CHROMA KEY: Astronauten in Wassergläsern

Kevin Moore, Kopf hinter CHROMA KEY, meldet sich aus dem (doch nicht so) sonnigen Costa Rica. Sample Ab!

Hallo Kevin!

Wo bist Du momentan?

Ich bin in Costa Rica; Ich bin gleich nach dem Ende der Aufnahmen hierher gekommen – das war vor zehn Wochen. Gleich nachdem ich fertig war packte ich meine Siebensachen und flog hier runter; mein Bruder lebt hier und ich werde hier wohl für ein Weilchen bleiben.

Klingt nach gutem Wetter…

Ich bin in einem ruhigen Teil des Landes namens Monte Verdi. Es regnet die meiste Zeit.

Ich bin heute aus Berlin heimgekommen und das Wetter war grauenhaft – ich hatte gehofft, dass wenigstens einer von uns beiden schönes Wetter haben würde.

Yeah, im grössten Teil des Landes ist es schön warm und sonnig, aber hier oben in den Bergen ist es ziemlich feucht.

Naja, dann lass uns zu deiner neuen Platte übergehen. Sie heisst „You go now“ (review hier); Was für eine Idee liegt dem Titel zugrunde? Mir ist nur aufgefallen, dass das Bild auf eine besondere Weise sehr gut zum Titel passt.

Das sind eigentlich zwei verschiedene Geschichten.

Einerseits ist da das Thema Astronauten und Weltraumfahrt, welches ich entwickelte, während ich in den Aufnahmen steckte. Ich hatte das nicht geplant; ich hatte diese alte NASA-Schallplatte, die ich in einem Second-Hand-Plattenladen gefunden hatte. Da sind Gespräche zwischen den Astronauten und Mission Control in Huston drauf, das meiste davon noch aus der Apollo-Ära. Diese Aufnahmen waren irgendwie seltsam, nichts, was wirklich aufregend war. Viele Gespräche über das Einschlafen, darüber, den Fernseher auszuschalten, dinge, die gut zur Stimmung meiner Songs passten, wie ich fand. Die Lyrics beinhalten viele Texte über verlorene Freundschaft und Isolation. Diese NASA-Aufnahmen klangen alle nach Alleinsein, was gut passte.

Das Bild, das auf dem Cover ist, hing im Studio, und nach und nach begann ich zu fühlen, dass es auf das Cover musste. Es ist das perfekte Bild. Man sieht einen Astronauten, dem das Mikrofon im Helm adjustiert wird, aber man sieht das nicht wirklich; es sieht aus, als habe da jemand die Finger in seinem Mund, und der Astronaut hat einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht. Es passte.

Andererseits war da der „You go now“, ein Spruch, den wir die ganze Zeit machten, um jemandem zu sagen, er habe das-und-das zu tun oder er solle das Studio verlassen; Ich bin mir nicht sicher, wann das begonnen hat…

Der Titel hat auf mich gewirkt, als ob er für das Bild erschaffen sei, deshalb hab ich gefragt…

Nun, ich möchte, dass Du zu jedem Song auf dem Album etwas sagst…

Oh, zu jedem Song? Ok, zuvor muss ich aber noch meine Teetasse füllen, Moment… ok, ich bin nun bereit.

„Get back in the car“

Ein gutes Beispiel für die Art, wie ich gewisse Lyrics für dieses Album geschrieben habe. Ich hatte erst die Musik, nahm dann ein Mikrofon und sang, was mir gerade in den Sinn kam. Dann habe ich versucht herauszufinden, was ich da sang; ich analysierte das gesungene sozusagen. Es ist eine Art von „Going out of Relationship“-Song. Die Lyrics zu diesem Song sind sehr seltsam.

„Another permanent address“

Ein komischer Song – er ist der schnellste und fröhlichste auf der Scheibe, hat aber den deprimiertesten Text.

Ich mochte den Kontrast. „Another permanent address“ hat akustische Gitarren, major Chords, und der Text beginnt mit „I’d like to sleep in the street“, naja, Kontrast halt.

