Versprochen ist versprochen. Was auf dem SUMMER BREEZE 2024 aufgrund verpatzter Zeitplanung nicht klappen wollte, wird eben nun nachgeholt: Ohne die großen Hits zu spielen, mussten die Schweden im August die Open-Air-Bühne räumen. Man sei irrtümlicherweise von einer vollen Stunde Spielzeit ausgegangen, ließ der sichtlich verwirrte Sänger Tobias Gustavsson dort im Zuge des Show-Abbruchs wissen, bevor er Wiedergutmachung gelobte. Im Herbst gehe man auf Headline-Tour durch Deutschland, wo NESTOR solch ein Fauxpas wohl kaum zum Verhängnis werden könne.
Es ist allerdings nur einer von vielen Gründen, die uns heute ins Münchner Backstage ziehen. Natürlich gibt es etwas nachzuholen, wenn die schwedische AOR- / Melodic Rock-Band erstmals in der bayerischen Landeshauptstadt halt macht. Doch auch abseits der ersehnten Hits fehlt es nicht an Reizen: Authentischer als das Quintett fängt wohl kaum eine Band derzeit den Geist der 80er ein – sowohl visuell als auch musikalisch öffnen NESTOR somit ein Portal in die Vergangenheit: Realitätsflucht der romantischen Sorte, die natürlich auch in München Anklang findet.
VELVETEEN QUEEN
Wirklich verblüffend ist es somit nicht, dass die gut gefüllte Backstage Halle selbst dem Opening Act wohlgesonnen gegenübertritt. Was VELVETEEN QUEEN an Alter und Erfahrung noch fehlen mag, macht das Gespann mit der richtigen Attitüde locker wieder wett. Von den Bühnenoutfits über die Haarpracht bis hin zum penibel adaptierten Sound scheint das Quartett einer Zeit vor ihrer Zeit entsprungen zu sein.
Das Rockstar-Gen scheint jedenfalls nicht nur bei Sänger Samuel Nilsson besonders stark ausgeprägt – auch die beiden Gitarrist Lukas Axx und Noah Mardh posieren mal Rücken an Rücken, dann wieder mit stolz zur Schau gestelltem Instrument für ein theatralisch inszeniertes Solo. Stilistisch mag der Hard / Sleaze Rock der Skandinavier zwar nicht ganz unsere Baustelle sein, launig ist die motivierte Darbietung aber in jedem Fall, sodass auch das Eis bald spürbar zu bröckeln beginnt.
VELVETEEN QUEEN tragen offensichtlich das Rockstar-Gen in sich
Tatsächlich ist es letztendlich die Power-Ballade „Dreamer“ im AEROSMITH-Stil, welche das interessierte, doch zunächst verhaltene Publikum auf die eigene Seite zieht. Als Frontmann Nilsson gerade ein kleines E-Piano vor die Nase gesetzt wird, outen sich in der Ecke der Halle doch einige treue Fans der Band. Nur der Einladung des Musikers, doch gleich auf der Bühne auszuhelfen, will man lieber nicht nachkommen. Vielleicht ist das auch besser so, denn dort sind mit VELVETEEN QUEEN durchaus Profis am Werk.
Ob mittels Rock’n’Roll-Vibes in „Kenny’s Blues“ oder dem launigen Megafon-Einsatz in „Trauma“ – die Stimmung für den Main-Act anzuheizen gelingt der Gruppe bis zum Ende ihres 40-minütigen Sets nahezu ohne größere Anlaufschwierigkeiten.
Fotogalerie: VELVETEEN QUEEN














NESTOR
Eine solche Steilvorlage zu verwandeln, dürfte NESTOR selbst im Schlaf noch gelingen. Gespart wird bei den Schweden dennoch an keinem Detail: Selbst die fleißig umherschwirrende Crew trägt die Eishockey-Jerseys der „Falköping Rebels“ aus dem „Victorious“-Clip (Link zu YouTube). Noch schicker haben sich nur die Musiker selbst in Schale geworfen. Ganz in weiß mit perlen- und fransenbesetzten Uniformen zeigt das Quintett ein geschlossenes Bild, wobei vor allem Keyboarder Martin Frejingers Pilotenmütze ein exzentrisches Ausrufezeichen setzen kann.
