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PORCUPINE TREE: Lightbulb Sun revisited

Mit “Recordings” veröffentlicht der ewige Art/Prog/Psychedelic Rock-Geheimtip ein Album voller Aufnahmen und Material der “Lightbulb Sun”-Phase. Wir erlauben uns in dreister Analogie, ein altes Interview aus der Schublade zu holen. Let’s do the time-warp…

Muß man zu PORCUPINE TREE noch viel sagen? Ja, definitiv. Denn trotz massiver Medien-Lobhudelei sind die Briten um Steven Wilson immer noch nicht über den Status des Art/Prog/Psychedelic Rock-Geheimtips hinaus gekommen. Und das, obgleich jüngere Alben wie “Stupid Dream” und “Lighbulb Sun” dank ihrer Hinwendung zu kompakteren Kompositionen mit brillanten Songs glänzten, die eigentlich jeder Liebhaber melodischer, aber stets intelligenter Rock- und Pop-Musik mit Freude in sein Herz schließen müßte. Die PINK FLOYDschen Psychedelic-Prinzipien der frühen Band-Tage traten auf diesen Werken in Anbetracht der geballten Sammlung songwriterischer Präzision (immer gerade aus, Kurs “Refrain”) allerdings ein wenig in den Hintergrund, ein Umstand, den mancher Alt-Fan bedauert haben mag.

Doch die Rettung naht: “Recordings”, die aktuelle Veröffentlichung der Briten, versammelt unveröffentlichte Aufnahmen und Material der “Lightbulb Sun”-Phase, und wirkt, obgleich (oder gerade weil) es klanglich seinen zeit-historischen Hintergrund nicht verleugnen kann, wie das inverse Komplementär-Werk zu besagtem Album. Sprich: Die Relation Kompaktsong zu Atmosphären-Trip verschiebt sich hier merklich zugunsten letzterer Gattung. Klingt weniger zeitgemäß, aber nicht minder brillant. Und jede Band, die selbst mit bloßen “Überbleibseln” noch eine derart überzeugende Werkschau zusammenstellen kann, hat nichts anderes als aufrichtigste Anerkennung verdient.

Eben jene tiefempfundende Anerkennung veranlaßte mich, im Textfundus meiner Festplatte zu recherchieren und ein älteres Interview mit Mr. Wilson zu Tage zu fördern, das nach Veröffentlichung von “Lightbulb Sun” stattfand. Natürlich prägt dieser – nicht mehr ganz aktuelle – Hintergrund das Gespräch, doch ist die Analogie, “wiederaufbereitetes Alt-Interview zur Veröffentlichung wiederaufbereiteter Alt-Songs” nicht ganz reizlos, und PORCUPINE TREE immer einen Artikel wert (zumal die Namen BEACH BOYS und Brian Wilson erfruelich oft fallen werden). Wir kehren also zurück ins Jahr 2000…

Steven, darf ich Dir einfach ein paar Wortbrocken und Begriffe an den Kopf werfen und Du sagst mir, was Dir dazu einfällt?

Äh, OK, wir können’s versuchen…

Fein! Nummer eins ist noch relativ einfach: “Lighbulb Sun”…

Nun, das ist natürlich der Name des aktuellen Albums und der Titelsong. Dieses Bild, die entstammt einer Kindheitserinnerung (Anm. des Verf.: “Lighbulb Sun” heißt wörtlich “Glühbirnen-Sonne”). Als Kind war ich eine Weile sehr krank und habe einige Zeit in einem bestimmten Raum verbracht. Ich war keineswegs eingesperrt, aber dort untergebracht, um mich von dieser Krankheit zu erholen. Nun: der Raum hatte keine Fenster. Das war mir gänzlich neu und alles, was für mich persönlich Tag und Nacht definierte, war irgendwie nicht mehr präsent. Meine einziger Bezugspunkt und so quasi der Ersatz für die Sonne war, die Glühbirne über meinem Bett. Wenn sie brannte, was das war mein Tag. Und wenn sie aus war und ich schlief, war es meine Nacht. In diesen Wochen, in denen ich mich erholte, wurde diese Glühbirne meine Sonne, wenn man das so sagen kann. Daher dieses Bild.

