L.MINYGWAL: Ohne Druck zur puren Kreativität

Von Kreativität und Kompromisslosigkeit…

E«er von L.MINYGWAL kann man nur lieben oder hassen. Wer offen ist, auf emotionale und düstere Musik steht, ist bei den Hildesheimer Klangkünstlern genau richtig.
Trotz des langen Bestehens der Band und vieler Veröffentlichungen war mir die Band bislang kein Begriff, deshalb ergriff ich die Gelegenheit am Schopf und holte
mir Sängerin und Bassistin Andrea ans Telefon. Die Stunde verging mit der charmanten Soundtüftlerin wie im Flug und ließ die Musik von L.MINYGWAL in einem viel
positiveren und schönerem Licht erscheinen als vor dem Gespräch.

Hi Andrea, alles klar bei dir?

Ja, ich bin gerade wieder in England angekommen und ein wenig erschöpft. Ich schreibe hier meine Doktorarbeit in Linguistik über Hörspiele.

Das ist doch schon mal ein guter Einstieg, denn der erste Song auf E«er beginnt mit einem Dialog. Ist es ein Vorbote in deine dunkle Seite, denn das Gespräch
beginnt recht normal und wird immer beklemmender und aggressiver?

Zunächst: Es sprechen mindestens drei Personen. Zum anderen: Wir haben es nicht darauf angelegt mit dem Album unsere dunkle Seite zu zeigen, ich empfinde es
auch gar nicht als dunkel, sondern eher als befreiend. Es werden Ausschnitte, Phasen aus dem Leben gezeigt. Es geht auch gar nicht so sehr um den Text. Die
Stimme ist bei uns ein Mittel um Stimmung zu erzeugen.

Ich denke mal, gerade ihr mögt keine Schubladen, aber wenn ich euch einordnen müsste, dann als Zwischending von NEUROSIS, TODAY IS THE DAY und TOTENMOND.

Ich kann nachvollziehen, warum du das so siehst. Ich selbst sehe das nicht so, denn ich höre ganz andere Bands, ganz andere Musik. Ich kenne ein paar Sachen aus
der Richtung und mag es auch, aber hauptsächlich höre ich andere Sachen.

Welche anderen Sachen?

Alle in der Band haben einen sehr unterschiedlichen Musikgeschmack, aber wir haben auch Schnittmengen. Bei mir ist es auch ganz unterschiedlich, je nach
Stimmung. Manchmal höre ich mir den ganzen Tag Chansons an und erfreue mich an der Stimme von jemandem. (lacht)

Eure Songs verändern sich in deren Verlauf immer nur minimal, es gibt wenige Riffwechsel, etc. Aber gerade das erzeugt enorme Spannung, gerade bei Track 3.
Ist dieser Minimalismus ein absichtlich eingesetztes Mittel von euch?

Es gibt kein Konzept. Wir sprechen auch nicht darüber, es ergibt sich einfach. Wir spielen einfach los und dann entwickelt sich ein Lied. Wir haben keine
typischen Begriffe, an denen wir uns festklammern, das ist uns auch gar nicht wichtig. Wir machen einfach das, auf was wir Lust haben.

Ihr habt auch zwei Zwischenstücke, Izs und Seno-KeŽ, die beim ersten Mal Hören beispielsweise gar keinen Sinn ergeben, bei mehrmaligem Hören aber eine
unheimliche Tiefe offenbaren.

Diese Stücke passen einfach da rein, sie müssen einfach da hin. Es gefällt uns einfach, wir wissen auch nicht warum.

Ihr schreibt eure Songs sehr intuitiv.

Genau. Wir spielen einfach drauf los, ohne uns einen Kopf zu machen, in welche Richtung wir wollen. Improvisation ist uns sehr wichtig. Wenn wir uns Zwänge
auferlegen, dann haben wir auch keinen richtigen Spaß am spielen mehr. Wir wollen uns immer selbst überraschen, wollen jedes mal aufs Neue was erleben.

Ich finde das Album fast schon ein wenig zu kurz, 20 Minuten mehr hätten nicht geschadet.

Wie gesagt, Lieder ergeben sich und irgendwann steht die Reihenfolge und Länge fest. Wir waren dann irgendwann zufrieden und dann musste auch Schluss sein.

