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BURY TOMORROW, AUGUST BURNS RED, NOVELISTS FR: Konzertbericht – Backstage Werk, München – 23.11.2022

Wenn sich zwei Metalcore-Größen wie BURY TOMORROW und AUGUST BURNS RED für eine Tour zusammenschließen, ist ausverkauftes Haus fast vorprogrammiert. Zusammen mit den kurzfristig für THORNHILL und MISS MAY I eingesprungenen NOVELISTS FR hat man folglich ein Gesamtpaket am Start, das für Metalcore-Jünger eigentlich keine Wünsche offen lassen dürfte.

Wir haben in diesem Konzertjahr 2022 so ziemlich alle Extreme durchlebt: ausverkaufte Mega-Events, schweißtreibende Club-Shows, verschobene sowie abgesagte Gigs und leider auch viele Auftritte, deren Klasse im absoluten Missverhältnis zur enttäuschenden Zuschauerzahl stand. Es gibt folglich auch in diesen turbulenten Zeiten stets Gewinner und Verlierer. Zu den Erstgenannten zählen wir aber in den allermeisten Fällen die Metalcore-Szene, die – zumindest nach unserer eigenen Erfahrung – gerade im Münchner Raum auf einen treuen Zuschauerstamm zählen konnte.

Ganz vor den Nachwirkungen der Pandemie gefeit ist man aber selbst dort nicht: Hier und da erwischte es manch kleinere Band, aber auch das mächtige Tour-Paket aus BURY TOMORROW sowie AUGUST BURNS RED kam nicht ungeschoren davon: Die ursprünglich gebuchten US-Supports THORNHILL und MISS MAY I sprangen nacheinander aus vorwiegend wirtschaftlichen Gründen von der geplanten Europareise ab. Das Glück im Unglück: Die französisch-deutschen NOVELISTS FR waren kurzfristig verfügbar und bereit, als Opening Act in die Bresche zu springen.

Angesichts der vormals misslichen Lage eine klassische Win-Win-Situation für alle Beteiligten, deren Konsequenz eigentlich naheliegt: Die Show im Münchner Backstage ist restlos ausverkauft, obwohl das Konzert an einem Mittwochabend eigentlich recht ungünstig terminiert ist. Doch abhalten kann das weder uns noch die zahlreichen Fans, die schon zur frühen Stunde angereist sind, um sich aus erster Hand von den Live-Qualitäten der einzigen Support-Band zu überzeugen.


NOVELISTS FR

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Wenn wir ehrlich sind, gehen wir nicht gänzlich unbedarft in die kommenden 40 Minuten: Bereits im Mai hatten wir NOVELISTS FR auf derselben Bühne und im Vorprogramm von IMMINENCE erlebt. Damals wie heute bildet der in verschiedenen Farben leuchtende Band-Schriftzug den visuellen Rahmen, vor dem die Musiker unentwegt über die Bretter turnen. Abermals Teil des Show-Konzeptes sind die abwechslungsreichen Interludes des aktuellen Albums „Déjà Vu“ (2022), die von Synth-Ambience („Mae“) bis hin zum verträumten Instrumental auf der Akustik-Gitarre („Erre“) reichen.

Wo allerdings im Frühjahr diese ruhigen Zwischenspiele leider im lautstarkem Gemurmel des redseligen Publikums untergegangen sind, haben NOVELISTS FR mittlerweile dazu gelernt: Mal animiert Fronter Tobias Rische während der Einschübe zum Mitklatschen, mal lässt er die Münchner andächtig die Feuerzeuge bzw. Handylichter zücken – oder zieht schlicht durch ein paar Worte die Aufmerksamkeit der Anwesenden nach vorne. Der verdiente Lohn: Selbst die ruhigen Momente des Auftritts bekommen die Plattform, die ihnen zusteht.

Mit der ersten Wall of Death bricht auch das Eis – NOVELISTS FR werden mit offenen Armen empfangen

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Den klassischen Tracks der Formation steht man im Backstage Werk ohnehin recht aufgeschlossen gegenüber, obschon man in der Arena trotz des guten Sounds – von den etwas zu leisen Vocals mal abgesehen – ein paar Minuten braucht, um warm zu laufen. „Terrorist“ wird nach dem coolen Schlagzeug-Intro noch eher höflich aufgenommen, bis schließlich der anfangs noch überschaubare Pit durch die Wall of Death in „Do Your Really Wanna Know?“ die zuvor gesteckten Grenzen und damit auch das Eis in der Halle bricht.

Von sauber gespielten Soli in „Smoke Signals“ bis zum Circle Pit in „Heretic“ gibt es von da an einige Schauwerte zu bestaunen, wenngleich sich in Letzterem doch arg viele Backing Tracks bemerkbar machen. Das ist mitunter der modernen Ausrichtung des aktuellen Albums geschuldet, das eben nicht ohne zahlreiche Synthesizer und unterstützende Gesangsspuren auskommt. Der Stimmung in der Halle tut das allerdings keinen Abbruch, obwohl vor allem das ältere Material wie „Gravity“ oder „A Bitter End“ heute für die ersten Höhepunkte sorgt.