Das nächste Wort: “kommerziell”…

Kommerziell? Hmm. Es fällt mir schwer etwas dazu zu sagen. Vielleicht kannst du mir einen Kontext geben?

Ich versuche es. Wenn man die Entwicklung PORCUPINE TREEs betrachtet, fällt eine ganz klare Tendenz auf: weg von psychedelischen Experimenten und atmosphärischen Epen und hin zu einem weit songorientierteren, eingängigeren Stil. Man könnte vermuten, dahinter steckt der Wunsch, eine breitere Käuferschicht anzusprechen.

Steven WilsonJa, ich weiß, was Du meinst. OK, nun, es ist ein Kommentar, der durchaus angebracht scheint. Es kommt allerdings drauf an, ob man das negativ oder positiv auslegt. Ich bin sicher, manche verstehen es eher negativ, als wäre es eine geringere Kunst, richtige Songs zu schreiben als es das Schreiben von langen Stücken ist. Persönlich war ich nie dieser Meinung. Für mich stammt die großartigste Musik aus der populären Rock- und Musikwelt, ist also dem Songwriting verpflichtet. Für mich sind die größten Werken der Popmusik Singles wie ‘Strawberry Fields Forever’ (THE BEATLES – der Verf.), ‘Good Vibrations’ (THE BEACH BOYS – der Verf.) oder sogar ‘Smells Like Teen Spirit’ (NIRVANA – der Verf.). Und all das waren Pop-Songs. Sie bedienen sich des klassischen Vers-Refrain-Vers-Refrain-Formates, also eines traditionellen Popsong-Aufbaus. Ich war nie der Überzeugung, daß es weniger Wert ist, mich in kreativer Hinsicht in kurzen Songs auszuleben als in langen. Und das mache ich inzwischen sicherlich auch. Ich kann verstehen, daß manche Leute die längeren, intelligenteren Stücke bevorzugen. Nun, alles, was ich dazu sagen möchte, ist, daß es für uns eine absolut natürliche Entwicklung war. Es war ganz und gar nichts, daß mittels Druck durch die Plattenfirma veranlaßt wurde. Denn eines würden wir niemals tun: einem solchen Druck nachgeben. Es geschah ganz natürlich, es wuchs. Ich war noch nie daran interessiert, mich selbst zu wiederholen. Jedes Album in der Geschichte PORCUPINE TREEs unterschied sich sehr von seinem Vorgänger, und dieses Album bildet da keine Ausnahme. Das Songwriting steht eben mittlerweile mehr im Mittelpunkt. “Stupid Dream” war wohl das erste Album, das sich, wenn man das so sagen kann, mehr dem Aspekt des klassischen Songwritings annahm , und ich denke, das setzt sich fort. Allerdings denke ich auch, daß das Material auf “Lighbulb Sun” weit dunkler ausgefallen als zuvor. Vor allem die textliche Seite dieses Albums ist viel dunkler und melancholischer. In dieser Hinsicht kann man fast sagen, daß “Lighbulb Sun” mit einem geradezu unkommerziellen Ansatz aufwartet. Aber ich verstehe, was Du sagen willst. Würde man mich fragen, welches unserer Alben das größte Potential besitzt, ein breitgefächerteres Mainstream-Publikum anzusprechen, würde ich sagen: dieses hier. Ganz sicher dieses. Aber ich verstehe das nicht als eine Tatsache, für die man sich schämen müßte. Für mich ist es Ausdruck der Qualität des Materials, daß einige Songs sich gut im Radio machen würden.