„Nice to know“

Der Song mit den am besten ausgearbeiteten Vocal-Parts. Da sind ungefähr 1000 Stimmen drauf, das war ziemlich schwierig…

Magst Du es, Vocals aufzunehmen, oder ist es einfach eine Unumgänglichkeit?

Für mich ist es schwer, meine Stimme auf Band zu bringen. Ich nehme mir viel Zeit und probiere herum, bis es für mich stimmt; da steckt eine Menge Arbeit drin.

„Lunar“

Das ist ruhige, warme Musik mit Astronauten, die über banale Dinge reden, z.B. übers Schlafengehen; „Lunar“ ist ein sehr ruhiger Song. Ich liebe den Vibe dieses Stückes.

„When you drive“

“When you drive” ist ein weiteres Instrumental, das von Samples unterstützt wird. Ich begann damit, als ich einen buddhistischen Mönch im Radio gehört hatte. Dieser Mönch sprach davon, wie man meditieren sollte, und darüber, wie man meditiert, wenn man an einer roten Ampel steht. Das wäre die „Strophe“ des Songs. Als „Refrain“ nahm ich eine Frau, die sang, wenn der Mönch gerade pausierte. Ich weiss nicht, was sie sagt, aber ich dachte, dass ich das benutzen könnte – ich änderte den Rhythmus und die Tonhöhe etwas, damit ich das Sample im Song benutzen konnte.

„Subway“

Das ist ein Song über einen Typen, der in der U-Bahn aufwacht und merkt, dass er seinen Halt verpasst hat. Da er aber seinen Platz mag, legt er sich wieder schlafen.

Ich weiss nicht, ob Du oft Rückmeldungen von Fans bekommst, aber der Song erinnert mich 100%ig an eine Nacht, die ich in Budapest erlebt habe… es war eine sehr ähnliche Erfahrung, die ich in der Nach vom 31. Dezember zum 1. Januar 2000 gemacht habe…

Aber Du hast deine Haltestelle nicht verpasst, Du bist nur eingeschlafen…?

Nein, nichts von beidem. Ich wäre nur gerne in der U-Bahn geblieben, ich war nicht wirklich alleine, aber etwas betrunken; es war sechs Uhr morgens; ich mochte dieses Gefühl, deshalb liebe ich diesen Song…

Aber zum nächsten, „Please hang up“

Ich hatte diese Idee schon sehr lange, die Stimme eines Operators zu „stehlen“ und sie zu verwenden. Diese Aufnahmen lassen mich Albträume haben, die sind sowas von seltsam.

Und so habe ich etwas noch komischeres daraus gemacht.

911 ist die Nummer, die man in den USA in Notfällen wählt. Ich nahm also die Aufnahme, die jeder hört, wenn sich die Nummer, die man anzurufen versucht, geändert hat.

Es macht nicht wirklich Sinn, ich meine, warum sollte jemand die Nummer von 911 auf 3 ändern. Aber es ist… irgendwie angsteinflössend.

Ist es schwierig für dich, diese Samples zu erstellen? Oder macht es Dir besonderen Spass?

Es wäre schwieriger gewesen, wenn ich es so gemacht hätte, wie ich es noch vor drei Jahren gemacht habe, ich hätte dann den Sampler benützt, ich hätte jedes Wort eines Samples auf eine Taste des Keyboards legen und dann das ganze Sample von Hand einspielen müssen.

Dieses Mal habe ich aber die ganze Platte mit Hilfe des Computers aufgenommen, auf Hard Disk. Ich kann ganze Samples aufnehmen, auseinanderschneiden und neu zusammensetzen. Es ist ziemlich einfach.

Was hast Du denn für Equipment verwendet?