NOVELISTS FR liefern heute einen spürbar runderen Auftritt als bei ihrem letzten Münchner Gastspiel

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Mit dem getragenen „Lost Cause“ finden NOVELISTS FR jedenfalls ein wunderbar passendes Ende für einen Auftritt, der in anderem Rahmen gut und gerne als Headlining-Act durchgegangen wäre und der selbst ohne Bassist Nico, welcher heute ausnahmsweise hinterm Mischpult Platz nehmen musste, einen wesentlich runderen Eindruck hinterlässt als noch ein halbes Jahr zuvor.

NOVELISTS FR Setlist – ca. 40 Minuten

1. Terrorist
2. Do You Really Wanna Know?
3. Colas
4. Smoke Signals
5. Erre
6. Gravity
7. Mae
8. Heretic
9. A Bitter End
10. Lost Cause

Fotogalerie: NOVELISTS FR


AUGUST BURNS RED

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Dass AUGUST BURNS RED in München als erster Headliner auf die Bühne müssen, ist nicht wirklich eine Frage der Popularität. Vielmehr tauschen die beiden Haupt-Acts während ihrer kontinentaleuropäischen Termine des Öfteren die Rollen. Das bestätigt dann auch der Eindruck im vollgepackten Werk, als die US-Amerikaner nach dem ersten Refrain des SYSTEM OF A DOWN-Klassikers „Chop Suey!“ – hier noch vom Band – das Ruder übernehmen und den restlichen Song in ihrem unmissverständlich kraftvollen Stil runterschmettern.

Ein unerwarteter, doch explosiver Start, welcher die Marschrichtung für die nächste Stunde ganz gut vorgibt. Eine Pause gönnen sich AUGUST BURNS RED selbst nämlich genauso wenig wie uns: „Vengeance“, das markige „Bloodletter“, die melodische Hymne „Paramount“ vom aktuellen Album „Guardians“ (2021) – es geht Schlag auf Schlag. Auf der Bühne herrscht dabei munteres Treiben, nicht nur weil Frontmann Jake Luhrs jede Ecke der Bühne unsicher macht und dabei mit großen Gesten sowie einer erdrückenden Präsenz die Blicke auf sich zieht. Brent Rambler und Dustin Davidson etwa tauschen ihrerseits nach den ersten zwölf Minuten die Instrumente, während Lead-Gitarrist JB Brubaker heute jedes Solo auf einem der drei errichteten Podeste zelebriert.

Frontmann Jake Luhrs begrüßt die vereinzelten Crowdsurfer per Faustgruß, während seine Kollegen die Intensität am Anschlag halten

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Dass auch bei AUGUST BURNS RED die Vocals für unseren Geschmack einen Tick zu leise sind, trübt das Spektakel nur unwesentlich: Wer Richtung Bühne blickt, wird mit einer höchst engagiert auftretenden Band belohnt, wohingegen der Publikumsbereich alsbald einem regelrechten Schlachtfeld gleicht. Nahezu das vollständige Innenareal der gestuften Halle wird spätestens in „Dismembered Memory“ zum einzigen Moshpit, nachdem man zuvor bereits gemeinsam gesprungen war und in „Meddler“ lautstark mitgesungen hatte. Die vereinzelten Crowdsurfer begrüßt Sänger Jake Luhrs in der Zwischenzeit per Faustgruß, als würde er deren Einsatz besonders zu würdigen wissen.

Mit Ansagen hält sich der Fronter weitgehend zurück – nur ab und an richtet er ein paar kurze Worte an die Zuschauerschaft, bevor es ein weiteres Mal mit dem Kopf durch die Wand geht. Das kommt heute Abend offenbar gut an, schließlich zeigt man im Werk bislang keinerlei Ermüdungserscheinungen, obwohl die Breakdowns zahlreich und die Verschnaufpausen rar gesät sind. Die Daumenschrauben locker lassen AUGUST BURNS RED eigentlich nur kurzzeitig bei „Ghosts“, das mit atmosphärischem Intro und etwas Klargesang besticht. Ein wenig schade, denn etwas mehr Bandbreite darf sich die Band durchaus auch im Live-Kontext erlauben, wie wir finden.

AUGUST BURNS RED halten es (zu) kurz und dafür knackig

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Dass das Quintett dagegen lieber auf Nummer sicher geht und auf Altbewährtes setzt, ist allerdings bei dieser überwältigenden Publikumsresonanz mehr als verständlich. Und so beschließt auch heute das Klassiker-Doppel „Mariana’s Trench“ sowie „White Washed“ eine hochintensive, doch insgesamt etwas kurze Headliner-Show.