Gute Melodien und eingängige Arrangements bedeuten ja an sich noch nicht, daß es einem Song an Tiefe und Anspruch fehlt. Popmusik kann durchaus intelligent sein…

Ja, das macht für mich auch in der Tat den Unterschied aus: ich denke, Leute halten kommerziell mitunter für ein Schimpfwort, ebenso Pop. Mit Pop assoziieren die meisten sogleich Gruppen wir die SPICE GIRLS. Aber natürlich gibt es ganz unterschiedliche Arten von Pop. NIRVANA waren eine Popgruppe. Ebenso die TALKING HEADS. Auch die BEATLES, THE WHO und LED ZEPPELIN. Und in Sachen Songwriting sehe ich mich weit eher in deren Tradition als in der solcher Bands wie den SPICE GIRLS.

Wo du schon SPICE GIRLS und Co. erwähnst: mein nächster Begriff lautet ‘Four Chords That Made A Million’ (die erste Singleauskopplung des “Lightbulb Sun”-Albums)…

Mhm. Nun, ich habe schon auf dem letzten Album ein paar Songs über meine eigene Situation als Musiker im Musik-Business geschrieben. Denn die musikalische Richtung, für die wir und ich persönlich uns entschieden haben, ist nicht die kommerziellste, um auch an Deine letzte Frage anzuschließen. Was wir machen, ich recht anspruchsvoll und erschwerte uns seit jeher den Erfolg. Es ist in keine sofort zugängliche Musik, man muß unsere Alben mehrmals hören, um sich alles zu erschließen, was sie musikalisch bereithalten. Was mich frustriert ist, daß wir all die Zeit und Arbeit in die Musik PORCUPINE TREEs investieren und daß eine andere Band ankommen kann, nur sehr wenig eigene Ideen und keinerlei eigene Identität mitbringt, statt dessen andere kopiert und damit auch noch Erfolg hat. Eine sehr einfache, schnörkellose Form von Musik und sie haben auf der Stelle ein Riesen-Publikum und erhalten eine Menge Unterstützung von Radio und anderen Medien. Das ist in den letzten Jahren des öfteren passiert und frustriert mich immer ein bißchen. Ich denke, viele haben erraten, welche Band mir da einfällt, andere nicht, doch ‘Four Chords…’ war einer ganz bestimmten Band gewidmet. Einer Band, die Millionen an Alben verkauft hat, indem sie nicht viel mehr leistete, als die BEATLES zu kopieren (Hmmm… an dieser Stelle erlaubt sich der Verfasser ganz unverfänglich die Gebrüder Gallagher zu grüßen – der Verf.). Das ist für mich eine sehr simple und naheliegende musikalische Ausdrucksform und all das ist für einen Musiker wie mich sehr frustrierend, denn ich denke, was wir tun, besitzt wesentlich mehr Substanz. Wir mußten immer sehr hart kämpfen, damit überhaupt jemand unsere Musik zu hören kriegt. Ich glaube aber, daß das, was wir tun, weit wichtiger ist. Und nicht nur das, ich denke weiterhin, daß unsere Musik vielen Leuten gefallen könnte, wenn sie nur die Chance dazu bekäme. ‘Four Chords…’ ist eine kleine zynische Abrechnung mit der Musik-Industrie und ihrer Eigenheit, immer wieder die Falschen an die Spitze zu hieven. Es kommt mir jedenfalls so vor, als wären es immer die Falschen. Die Industrie sucht immer nach dem kleinsten gemeinsamen musikalischen Faktor, um möglichst viele anzusprechen. Die einfachste Form der Musik, weil es wohl auch einfachste ist, was den Verkauf angeht.

Ist es nicht recht provokant ausgerechnet einen solchen Song als Single auszukoppeln?

Ja, irgendwie schon. Aber wir persönlich haben die Single nicht ausgewählt. Wir haben zwar ein Mitspracherecht, wenn es darum geht, was ausgekoppelt wird, aber letztlich denke ich in musikalischer Hinsicht sowieso nicht in Begriffen wie Singles oder Singletauglichkeit. Mir geht es einzig und allein darum, ein stimmiges Album zu machen. Die einzelnen Songs sind für mich wie Teile eines Puzzles. Wenn ein Album fertig ist, kommt gewöhnlich die Plattenfirma an und sagt: wir müssen sehen, was sich als Single eignet. All das interessiert mich nicht sehr. Ich verstehe, daß man es tun muß, bin aber emotional nicht sehr involviert. Doch ich denke, der Grund der Plattenfirma, diesen Song auszuwählen ist der, daß er recht rockig ist. Es ist nicht unbedingt der Song, der sich am offenkundigsten fürs Radio eignet, aber er ist provokativ, was mitunter gut sein kann, um die Aufmerksamkeit auf Album und Band zu lenken.