Auf dem Computer lief Steinberg Cubase. Mein Hauptinstrument war ein Yamaha DP-70 aus den frühen achzigern. Es funktioniert wie ein richtiges Klavier mit Hämmerchen und Saiten, nur dass es an jeder Saite einen Tonabnehmer hat. Es ist klanglich sehr nahe an einem richtigen Piano dran, ein bisschen dunkler vielleicht.

Für „Please hang up“ habe ich vor allem analoge Synthesizer verwendet, einer von ihnen war ein North Lead.

Die letzten zwei Songs noch, „Astronaut down“ und „You go now“.

Ich habe die Chorusline von einer Freundin von mir geklaut. Ich weiss nicht mehr genau in welcher Situation sie war, auf jeden Fall hat sie gesagt, sie fühle sich wie ein Astronaut in einem Unterseeboot. Ich fand, dass das sehr gut zu dem Song passte…

„You go now“ ist der typische „letzte Song der Platte“, er trägt dich sozusagen aus dem Album heraus. Da ist ein Sample einer Ansprache eines Airline-Captains drin, und lustigerweise redet auch der über´s Schlafengehen.

Das ist etwas, was ich an Deiner Musik immer sehr mochte: Du verwendest Samples von richtigen Personen (wie die Interviews auf „Dead Air for Radios“) – das verknüpft die Musik mit der Realität.

Ja, ich denke auch, dass diese Sprach-Samples einen wichtigen Teil von CHROMA KEY darstellen; die Musik gibt dem Sprecher einen Raum, der da sonst nicht wäre. Die Musik lässt das gesagte ganz anders wirken, als wenn Du nur das Interview hören würdest, Du achtest Dich viel mehr auf das Gesagte und auf den Ton des Gesagten. Auf „You go now“ sind mehr Samples als auf der letzten Platte. Ich denke, dass das die allgemeine Marschrichtung sein wird: Weniger Vocals – mehr Samples.

Es scheint, dass Du damit angefangen hast, Samples zu benutzen, als Du mit DREAM THEATER „Space-Dye Vest“ aufgenommen hast. Du hast da so viele verschiedene Samples von verschiedenen Quellen verwendet – was wolltest Du damit ausdrücken?

Hmmm, was wollte ich ausdrücken?

Ich glaube, ich hatte einfach Freude daran, damit herumzuexperimentieren. Ich habe da ein langes Sample aus einem Film verwendet, was ich übrigens nicht mehr mache, da ich denke, dass es interessanter ist, reale Personen sprechen zu lassen. Ich habe versucht, die Samples das sagen zu lassen, was ich in den Lyrics nicht sagen konnte oder nicht wusste wie.

Ich hab mal das Internet gefragt, und herausgefunden, wo all die Samples herkommen… Ich war ziemlich überrascht…

Yeah, da sind einige, die ich von Filmen genommen habe, eines von der O.J.-Jagd, ein paar aus dem Fernsehen, eines von der Conan O’Brien Show. Ich habe sie dann zusammengewürfelt.

War das der Beginn des CHROMA KEY-Stils?

Mit diesem Song habe ich die Fangemeinde vielleicht etwas auf das CHROMA KEY-Album vorbereitet. Ich denke, „Space-Dye Vest“ hätte auch auf die erste CHROMA KEY-Platte gepasst. Aber ich hatte schon viel im dem Stil geschrieben, lange bevor wir „Space-Dye Vest“ überhaupt aufgenommen hatten.

Würdest Du Dich mit mir einverstanden erklären, wenn ich sagen würde, dass CHROMA KEY im Jahr 2000 irgendwie nach Trip Hop klingen?


Hmmm… Teilweise. Ich denke, dass ein Element des Gesamtsounds Trip Hop ist, aber Du kannst es nicht wirklich in diese Schublade legen. Wenn Du einem Trip Hop-Fan sagen würdest, er solle sich das mal anhören würde dieser sagen, dass das doch kein Trip Hop ist. Es ist elektronisch, es ist ambient, aber es ist nicht bloss „ambient music“.

Was heisst „Chroma Key“ eigentlich?