Der abschließende Song Wakarimasen ist das perfekte Stück zum Abschluss. Nach der ganzen Düsternis während der Songs ist er ein Lichtblick. Es gibt dem Hörer
ein positives Gefühl am Schluss, genau richtig um den Hörer wieder in die reale Welt zu entlassen.

Wir alle empfinden die Songs eher als schön denn als dunkel. Es ist wirklich ein schönes Lied zum Abschluss. Ich finde auch, dass es genau dort hin muss. Es
trifft die Stimmung am Schluss perfekt.

Wie lange habt ihr an den Songs geschrieben?

Das kann ich nicht genau sagen. Da wir alle sehr verstreut wohnen, treffen wir uns nur alle paar Wochen für ein paar Tage und die spielen wir dann durch. Das
ist dann immer sehr intensiv, wenn wir drei wieder zusammen sind.

Ich denke mal, dass der Großteil der Ideen von dir stammt, denn der Bass steht sehr im Mittelpunkt.

Das kann man nicht so sagen, wir arbeiten ja als Trio an den Songs. Da kann man nicht sagen, wer als erster eine Idee hatte. Da ich singe und auch Bass spiele,
fällt es mehr auf. Aber Jens spielt mehrere Gitarren und Thomas steuert Celli und Samples bei. Wir sind sehr gleichberechtigt. Ideen entwickeln sich aus
uns heraus, jeder ist für sein Instrument selbst verantwortlich, das heißt niemand muss sich vorschreiben lassen, was er zu spielen hat.

Die Lyrics sind im Booklet nicht abgedruckt.

Das soll so sein.

Sind die Titel, die mir sehr abgefahren erscheinen, nur Ästhetisierungen, oder steckt ein tiefer Sinn dahinter?

Für uns ist wichtig, dass nicht Texte und Bedeutungen, sondern die Musik im Vordergrund steht. Es geht eher um die Stimme und was sie ausdrückt. Wir wollen
keine Bedeutungen vermitteln, sondern Emotionen, die durch die Stimme übermittelt werden. Texte zu lesen und zu verstehen macht bei uns keinen Sinn.


Hast du überhaupt Texte geschrieben, oder sind das alles nur improvisierte Wörter?

Manchmal fällt mir ganz spontan noch was dazu ein, aber eigentlich habe ich feste Texte, die im direkten Bezug zur Musik zu sehen sind, also auf Rhythmik und
das Gefühl, das beim Hören hochkommt.

Was kannst du dann über deine Texte erzählen?

Die Texte handeln davon, was man der Stimme entnehmen kann.

Wenn du bei Wakarimasen mit deiner klaren Stimme singst, ist es also auch ein schöner Text.

Im Grunde genommen ja. Das ist zwar nicht immer so, bei Wakarimasen trifft es zu. Es geht aber um Eindrücke und Stimmungen, genau wie bei der Musik. Der
Inhalt ist nicht so wichtig.

Die Titel sind allesamt recht kurz, aber I Excessiv-ly Read My Letters Frantic-ly and Memorize «em Manic-ly ist sehr lang. Handelt es sich um den Kernsong
des Albums?

Wenn du das so empfindest, kann es so sein, ich sehe es nicht so. Aber vom musikalischen Ablauf her stehen die Stücke aus den verschiedensten Gründen so wie es
sein muss. Vielleicht meinst du ja das Gleiche wie wir damit.

Diesen Song finde ich zumindest am intensivsten, weil er eine unglaubliche Spannung offenbart. Aber kommen wir mal zum Artwork, das du selbst gemalt hast.
Ich finde die Wohnung darin sehr interessant, bei der eine Karikatur von euch selbst als Bild an der Wand hängt.

Ich finde, es passt sehr gut zur Musik, gibt mit seinen Farben die Stimmung sehr gut wieder. Der Gang, der noch abgebildet ist, lässt auch viele Fragen
offen. Wo führt er hin? Ich weiß es nicht. Es ist genau, wie bei der Musik. Jedem fällt was anderes dazu ein. Einer von uns hat sogar ein Wartezimmer gesehen.