Außerdem hebt sich ‘Four Chords… sowohl musikalisch als auch textlich sehr von den anderen Songs auf “Lighbulb Sun” ab und ragt als einzelnes Stück, um Dein Bild aufzugreifen, etwas aus dem Puzzle heraus. Könnte das auch eine Motivation für die Auskopplung als Single gewesen sein? Weil sich der Song am ehesten aus dem Gesamtkontext des Albums herauslösen läßt?

Er unterscheidet sich ein wenig von den anderen, ja. Aber denke nicht unbedingt, daß er nicht in das Puzzle paßt. Denn für mich muß ein Puzzle auch unerwartete Momente haben. Wenn es zu glatt ist und zu harmonisch ausfällt, dann wird es für mich leicht langweilig oder vorhersehbar. Ich denke also, daß Four Chords… ein wichtiges Teil des Puzzles ist, denn der Song sorgt für einen Überraschungseffekt. Er gehört zu den Dingen, die Dich aufhorchen lassen, bei denen Du sagst: Das ist etwas Neues, das habe ich auf dem letzten Album noch nicht gehört. Für mich ist es sehr wichtig, einem Album diese Art von Konturen zu verleihen. Ich kann also letztlich nicht genau sagen, warum es als Single ausgewählt worden ist. Doch wahrscheinlich ist es so, daß die Plattenfirma längerfristig plant und vorhat, drei oder vier Singles auszukoppeln. Es ist, wenn Du möchtest, nur der erste Versuch, die Aufmerksamkeit auf “Lighbulb Sun” zu lenken. Die nächste Auskopplung wird wahrscheinlich eine sein, die man eher im Radio spielen wird.

Wenn wir schon bei Marketing-Strategien sind: wessen Idee war es, gleich drei unterschiedliche Versionen der Single auf den Markt zu bringen?

PORCUPINE TREEDas war einmal mehr die Plattenfirma. Ich kann allerdings ihre Beweggründe nachvollziehen. Wir haben immer versucht, eine Single sowohl in CD- als auch in Vinyl-Form zu veröffentlichen. Daran liegt mir persönlich sehr viel, denn ich hege er noch eine Vorliebe für Vinyl. Die zweite CD-Version, die diesmal herauskommt, diese limitierte Edition, ist indes wirklich ein reines Marketing-Werkzeug, das von der Plattenfirma vorgeschlagen wurde. Hier in England haben wir das Problem, daß die Medien in der Regel dazu neigen, uns zu ignorieren. Denn über die Art Musik, sie wir spielen, wollen sie schlicht und einfach nicht schreiben. Das ist recht frustrierend, muß man allerdings wohl einfach akzeptieren. Also bleibt einem nur der Versuch, auf einem anderen Wege so viele Leute wie möglich zu erreichen. Um auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe: wie kann PORCUPINE TREE Leute erreichen, die die Band vielleicht mögen würden, wenn sie sie nur mal zu Gehör kriegen könnten? Ein Weg, das zu tun und gleichzeitig den Rest der Musikbranche dazu zu bringen, der Gruppe ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ist es, sich möglichst hoch in den Charts zu plazieren. Unsere bisherigen Chartpositionen waren immer ganz OK, denn unsere Fanbasis ist recht loyal und wir kommen meist schon in die Single-Charts. Aber eben nicht hoch genug, damit der Rest der Musikindustrie davon ausreichend Notiz nimmt. Ich denke, diesmal hat die Plattenfirma sich Folgendes gedacht: wenn wir drei unterschiedliche Single-Formate herausbringen, dann verkaufen wir in der ersten Woche mehr Exemplare und steigen höher in die Charts ein, was hoffentlich ein paar Auswirkungen haben wird. Nun, ich persönlich bin recht skeptisch was all diese Dinge angeht, für mich ist diese ganze Marketing-Geschiche Bullshit. Aber letztlich bin ich ganz froh, wenn verschiedene Formate und somit so viel Tonträger wie möglich verkauft werden, solange es diese auch wirklich einen guten Gegenwert fürs Geld bieten. für die Fanbasis darstellt. Auf all diesen Formaten sind die zusätzliche Songs exklusives Material, jeder findet sich in der Form nur auf diesem einem Format.. Es gibt also auf jeder Single-Edition mindesten zwei exklusive Tracks, auf der limitierten CD ist einer dieser beiden sogar 16 Minuten lang. Wenn jemand als Fan das Gefühl hat, er müsse alle drei Formate kaufen, dann hoffe ich, daß er sich nicht hintergangen fühlt, denn er kriegt auch eine Menge. Fast ein komplettes zusätzliches Album voll unveröffentlichten Materials. Solange das der Fall ist, habe ich bei solchen Marketingstrategien kein schlechtes Gefühl. Und ich verstehe eben auch, warum die Plattenfirma so was macht.

