„Warum tun wir uns das eigentlich an? Warum stellen wir uns an einem wunderbar sommerlichen Samstag bei 29°C Celsius in einen stickigen Club anstatt im benachbarten Biergarten bei einem lauen Lüftchen den Sonnenuntergang zu genießen?“ Gerade in den Umbaupausen hinterfragen wir heute so manche Lebensentscheidung, während wir die Schweißperlen von der Stirn wischen.
Wenn es aber dann endlich aus den Lautsprechern donnert, sind alle Zweifel auf Anhieb vergessen. Glücklicherweise geht der Changeover mit knapp 15 Minuten heute recht flott vonstatten, so dass wir die Sinnhaftigkeit unseres eigenen Handelns tatsächlich nur kurz anzweifeln. Grundsätzlich sind wir ja ohnehin immer gerne im Münchner Backstage, wo man heute aufgrund von Gleisarbeiten mit erhöhtem PKW-Aufkommen rechnen muss. Noch dazu wuselt es außerdem bei schönstem Wetter auch abseits des Konzertprogramms auf dem verwinkelten Gelände.
Daher wären wir spontan nicht abgeneigt, für eine Erfrischung an der Cocktailbar zu halten, folgen aber zunächst dennoch den dunkel gekleideten Gestalten ins Werk, wo CRADLE OF FILTH ihr neues Album „The Screaming Of The Valkyries“ (2025) sowie mit NERVOSA einen rabiaten wie namhaften Support-Act mitgebracht haben.
TERRADOWN
Den Anfang jedoch macht mit TERRADOWN eine Formation, die zwar nicht unbedingt soft unterwegs ist, für uns Metalheads aber durchaus zugängliche Songs aus dem Ärmel schüttelt. Dank des klar abgemischten Sounds müssen wir uns darüber hinaus keine Sorgen machen, dass der melodische Death Metal der Niederländer im Soundbrei stirbt. Verspielte Leadgitarren, die in „Accept Your Fate“ selbstverständlich stellenweise gedoppelt werden, flankieren das aufrüttelnde Riffing, so dass auch die Münchner:innen schnell im Kosmos der Band angekommen sind.
Gleiches wollen wir fast von Gitarrist Mark selbst behaupten, der am heutigen Samstag aufgrund dringlicher Angelegenheiten kurzfristig nach Amsterdam fliegen musste und es gerade pünktlich zur Show wieder in die bayerische Landeshauptstadt schaffte. Dort darf er sich nun in „From The Skies“ über einen kleinen, doch feinen Moshpit freuen, der belegt, dass TERRADOWN mit ihrem eingängigen und groove-betonten Ansatz selbst als Anheizer keine Angst vor dem gefürchteten Opener-Slot haben müssen.
TERRADOWN Setlist – ca. 30 Min.
1. So Sweet And Cold
2. Accept Your Fate
3. Memories
4. From The Skies
5. Checkmate
6. The Last Decree
Fotogalerie: TERRADOWN















NERVOSA
Eine knappe Viertelstunde später ist Schluss mit lustig: NERVOSA legen im Vergleich nochmals einen Zahn zu, indem sie das Backstage mit ihrem furiosen Thrash Metal geradezu überrollen. Mit Abstand die härteste Band des Abends, wird das Quartett allein durch das langsam arg stickige Hallenklima ausgebremst. Dabei sind es nicht die Brasilianerinnen, die mit ihren Energiereserven haushalten, sondern die bayerische Landeshauptstadt selbst: Für Mosh und Circle Pit ist es offenbar zu heiß, obwohl „Seed Of Death“, „Under Ruins“ und die neue Single „Smashing Heads“ durchaus dazu einladen würden.
Was die Münchner:innen an Bewegung missen lassen, geben sie dafür in Form von Stimmgewalt zurück: Die Resonanz auf die präzise gespielten Riffs von „Kill The Silence“ ist gewaltig, während die Aufforderungen Prika Amarals ansonsten bereitwillig erwidert werden. Fäuste recken klappt auch bei gefühlten 30°C noch hervorragend, zumal das groovende Drumming in „Perpetual Chaos“ ja auch genau dazu einlädt.
NERVOSA richten den Blick aufs Wesentliche und bleiben dadurch authentisch
Die Routine NERVOSAs wirkt bis ins Stageacting hinein, wo Gitarristin und Sängerin Amaral fast wie ein Uhrwerk den Kopf zur Seite dreht, um ein Gitarrensolo mit der passenden Grimasse zu begleiten. Authentisch bleibt die Band trotzdem, eben weil die Darbietung ansonsten angenehm unaufgeregt ist und den Blick auf das Wesentliche richtet: messerscharfes Riffing sowie kompromissloses Songwriting – viel mehr braucht es unserer Ansicht nach auch gar nicht.
NERVOSA Setlist – ca. 40 Min.
1. Seed Of Death
2. Behind The Wall
3. Kill The Silence
4. Perpetual Chaos
5. Masked Betrayedr
6. Under Ruins
7. Smashing Heads
8. Jailbreak
9. Guided By Evil
10. Endless Ambition
Fotogalerie: NERVOSA