Zurück zur ungewöhnlichen Instrumentierung. Die verzerrten Celli kommen sehr gut zur Geltung, aber von der Harfe und der Flöte, von denen es heißt, dass du
sie spielst, habe ich nichts gehört…

Die Harfe ist bei Wakarimasen eigentlich von Anfang an dabei und eigentlich hört man sie auch ziemlich gut. Flöte habe ich auf E«er jedoch nicht gespielt.
Diese Instrumente haben wir wiederum rein intuitiv eingesetzt. Wir sind uns auch meistens einig, wie es klingen muss.

Das hört sich an als würdet ihr schon ziemlich lange zusammen Musik machen.

Ja, in dieser Besetzung spielen wir seit zehn Jahren zusammen. Thomas und ich sind Geschwister und haben schon in unserer Kindheit zusammen gespielt. Irgendwann
haben wir mal nach einem Gitarristen gesucht und mussten ewig suchen, bis wir eines Tages Jens getroffen haben. Es hat sofort gepasst, seither spielen wir
zusammen. Wir sind wirklich gut eingespielt.

Die wenigsten wissen was über euch, obwohl ihr eine ganze Latte an Veröffentlichungen habt. Hatte die Musik überhaupt Priorität für euch?

Auf jeden Fall, Musik war für uns immer das Wichtigste. Wir haben immer Sachen gemacht, so kompromisslos wie wir es einfach wollten. Ein paar Vertragsangebote
haben wir auch schon immer erhalten, aber das war die totale Abzieherei. Die Musik ist für uns das Wichtigste und wenn uns jemand vorschreiben will, wie wir sie
spielen sollen, können wir es eh vergessen. Unsere Musik ist unsere Musik, wir ziehen einfach unser Ding durch. Es gab immer viele Leute, denen es sehr gut
gefallen hat, aber das war keine breite Masse. Es ist halt einfach keine Party-Musik.

Stimmt, eure Musik ist sehr polarisierend. Entweder findet man eure Musik klasse, oder man kann gar nichts damit anfangen. Ich habe übrigens irgendwo gelesen,
dass ihr Vorband von NECROPHOBIC in Hamburg wart. Die Reaktionen sollen ja nicht gerade berauschend gewesen sein…

Es lag daran, dass die Leute einfach geschockt waren. Sie hatten nicht mit Musik wie unserer gerechnet. Das empfinde ich nicht als negativ, wir spielen hat
komplett andere Musik wie NECROPHOBIC. Ich meine, wir kannten die vorher gar nicht. Von daher wundert es mich nicht wirklich, wenn die Stimmung sehr betreten
war. Das empfinde ich aber auch nicht als schlimm.

Wie waren die Reaktionen auf E«er?

Ich habe davon wohl am allerwenigsten mitbekommen, aber ich weiß, dass viele mit unserer Musik nichts anfangen können und sagen auch warum. Das kann ich
akzeptieren. Ich kann es nur überhaupt nicht haben, wenn manche unbedingt einen Spruch dazuschreiben müssen, wie …deswegen ist es scheiße…. Die haben
das schon so groß und breit ausgeweitet, dass man sich sowas am Schluss echt verkneifen kann. Aber viele finden es auch klasse. Es ist einfach so wie immer.

Ihr habt euch ja von LOST IN THE SUPERMARKET in L.MINYGWAL umbenannt. Wie kam das?

LOST IN THE SUPERMARKET hat nicht so richtig zur Musik gepasst. Wir wollten einen Namen, bei dem der Klang im Vordergrund steht, der nichts bedeutet. L.MINYGWAL
kommt auch aus keiner Sprache, wir haben mit Lauten und Klängen gespielt und das hat uns gut gefallen.

LOST IN THE SUPERMARKET klingt ja auch eher nach einer Pop-Punk-Band.

In diese Fun-Punk-Ecke wurden wir auch oft gesteckt. Ich habe da aber kein Problem damit, sehr viele Punks besuchen unsere Konzerte, aber es hat einfach nicht
zur Musik gepasst.

Habt ihr euren Stil im Laufe der Jahre geändert?

So gesehen hat er sich nicht geändert, aber nachdem wir schon sehr lange zusammen spielen hat sich unser Stil natürlich weiterentwickelt. Wir standen nie unter
Druck, etwas zu machen und konnten unsere Musik einfach wachsen lassen.

