuhäufen? Bekanntermassen ist der Reiz der Bücher ungebrochen, man denke nur an das wunderschön aufgemachte, ausgezeichnete Standardwerk Swedish Death Metal von Daniel Ekeroth. Neben dem schwedischen Totschlagwälzer wirkt Extreme Metal – Das Lexikon der neuen Metal-Szene wie ein Fliegengewicht und von der Gestaltung her bewegt sich Autor Joel McIver im konventionellen Rahmen. Einige schwarz-weiß Promofotos hier, das eine oder andere Künstlerzitat da, dazu ein Vorwort von KREATOR-Mille – mehr ist nicht. Hingabe zur Aufmachung lässt sich bei diesem Buch nicht erkennen – somit muss der Inhalt wohl als Kaufargument reichen.
Das tut er jedoch nicht, egal wie vollmundig das Vorwort auch sein mag. Zuerst deklariert der Autor, dass er die Bandliste in dieser überarbeiteten und ergänzten Ausgabe – die Erstausgabe stammt aus dem Jahr 2000 – von 260 auf fast 400 Bands hat anwachsen lassen. Danach definiert er den – gerne gebrauchten, weil so schön schwammigen – Begriff Extreme Metal. Heißt: Black / Death / Thrash Metal und Grindcore ja, NIGHTWISH und Konsorten nein. Ironischerweise weist der Autor dann selber auf den reichhaltigen Informationenschatz des Internets hin und kündigt an, pro Band jeweils nur ein empfehlenswertes Album anzugeben – was aber dennoch dazu führen soll, dass die vorliegende Neuausgabe von Extreme Metal zum besten Handbuch, das in der Szene zu haben ist wird. Also greift man sich schon mal auf bei Seite 11 zum ersten Mal an den Kopf, rollt mit den Augen und widmet sich der Lektüre des eigentlichen Werkes.
Bereits auf Seite 13 erfährt man so, dass UNLEASHED zusammen mit MAYHEM, DARKTHRONE, BURZUM, IMMORTAL und ENSLAVED zu den skandinavischen Bands gehören, die genug vom Death Metal hatten und sich das alte Black-Metal-Schema zu eigen machten, fortan bilden diese Bands eine Szene für sich und bringen sich mit Kirchenbränden, Grabschändungen und Morden ins Gerede. Habe ich irgendwas bei UNLEASHED verpasst? Waren es gar nicht UNLEASHED, die vor zwei Wochen eine veritable Death Metal-Show ablegten in Stockholm?
Zum Glück ist diese History nach zwei Seiten vorüber und die alphabetische Auflistung und Erläuterung zu den Bands – die logischerweise den Hauptteil des Buches ausmacht – kann ja nicht so schlimm sein, zumal die angekündigte Überarbeitung und Ergänzung doch Aktualität erwarten lässt. Und schließlich haftet dem Medium Buch immer noch dieser letzte Funken Seriösität an – auch wenn Papier genauso geduldig ist wie der digitale Raum des Internets…
Natürlich soll hier nicht das ganze Werk chronologisch aufgerollt werden, das wäre zuviel des Guten. Fest steht jedoch – das Vorgehen von Joel McIver ist oft mehr als zweifelhaft und die Anzahl Fehler zerschmettert den seriösen Anstrich, den sich dieses Buch offenbar geben will. Das erste Problem von Extreme Metal liegt in der merkwürdigen Gewichtung seines kritischen Geistes. So fällt der Eintrag über BURZUM – haben wir nicht schon alles, aber wirklich alles gelesen über dieses Thema und spätestens seit Lords Of Chaos auch in Buchform? – richtig lang aus. Man erfährt unter anderem, dass Grishnackh dort [in Lord Of The Rings] ein besonders widerwärtiger Ork sei – gibt es Beauty Queens bei den Orks? Wohl kaum, genausowenig wie es Leute gibt, die diese Information nach The Lord Of The Rings in Buch- und Filmform nicht verinnerlicht hätten. Natürlich wird die politische Haltung von Count Grishnackh thematisiert – sogar schon im ersten Satz – allerdings viel zu oberflächlich. Erschreckend hingegen ist, wenn man danach zurückblättert zum Buchstaben A und dort ABYSSIC HATE findet – eine musikalisch komplett irrelevante Black Metal-Truppe aus Australien, die gerne ABSURD covert und bei HAKENKREUZ PRODUCTIONS auf dem Smashing The Traitors-Sampler mitwirkte, um zusammen mit Fascho-Bands wie GESTAPO SS und ANTISEMITEX sicher nicht über den Weltfrieden zu singen. Und was findet sich im komplett unkritischen, oberflächlichen Eintrag zu ABYSSIC HATE in Extreme Metal? Unter anderem dieser – und da bleibt einem das Lachen im Halse stecken – Satz: Die drei Demos von Abyssic Hate kamen besonders in Deutschland sehr gut an. Aha.