CRADLE OF FILTH
Als wir CRADLE OF FILTH vor rund zweieinhalb Jahren nach den Covid-19-Lockdowns das letzte Mal an Ort und Stelle sahen, war das Werk eher spärlich gefüllt. Heute ist die Location zwar nicht ausverkauft, aber freie Plätze findet man bestenfalls noch am äußeren Rand des gestuften Clubs. Das wurzelartige Bühnenbild tauschen die Briten heuer gegen ein schlichteres Set, das aber Schlagzeug und Keyboarder mit seinen Zäunen im viktorianischen Stil in schicker Weise abzugrenzen weiß. Eingerahmt wird die Szenerie wie gewohnt von den (HR-)geigeresken Skeletten, visuell passend zu Dani FIlths detailreichem Mikrofonständer.
Ein Relikt des vorherigen Tourzyklus ist dagegen das Backdrop mit dem „Existence Is Futile“-Artwork (2021) – das einzige Überbleibsel aus jener Schaffensperiode: In puncto Songauswahl setzen CRADLE OF FILTH ausschließlich auf brandneues Material sowie eine ganze Reihe essentieller Klassiker, welche dank des differenzierten Soundmixes in standesgerechter Weise zum Leben erweckt werden.
CRADLE OF FILTH-Gitarrist Ashok tritt stoisch auf, sucht aber ständig den Kontakt zum Publikum
Leben ist ohnehin ein gutes Stichwort, wenn wir das Treiben im Backstage auf uns wirken lassen. Die Münchner:innen sind nicht nur unfassbar laut, sie feiern Evergreens à la „Nymphetamine (Fix)“ in ohrenbetäubender Lautstärke. Recht viel Zutun seitens des Headliners ist somit überhaupt nicht nötig, um diesem Abend die Krone aufzusetzen. Das Gaspedal drücken CRADLE OF FILTH dennoch durch, als „The Principle Of Evil Made Flesh” vom gleichnamigen Debüt (1994) einen kleinen Pit heraufbeschwört, während Keyboarderin Zoë Marie Federoff im Hintergrund die langen blonden Haare kreisen lässt.
Am Bühnenrand geht es ähnlich energiegeladen zur Sache, wobei allein Gitarrist Ashok in Ermangelung einer Haarpracht einen anderen Ansatz wählt. Die stoische Art des Musikers mag ein Kontrast zu Dani Filths mitunter erratischen Performance sein, schafft jedoch auch eine besondere Bindung zum Publikum. Jenen präsentiert er – passend zum eigene Make-up – mit der sogenannten Klagenkonfiguration zwischendurch den berühmten Kubus aus der „Hellraiser“-Filmreihe und sucht auch sonst über Gesten und Mimik den Dialog mit den Fans.
Mit gespenstischer Effizienz bringen CRADLE OF FILTH das Backstage zum Kochen
Ob nun die melodischen Gitarren von „She Is A Fire“ den Ton angeben, oder Federoffs schauriger Hintergrundgesang die Amtosphäre von „The Forest Whispers My Name“ ausschmückt, ihr Ziel erreichen CRADLE OF FILTH ausnahmslos mit gespenstischer Effizienz. Das Publikum frisst der Band quasi aus der Hand, freut sich über aktuelle Stücke wie „Malignant Perfection“ oder „White Hellebore“ mit seinem klar gesungenen Refrain genauso wie über das altehrwürdige „Cruelty Brought Thee Three Orchids“.
Für jene Zugabe legt sogar Bandkopf Dani Filth den charakteristischen Lederharnisch ab – ein Tribut an die unbarmherzigen Temperaturen, obgleich der gut aufgelegte Shouter kurz zuvor noch gescherzte hatte, der Hallenbetreiber möge doch die Heizung etwas hochdrehen. Eisig sind indes allerhöchstens die gellenden Screams des Frontmanns, die längst zum Markenzeichen geworden sind und natürlich auch heute wieder ein Lächeln auf die Gesichter zaubern, wo sonst vornehmlich die Schweißperlen kullern.
CRADLE OF FILTH geizen mit Überraschungen, erfüllen aber dank der motivierten Performance selbst gehobene Erwartungen
Um jenen Herr zu werden, beobachten wir in den Reihen vor allem eine improvisierte Strategie: Die am Einlass so fleißig ausgehändigten Flugblätter eignen sich offenbar auch hervorragend als Fächer – ein guter Tag für Werbetreibende. Unsere Aufmerksamkeit gilt allerdings vorerst noch dem Hauptact auf der Bühne, wo in „Death Magick For Adults“ ein maskierter Komparse am Ende seines Stabs einen Ziegenschädel mit leuchtenden Augen präsentiert.
Ein seltener Showeffekt in einem sonst traditionell dargebotenen Set, das natürlich zum Abschluss nochmals ein Ausrufezeichen setzt: „Her Ghost In The Fog“ darf auch 2025 nicht im Set fehlen und beschließt eine Show, die letztendlich die gehobenen Erwartungen erfüllt, eben weil die Band mit diesem Set auf den Punkt bringt, was CRADLE OF FILTH ausmacht.
Warum wir uns das antun haben wir uns bei brütenden Temperaturen vorhin noch gefragt. Die Antwort ist dabei so einfach, wenn man einmal im Sog gefangen ist: Auch ohne große Überraschungen ist eine Show der Extreme-Metal-Veteranen ein Erlebnis, für das wir gerne ein kleines Opfer bringen.
CRADLE OF FILTH Setlist – ca. 85 Min.
1. To Live Deliciously
2. The Forest Whispers My Name
3. She Is A Fire
4. Malignant Perfection
5. The Principle Of Evil Made Flesh
6. Heartbreak And Séance
7. Nymphetamine (Fix)
8. Born In A Burial Gown
9. White Hellebore
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10. Cruelty Brought Thee Three Orchids
11. Death Magick For Adults
12. Her Ghost In The Fog
Fotogalerie: CRADLE OF FILTH






















Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)