Wie seid ihr an den Deal mit Virusworx gelangt?

Wolf hat schon viele Sachen von uns gehört und uns einfach mal angesprochen, ob wir nicht Interesse an einem Vertrag hätten. Wir haben uns sehr darüber gefreut
und hatten auch großes Interesse, da er einfach fair ist. Wir hatten auch schon Angebote von anderen Firmen, aber die hatten alle unrealistische Vorstellungen.
Wolf lässt uns unser Ding machen, beschränkt uns nicht, will uns nicht in eine Schublade drücken, sondern lässt L.MINYGWAL einfach L.MINYGWAL sein.

Die anderen Bands auf Virusworx unterscheiden sich aber ziemlich arg von euch. Kennst du die Bands?

Ich habe mich noch nicht so sehr damit beschäftigt, aber so nach und nach höre ich auch ein paar Sachen dieser Bands. Ich finde es gut, dass unterschiedliche
Musik darauf vertreten ist, es muss ja nicht alles gleich sein.

Ihr habt auch das Theaterstück Caligula vertont. Erzähl mal.

Der Regisseur des Stücks kannte ein paar Freunde von mir und holte uns nach Dortmund, in ein kleines Theater. Er hat noch jemanden gesucht, der dazu Musik
macht. Ich weiß jetzt gar nicht, ob es davon eine Aufzeichnung gab, aber wir haben nichts davon aufgezeichnet. Ich könnte mal nachhaken, ob sich da noch was
finden lässt.

Schade, dass ihr da nichts davon habt.

Ja (lacht). Die Musik haben wir noch irgendwo, aber das Stück als Ganzes haben wir nicht. Ich muss echt mal forschen…

Ihr seid wohl auch sehr an Kunst im Allgemeinen interessiert.

Schon, aber nicht so sehr an dieser hochgeistigen Kunst. Wir wollen ja nicht hochtrabend wirken, aber neben der Musik gibt es noch viel andere Kunst, wie so
abgefahrene Performance-Sachen, die uns interessieren. Es ist immer ganz nett, wenn man andere Sachen kennt.

Hatten eigentlich Drogen Einfluss auf eure Musik?

Nein. Also, nicht dass ich jetzt Leute, die mal was rauchen, verdamme, aber higher als von der Musik kann man gar nicht werden. Der Kick ist viel besser.
Vielleicht können andere Menschen das steigern, aber wir brauchen das nicht.

Mir kam das nur alles ein wenig alternativ vor…

Alternativ?

Ich meine jetzt nicht damit, Batikklamotten anzuziehen und Hibiskustee zu trinken, sondern verbinde das eher mit eurer unkonventionellen Art.

Ach so, ich dachte schon. (lacht) Wie gesagt, wir machen einfach unser Ding. Wir haben halt keine feste Richtung, die wir verfolgen, das wäre auch langweilig.

Wie sieht es mit Live-Gigs aus? Ich denke mal, dass sie recht spärlich gesät sind, ihr wohnt ja alle recht weit auseinander, außerdem stelle ich mir vor,
dass es recht schwer ist, ein Album wie E«er auf die Bühne zu bringen.

Weder noch. Wir haben vor kurzem erst zu Hause in Hildesheim gespielt. Wir spielen sehr gerne live, aber manche haben ein wenig Berührungsängste mit uns, haben
Angst, dass sie Verlust machen könnten. Es ist halt einfach keine Partymusik, aber es gibt ja auch Läden in denen wir willkommen sind. Ich habe noch keine
festen Termine, aber im April, Mai werden wir eine kleine Tour machen. Wir spielen auch überall sehr gerne, egal ob als Vorband oder als Headliner, Hauptsache
wir können spielen.

Wie sieht die Zukunft von L.MINYGWAL aus?

Wir wollen noch viel mehr Musik machen und immer Freude daran haben. Festes ist noch nicht geplant, wir lassen es einfach auf uns zukommen.

Ich finde es übrigens sehr bewundernswert, dass es noch solch idealistische Bands wie euch gibt, die so unverkrampft rangehen.

Bei manchen Bands klappt das vielleicht besser, aber wir kommen auch so ganz gut zurecht. Wir werden uns auch die Spontanität nicht nehmen lassen.

Was für ein tolles Schlusswort!

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