AUGUST BURNS RED Setlist – ca. 60 Minuten

1. Chop Suey! (SYSTEM OF A DOWN-Cover)
2. Vengeance
3. Bloodletter
4. Paramount
5. Invisible Enemy
6. Meddler
7. Back Burner
8. Dismembered Memory
9. Composure
10. Ghosts
11. Defender
12. King of Sorrow
13. Marianas Trench
14. White Washed

Fotogalerie: AUGUST BURNS RED


BURY TOMORROW

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Das lässt uns natürlich mutmaßen, ob wir an diesem Mittwoch nicht sogar vergleichsweise früh ins Bett kommen, schließlich erlöschen bereits um 20 nach Neun ein letztes Mal die Lichter im Backstage, das ab da kein Halten mehr kennt. Den Opener „Choke“ singen die begeisterten Fans in jeder Ecke der Halle mit, bevor man in „Grey (VIXI)“ bereits sorglos auf und ab springt und im Anschluss gerne Sänger Dani Winter-Bates‘ Wunsch einer La-Ola-Welle erfüllt.

Es wirkt fast ein wenig verrückt, was sich in diesen ersten Minuten innerhalb der Location abspielt und doch unterstreicht es das Standing, welches sich BURY TOMORROW mittlerweile auf deutschem Boden erspielt haben. Das wissen die Briten selbst nur zu gut – zumindest zeugt es von strotzendem Selbstbewusstsein, den größten Band-Hit bereits an dritter Position vom Stapel zu lassen: „Black Flame“ wird dementsprechend enthusiastisch zelebriert, dass uns das Sextett im Folgenden erstmal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen muss.

BURY TOMORROW akzeptieren vom Münchner Publikum nicht weniger als die Höchstleistung

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Dafür bietet sich natürlich „Earthbound“ bestens an, wo der Circle Pit an Fahrt aufnimmt, nachdem uns die brandneue Single „Abandon Us“ direkt davor mit Groove und Biss den Mund wässrig gemacht hatte. Ein Glück also, dass BURY TOMORROW uns wenig später mit dem bis dato unveröffentlichten „Boltcutter“ einen weiteren Ausblick auf kommende Taten schenken. Die einzige Überraschung im Set mutiert schnell zur Abrissbirne, insbesondere weil Shouter Dani heute stimmlich gut aufgelegt ist und nebenbei mit ausgesprochener Hart-Ei-Attitüde den humorlosen Aufrührer gibt.

Ein „geht nicht“ akzeptieren heute weder er noch seine Mitstreiter: Während Gitarrist Kris Dawson mit deutlicher Gestik und anfeuernder Mimik in der vorderen Reihe den Kontakt zum Publikum sucht, springt Keyboarder und Sänger Tom Pendergrast im Hintergrund immer wieder auf die kleine Kiste zu seinen Füßen, um die Menge anzuheizen. Gesanglich muss sich der zweite Mann am Mikro ohnehin nicht verstecken, obgleich wir den Musiker hinter den oftmals dichten Nebelschwaden so manches Mal beinahe aus den Augen verlieren.

So mitreißend BURY TOMORROW zwischendurch sein mögen, bleibt es letztendlich ein arg kurzes Vergnügen

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Als Fixpunkt bleibt dann jedoch immer noch Dani Winter-Bates, welchem die Münchner aus der Hand zu fressen scheinen, selbst wenn er sich hier und da in überlangen und recht generischen Ansagen verliert. Das ist normalerweise kein Beinbruch, schmerzt allerdings aufgrund der dürftigen Spielzeit mehr, als es sollte. Nach den starken „Cannibal“ sowie „DEATH (Ever Colder)“ ist nach rund einer Stunde schon wieder Schicht im Schacht.

Der einzige Wermutstropfen ist somit eher eine Frage der Quantität denn der Qualität, was sich letztlich – und damit irgendwie symptomatisch für unser Konzertjahr 2022 – erneut als ein Aufeinandertreffen der Extreme stilisieren lässt: maximale Intensität trifft spielzeit-technisch auf absolutes Mindestmaß; zwei schweißtreibende Headliner-Auftritte, doch eben nur mit dem Umfang einer Festival-Show.

Obwohl wir uns letztendlich nicht unzufrieden auf den Heimweg machen, empfinden wir diese Reduktion auf das Nötigste bei einem Preis von knapp 40,-€ und gemessen an vergleichbaren Veranstaltungen der letzten Wochen und Monate als etwas mager – zumal das Line-Up bereits im Vorfeld um eine Band zusammengeschrumpft war. Es gebe selbst in diesen Zeiten stets Gewinner und Verlierer, stellten wir eingangs noch mit Blick auf die derzeitige Situation fest. Und obwohl sich an diesem Mittwochabend eigentlich ausnahmslos alle zu erstgenannter Kategorie zählen dürfen, hadern wir im Nachgang noch ein wenig mit dem Resultat. Manchmal hat wohl selbst ein Sieg einen leicht schalen Beigeschmack.

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BURY TOMORROW Setlist – ca. 60 Minuten

1. Choke
2. The Grey (VIXI)
3. Black Flame
4. Cemetery
5. LIFE (Paradise Denied)
6. Abandon Us
7. Earthbound
8. The Age
9. Better Below
10. Boltcutter
11. Cannibal
12. DEATH (Ever Colder)

Fotogalerie: BURY TOMORROW

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

Veranstalter: Target Concerts GmbH

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