Nun denn: weiter mit der Wortattacke. Der nächste Begriff lautet “Progressive”…

OK. Nun, ich glaube zu wissen, warum Du das fragst. “Progressive” ist ein Genre, in das wir gelegentlich von einigen Leuten hineingesteckt wurden und immer noch werden. Ich denke, das hat wiederum etwas mit Marketing zu tun. Die Musikpresse und die Medien allgemein haben das gewisse Bedürfnis, Bands zu kategorisieren. Auch hier verstehe ich die Beweggründe, denn es ist sehr schwer, für Leser über eine Band zu schreiben, die diese noch nie gehört haben. Wie beschreibt man also diese Band, wie weckt man das Interesse der Leute in einem Maße, daß diese ihr Geld dann auch in das Album der Band investieren? Der einfachste Weg, das zu tun, ist zu sagen: das ist eine xxx-Band. Wir wurden schon psychedelisch, progressiv, experimentell oder spacig genannt. All diese Kategorien treffen auch bis zu einem gewissen Grad zu. Aber keiner umschreibt uns wirklich umfassend. Ich denke auch, daß der Begriff progressiv etwas unangebracht ist, um das, was wir tun, zu umschreiben. Denn wir schreiben auch ein sehr geradlinige Popsongs, wir machen auch lange experimentelle Stücke, die sich, so meine ich, manchmal eher dem Industrial annähern als der progressiven Musik, oder auch Trance und elektronischer Musik. Mir persönlich würde es nichts ausmachen, wenn das Wort “Progressive” im Zusammenhang mit unserer Band verwendet würde, wenn ich das Gefühl hätte, dies geschähe in der eigentlichen, wörtlichen Bedeutung des Begriffes. Aber wir wissen ja, daß damit meist ein Musikstil gemeint ist, der vor 30 Jahren populär und erfolgreich war. Ich persönlich finde das etwas beleidigend, denn es besagt ja eigentlich nichts anderes, als daß unsere Musik auch vor drei Jahrzehnten entstanden sein könnte. Doch ich denke, dem ist nicht so. Der einzige Zeitpunkt, an dem diese Musik hätte entstehen können, ist jetzt, die Gegenwart. Ich persönlich lasse mich von einer Menge Musik und vielen verschiedenen Stilen inspirieren, die in den 90ern und im Jahr 2000 entstanden ist beziehungsweise sind. Es ärgert mich etwas, wenn wir mit Bands verglichen werden, die auch das Etikett “Progressive” tragen , das aber ganz offensichtlich nur aus Gründen der Nostalgie. Bands eben, deren Fans auch auf die nostalgische Seite des progressiven Rocks stehen und die sich mit Bands zufrieden geben, die nichts anderes machen als YES und EMERSON, LAKE & PALMER nachzuspielen. Darum geht es bei PORCUPINE TREE ganz eindeutig nicht. Wenn es um die wahre Bedeutung des Wortes ‘progressiv’ geht, also um Weiterentwicklung, um den Versuch, neue musikalische Ansätze zu finden, dann bin ich sehr glücklich, so genannt zu werden. Aber nicht im üblichen Sinne des Wortes, also als Umschreibung einer Band, die wie YES oder GENESIS klingt.