Begleitet wird das herrlich kitschige Auftreten von einer farbenfrohen Lightshow, die sich bis auf das mit LEDs geschmückte Drumset Mattias Carlssons erstreckt. Stilsicher sind NESTOR somit vom ersten Augenblick an, als das Intro „The Law Of Jante“ den aufpeitschenden Klängen des Openers „We Come Alive“ weicht. Spätestens der ohrenbetäubende Beifall im Anschluss setzt das ganze Spektakel in Relation: In gerade einmal drei Jahren sind die Skandinavier vom obskuren Geheimtipp zum ernstzunehmenden Main-Event gewachsen.
Stimmlich präsentiert sich NESTOR-Sänger Tobias Gustavsson von seiner besten Seite
Dass all das für die Jugendfreunde, die nach der Bandgründung 1989 erst in der Pandemie wieder zusammengefunden haben, wie ein Fiebertraum wirken muss, verraten die Mienen von Sänger Tobias Gustavsson und Gitarrist Jonny Wemmenstedt, die trotz bester Bemühungen ihre Überwältigung nicht komplett verstecken können.
Immerhin scheint es sich dabei um keine einseitige Angelegenheit zu handeln, wie die Resonanz im Münchner Backstage klar zu verstehen gibt. Schon zu „Stone Cold Eyes“ springen die vorderen Reihen auf und ab, nur um dann im herausragenden „Perfect 10 (Eyes Like Demi Moore)“ an der Seite Tobias Gustavssons so ziemlich jede Silbe leidenschaftlich mitzusingen. Der improvisierte Backgroundchor ist auf den Brettern natürlich höchstwillkommen, wenn auch kaum nötig. Denn stimmlich präsentiert sich der Frontmann heute geradezu herausragend, was durch den ungemein differenzierten Audiomix erfreulicherweise umso besser zur Geltung kommt.
NESTOR reihen im Münchner Backstage einen Hit an den anderen
Daher gelingt auch die „gesanglich herausfordernde“ Ballade „The One That Got Away” auf Anhieb. Den Barhocker räumt der Sänger aber schon nach diesem kurzen Intermezzo wieder, um mit „Unchain My Heart“ den „ersten Airplay-Hit“ NESTORs anzukündigen. Im Endeffekt ist es heute Abend jedoch völlig einerlei, welche Nummer die Melodic-Rock-Band im Verlauf der knapp 80 Minuten aus dem Ärmel schüttelt: Textsicher und engagiert zeigen sich die Münchner:innen bei jedem der Tracks. Das bleibt natürlich auch den Mannen im Rampenlicht nicht verborgen, weshalb Fronter Tobias Gustavsson zwischendurch auch mal den Kniefall übt, um den Fans am Bühnenrand direkt in die Augen blicken zu können.
Die wiederum danken es mit vollem Stimmeinsatz im fabelhaften „Caroline“, wo Gustavsson den heiß laufenden Saiten von Gitarrist Jonny erst mit seinem wedelnden Handtuch Abkühlung verschafft, um dann im finalen Singalong Juror zu spielen. Ob München tatsächlich so laut war wie das Publikum der vorherigen Termine? Spielverderber will heute natürlich niemand sein, weshalb wir das Kompliment gerne mit in den Zugabenblock nehmen, wo NESTOR endlich auch jene Songs präsentieren dürfen, für die im Sommer keine Zeit mehr war.
Für das Finale haben sich NESTOR zwei ihrer größten Hits aufgespart
Ihr Versprechen löst das Gespann mit den beiden Hits „On The Run“ und „1989“ sodann ein, um uns gleich mit dem nächsten in die Nacht zu entlassen: Selbstverständlich werde man die Millionenstadt möglichst bald wieder beehren, geben uns NESTOR als Botschaft mit auf den Weg. Gewiss sind das auch tröstende Worte, um die abrupte Rückkehr ins vergleichsweise triste Hier und Jetzt ein wenig abzudämpfen, verfehlen aber dennoch ihre Wirkung nicht. Sogar wir würden am liebsten jetzt schon die Tage zählen, bis wir ein weiteres Mal mit den sympathischen Mannen die Uhr zurückdrehen dürfen.
NESTOR Setlist – ca. 80 Minuten
1. We Come Alive
2. Kids In A Ghost Town
3. Addicted To Your Love
4. Stone Cold Eyes
5. Last To Know
6. Perfect 10 (Eyes Like Demi Moore)
7. The One That Got Away
8. Unchain My Heart
9. Signed In Blood
10. Victorious
11. Caroline
12. Firesign
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13. On The Run
14. Teenage Rebel
15. 1989
Fotogalerie: NESTOR



















Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)
Veranstalter: Backstage Concerts GmbH