Doch das ist nicht die einzige Dimension, in welcher Extreme Metal mit Inkompetenz brilliert. Hinsichtlich der stilistischen Ebene ist dieses Buch – gelinde gesagt – eine mittlere Tortur. Nein, McIver ist kein schwulstaffiner Pathos-Heini – aber Beschreibungen à la nahezu unfassbar aggressiven Extreme-Metal (68), CIRITH GORGOR – im Black-Metal-Look (53) oder bei IMMORTAL die Vorliebe der Band für Corpsepainting [sic!], das sie wie Dachse aussehen lässt sind nicht das Gelbe vom Ei. Vor allem – seit wann verdrängen Dachse die Pandabären? Dazu kommen Schreibfehler – so heißt der Ex-NECROPHOBIC-Klampfer Martin Halfdan und nicht wie auf Seite 128 geschrieben Halfdahn. Das sind zwar Kleinigkeiten, aber ein Klick bei Wikipedia liefert im letzteren Falle mehr Klarheit als dieses käuflich zu erwerbende Buch.
Allerdings bleibt es nicht bei Kleinigkeiten. Denn genau beim NECROPHOBIC-Eintrag – um nur ein Beispiel zu nennen – scheint offenbar der überarbeitende und ergänzungswillige Aktionsradius nicht gegriffen zu haben. So handelt es sich bei Martin Halfdan um den Ex-Gitarristen, der schon anno 2002 auf Bloodhymns durch Johan Bergebäck ersetzt worden war. Merkwürdig, dass diese Information in Extreme Metal nicht zu finden ist – zumal der Autor zu berichten weiß, dass die Band 2002 und 2003 auf Tour war. Diese Art von – meines Erachtens schwerwiegenderen Fehlern, da es sich hier ja um Das Lexikon der neuen Extrem Metal Szene handeln soll – gibt es zahlreiche. Dazu gehören auch Länderverwechslungen, wenn zum Beispiel SARCOPHAGUS nicht aus Deutschland, sondern aus den USA stammen…
Aber es sind nicht nur kleinere und größere Fehler, die dieses Lexikon zu einer ärgerlichen Angelegenheit machen. Am auffallendsten ist das Fehlen relevanter Bands und die Zumüllung mit irrelevanten Bands. Warum werden die irrelevanten Black Metaller ASGAROTH erwähnt, aber ASPHYX nicht? Warum liest man im Bereich des deutschen Black Metals über die Durchschnittstruppen CIRITH GORGOR und GOAT OF MENDES, erfährt aber nichts über LUNAR AURORA, SECRETS OF THE MOON, NAGELFAR, POISON (D) oder ENDSTILLE? Und wer kann mir erklären, warum Feld-Wald-und-Wiesenformationen wie unter anderem DARKMOON (aus den USA), REIGN OF EREBUS oder FROSTMOON einen Eintrag kriegen, unbestritten relevante Bands wie ANATHEMA, PRIMORDIAL, NIHILIST, NIFELHEIM, MERCILESS, OCCULT / LEGION OF THE DAMNED, SAMAEL, SARCÒFAGO und BEHEMOTH (!) aber fehlen? Wie können einem diese Bands entgangen sein?!? Selbst wenn man unter einem Stein wohnt, ist dies nur schwer vorzustellen oder mit dem – vom Autor eingangs erklärten – mein Buch, meine Regeln zu erklären.
So ist Extreme Metal schließlich ein Machwerk, welches den Zusatz Lexikon nicht verdient. Schreibfehler, stilistische Unsauberheiten, falsche Informationen, störende Naivität, fehlende Bands, überflüssiger Wust und zweifelhafte CD-Empfehlungen – das braucht kein Mensch. Somit bleibt zu hoffen, dass eifrige Verwandte, die dem Familienmetaller was unter den Weihnachtsbaum legen möchten, einen weiten Bogen um dieses Buch machen und das Geld lieber in das grandios gemachte Swedish Death Metal oder Choosing Death (für den Death Metaller), das kritische Unheilige Allianzen oder das süffig-unkritische Lords Of Chaos (für den Black Metaller) stecken. Und wer auf der Suche nach schnellen Informationen ist, für den bleibt weiterhin das Internet – wie bei Extreme Metal muss man dort halt die gebotenen Informationen kritisch hinterfragen…
Veröffentlichungstermin: 25.06.2007
Spielzeit: 179 Seiten Min.
Label: Grosser & Stein Verlag