Ich persönlich bevorzuge ja den Ausdruck “Art Rock”, oder schlicht und einfach “Sophisticated Rock”, also gewissermaßen Rock mit Anspruch…

Ja, das bevorzuge ich auch wesentlich mehr. Oder auch “Adventurous (abenteurlich – der Verf.) Rock” oder “experimentellen Rock”. Aber ich versuche wirklich, das Wort ‘progressiv’ zu vermeiden.

Tja, aber wie Du sagtest: dieses Wort hat sich als umschreibender Begriff eines ganzen Genres so sehr durchgesetzt, daß es oft nicht leicht ist, sich ihm als Journalist zu verweigern…

Ich weiß, ich weiß. Und ich muß auch akzeptieren, daß viele, die diese Art von Musik hören, auch PORCUPINE TREE mögen. Ich möchte diese Leute auch nicht aus unserem Publikum ausgrenzen, aber der Gebrauch des Begriffes Progressive Rock führt wiederum auch dazu, solche Hörer auszugrenzen, die in der Regel weniger GENESIS oder YES mögen, gerade deshalb aber PORCUPINE TREE bevorzugen, weil wir weit mehr bieten als nur das.

Nächster Begriff: ‘Song With No Words’…

Oh, da mußt Du mir auf die Sprünge helfen. Das ist sicher ein Instrumental, oder?

Nein, interessanterweise nicht, aber ein Song ohne Text und nur mit Harmony Vocals. Er stammt von CROSBY & NASH…

AAAH! ‘Song With No Words’! Natürlich! Das ist ein Track von einem David Crosby-Album… wenn ich mir nur des Namens erinnern könnte… Hmm. Ja, alles klar, das ist von ‘If I Could Only Remember My Name’. Ein großartiger Song! Das interessiert mich jetzt: wie kommst Du auf dieses Stück?

Nun, es gibt da eine Gesangspassage auf ‘How Is Your Life Today’, die mich in punkto Stimmenarrangement sehr an dieses Stück erinnert…

Ah! Ja, CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG sind ein großer Einfluß für mich, besonders dieses bestimmte Album von David Crosby. Gut herausgehört! CSNY haben mich und meine Herangehensweise an Harmony Vocals sehr geprägt. Meist David Crosby, aber auch Brian Wilson von den BEACH BOYS, auch Todd Rundgren, diese Musiker waren ein sehr großer Einfluß für mich und sind es immer noch. Ja, ich kann wohl akzeptieren, daß das auf einem Song wie diesen hörbar ist.

Tja, der nächste Begriff erübrigt sich mit der Nennung Brian Wilsons fast schon, er wäre “Surf’s Up'” gewesen…

“Surf’s Up”! Ja. Phantastisches Album. Eins meiner liebsten.

Für mich ist Brian Wilson vielleicht DAS Genie der Popgeschichte schlechthin…

Ein Genie, absolut. Dem schließe ich mich an. Gemeinsam mit Frank Zappa ist er der einzige, der es verdient, Genie genannt zu werden, ja.