Das ist ein technischer Begriff aus der Film-Industrie. Es bedeutet, eine Farbe mit einem anderen Bild zu ersetzen, wie Blue-Boxing. Das ist wie Star Wars gemacht wurde. Zuerst wurden die Raumschiffe vor einem blauen Hintergrund gefilmt und dann das Blau durch Sterne ersetzt.

Danke für diesen kurzen Exkurs. Zu etwas anderem: Wie „entwickelst“ Du Deine Songs?

Meist gehe ich durch eine längere Periode ohne auch nur ein Instrument anzurühren. Dann kommt die Zeit, wo ich etwas tun muss. Ich beginne, aufzunehmen. Wenn ich einmal angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören, ich arbeite dann durch. Für mich ist schreiben und aufnehmen der gleiche Prozess. Bei mir ist nicht so wie wir es z.B. mit DREAM THEATER gemacht haben, also zuerst schreiben, dann üben und dann aufnehmen. Bei CHROMA KEY geschieht dies alles in einem Prozess.

Diesmal hatte ich ein paar Ideen auf dem Klavier ausgearbeitet, wirklich nur Ideen, und wir gingen ins Studio und diese Ideen wurden kleine Teile der Songs – so geht das bei mir.

Steve Tushar, mein co-producer hatte viel mehr Einfluss auf die Song dieses Albums als das beim letzten der Fall gewesen ist. Er hat die ersten fünf Songs mit mir zusammen geschrieben, und wir gaben einander Ideen für die anderen Songs…

Gibt es keinen richtigen Schlagzeuger auf der Platte?

Kein Schlagzeuger. Aber natürlich gibt es Loops…

Aber warum hast Du nicht wieder einen Drummer engagiert, wie auf „Dead Air for Radios“?

Steve hat die Position des Schlagzeugers übernommen. Vielleicht war das auch nötig. Es ist so einfach, auf diese Art und Weise zu schreiben – er kommt mit einem Drum Loop oder ich mit einem Klavier-Teil – ich glaube nicht, dass wir einen Drummer brauchen.

Du hast vorhin gesagt, CHROMA KEY sei ausschliesslich elektronische Musik ohne Reproduktion. Heisst das, dass Du niemals live spielen wirst?

Ich glaube nicht, wir haben keinerlei Pläne, was Touren angeht. Für mich ist es mehr ein Studio-Projekt. Ich mag es, Songs zu schreiben, ich mag Aufnahmesessions, aber Touren? Nein, muss nicht sein. Wir werden sehen wie es in Zukunft geht, bisher konnte ich mich vor dem Touren drücken.

Es wäre viel Arbeit für Dich, so eine Tour vorzubereiten, kann ich mir denken…

Oh ja, es wäre etwa soviel Arbeit wie eine neue Platte aufzunehmen. Du müsstest erstens die Songs, die überhaupt in Frage kommen würden, zusammensuchen, diese dann auf die Livesituation hin verändern, so dass die Leute nicht das Gefühl haben, eine CD zu hören. Dafür müssten aber auch alle Intrumente von richtigen Musikern gespielt werden. Wenn meine Plattenfirma meint, ich müsse nun touren, dann werde ich wohl touren. Ich denke aber, dass das nächste Projekt noch eine CHROMA KEY-CD sein wird.

Das ist auch nicht schlecht…

Bist Du nun eigentlich in Costa Rica wohnhaft?


Momentan schon. Ich bin aus Los Angeles hierher gekommen und ich denke nicht, dass ich dahin zurückgehe. Eigentlich möchte ich noch ein wenig ausserhalb der USA bleiben, just for a change. Keine Ahnung, wo ich später hingehen werde….

Gibt es noch etwas, was Du der Internet-Gemeinde zum Schluss dieses Interviews noch mitteilen möchtest?

„Ahm, yes. Thanks to everybody who checked out the album and thanks to everyone who listens to CHROMA KEY, I appreciate every single person that I could find, that I could dig up. And – follow this link to chromakey.com (lacht).”

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