Wie wahr! OK, nächstes Schlagwort: nach dem Song ohne Wörter nun die “Texte”…

Texte sind für mich immer wichtiger geworden., Wenn man die Entwicklung der PORCUPINE TREE-Alben anschaut, sieht man das auch. Früher waren die Texte für mich zweitrangig und wurden oft nur als Mittel genutzt, Bilder zu schaffen, die recht abstrakt waren, aber keine allzu große persönliche Bedeutung für mich hatten. Im Laufe der Zeit wurde ich immer selbstbewußter und meine Texte wurden recht direkt. Auf “Lighbulb Sun”, so denke ich, sind die besten Texte, die ich bislang geschrieben habe. Zum Teil deshalb, weil sie eben recht direkt sind, und ich denke, daß Leute sich mit ihnen auf eine sehr emotionale Weise auseinander setzen und mit ihnen in Beziehung treten können. Meine Lieblingstexte anderer Schreiber waren auch immer schon solch eher direkte. Zum Beispiel eben die von Brian Wilson: sie sind sehr einfach, aber in ihnen schwingen viele starke Gefühle mit. Nimm nur ‘God Only Knows’ von “Pet Sounds”: ein ganz einfach textliches Konzept, aber für mich absolut umwerfend. Daher habe ich mich darauf konzentriert, meine Songs sehr direkt, emotional und pur zu halten. Ich denk auf diesem Alben gelang mir das als Texter und Musiker bislang am Besten, besonders jedoch als Texter

Interessant, daß Du anfangs erwähnt hast, “Lighbulb Sun” basiere auf einem Erlebnis aus Deiner Kindheit. Gerade in den Songs Brian Wilsons schwingen ja auch oft Erinnerungen an Kindheit und Jugend mit, eine gewisse Nostalgie und immer ein bißchen Wehmut…

Ja, ich hatte auch immer diese leicht nostalgischen Anwandlungen bei dem, was ich schreibe, was wohl daher rührt, daß ich das bei anderen gehört habe. Aber ich denke, nun, die Schönheit von ganz einfachen Texten ist, daß ihnen eine Art kindliche Naivität, eine Art Unschuld innewohnt. Sie versuchen nicht, um ihrer selbst Willen intelligent und vergeistigt zu wirken. Und um da wieder auf diese Sache mit dem Wort “progressive” zu sprechen zu kommen: eine Menge sogenannter Progressive-Bands werden auch darüber definiert, daß sie sehr intellektuelle Texte schreiben oder solche über Phantasie-Welten. Dinge also, die alle recht abstrakte Konzepte widerspiegeln. Ich hingegen habe immer versucht, meine Texte sehr persönlich, sehr direkt zu halten. Sehr reduziert und emotional also, der dem Ansatz eines Brian Wilsons oder vielleicht sogar eines Morriseys und ähnlichen Leuten näher steht. Musikern also, die mit diesem Genre überhaupt nicht in Verbindung gebracht werden.

Nun, bleiben wir aber mal bei diesem Genre: “The Wall”..

“The Wall”? Das PINK FLOYD-Album? Es wurde gerade wiederveröffentlicht, nicht wahr? In einer Live-Version…

Genau…

Ich habe sie noch nicht gehört. Aber als ich jung war, hörte ich sehr viel PINK FLOYD, doch nun schon seit vielen Jahren nicht mehr. Ist die Wiederveröffentlichung gut?

Tja, gegen die Musik an sich kann man natürlich nichts sagen, doch ob ein solches Unterfangen nun Sinn macht? Ich bin mir da nicht so sicher…

PORCUPINE TREERichtig. Nun, ich habe das Studioalbum als Teenager oft gehört und ich denke, Roger Waters war auch jemand, dem es – vielleicht nicht so sehr auf “The Wall”, aber auf Alben wie “Dark Side Of The Moon” – gelungen ist, Texte zu schreiben, die gleichzeitig anspruchsvoll, aber auch sehr direkt und sehr universell waren. Ich schätze, jeder kann irgendwie ein Beziehung zu Texten wie ‘Breathe’ oder ‘Time’ aufbauen, da ist etwas in den Worten, dessen Bedeutung man in sich spürt, während Jon Anderson von YES zur gleichen Zeit lächerliches, unverständliches Gebrabbel zusammengeschrieben hat. Waters Texte waren dagegen wundervoll direkt und einfach, hatten aber dennoch eine unglaubliche Tiefe und viel Anspruch. Auch ‘The Wall’ trug noch solche Elemente in sich.

Aufgrund des oft eher dunkleren Grundgefühls Deiner Texte wurdet ihr schon des öfteren mit PINK FLOYD verglichen…

Ja, wir wurden auch musikalisch mit ihnen verglichen. Wieder muß ich sagen: das ist schön, denn es ist eine sehr wichtige Gruppe, aber andererseits sind einige Leute etwas faul und begnügen sich damit zu sagen, wir wären eine PINK FLOYD-Kopie. Aber obgleich die Einflüsse fraglos da sind, sind wir doch weit mehr als das. Und bei einem Album wie “Lighbulb Sun” kann man ja, wie Du schon festgestellt hast, eine Menge unterschiedlicher Inspirationsquellen ausmachen. Doch hoffentlich gibt es auch genug Leute, die PORCUPINE TREE als eine eigenständige Band betrachten.

Nichtsdestotrotz noch ein Name, der inzwischen häufiger in einem Atemzug mit Euch genannt wird: RADIOHEAD…

RADIOHEAD hätten, denke ich, eine neue Ära einleiten können, eine Ära, in der die Musikkonsumenten eine etwas anspruchsvollere Form der Rockmusik akzeptiert und genossen hätten. Aber es hat scheinbar doch nicht so ganz funktioniert. Ihr letztes Album ‘OK Computer’ hat unglaublichen Kritiker-Zuspruch erhalten und sich millionenfach verkauft. Ich habe wirklich gehofft, daß das die Tür für eine ganze Reihe weiterer anspruchsvoller Rock-Acts öffnen würde, aber was tatsächlich passierte, war, daß eine Menge Bands ankamen uns sie kopierten, wie zum Beispiel MUSE. Aber darum kann es nicht gehen! Ich denke, daß Gute an RADIOHEAD war, daß sie ihren eigenen Stil entwickelt hatten, der viel Inspiration aus der klassischen Rockmusik der 70er bezog, die sie aber in einen sehr modernen musikalischen Kontext integriert haben. Ich war etwas enttäuscht, daß RADIOHEADS Erfolg nicht andere bewogen hat, ähnlich eigenständig zu Werke zu gehen. Ich hatte auch gehofft, daß in Folge dessen PORCUPINE TREE auf etwas mehr Interesse seitens der britischen Medien stoßen würden, aber es hat einfach nicht geklappt. Es ist, als wäre nichts gewesen. Ich mag RADIOHEAD, “OK Computer” ist großartig, aber ich finde, sie werden auch sehr überbewertet. Hier in England wurde es von manchen zu einem der besten Alben aller Zeiten hochstilisiert, was es nun einmal nicht ist. Schrecklich überbewertet also, finde ich, aber trotzdem eine sehr gute Band und eine, mit denen PORCUPINE TREE sicher eine Menge gemeinsam hat, was die Herangehensweise an die Musik an sich betrifft.

Tja, jetzt hast Du’s fast geschafft. Der letzte Begriff: “Hitchhiker’s Guide To The Galaxy'”(Per Anhalter durch die Galaxis)…

Von Douglas Adams, ja. Nun, ich bin neugierig, warum Du mich das fragst, aber ich mag diese Bücher sehr und auch die Radiosendung. Das Gute daran ist, das es zwar eine Science Fiction.-Serie, aber auch sehr menschlich und sehr humorvoll ist. Ich persönlich mochte die allzu ernste Seite von Science Fiction nie besonders, aber das hier ist eine Ausnahme, denn es ist sehr lustig, sehr bodenständig und sehr menschlich. Das Science Fiction-Element ist fast nebensächlich, es geht eigentlich gar nicht um dieses selbst. Wie kommst Du darauf?

Nur eine etwas merkwürdige Assoziation als ich das erste Mal den Song-Titel ‘Last Chance To Exit Planet Earth’ las…

Ah! Nun, eine interessante Verbindung. Es hat nichts damit zu tun, aber immerhin hast du noch einmal etwas erwischt, das mir gefällt.

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie dachte ich es mir. Wie dem auch sei, das war’s nun, Du bist erlöst. Ich danke Dir vielmals für dieses Interview!

War mir ein Vergnügen…

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