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THE CALLOUS DAOBOYS: Celebrity Therapist

Mit ihrem zweiten Album „Celebrity Therapist“ bringen THE CALLOUS DAOBOYS frischen Wind ins Mathcore-Business, auch ohne wirklich Impulse setzen zu können. Anstrengend wie das Aufräumen des Saustalls von Kleinkindern.

Als mein Testosteronspiegel noch etwas höher war und ich nur Flausen im Kopf hatte, war Mathcore natürlich der heiße Shit schlechthin. Das Genre war jung, kreativ und die Akteure blitzgescheite, uncoole Nerds, die dadurch zumindest für ihr Publikum cool wurden. Gute, alte Zeit. Hey, BOTCH gibt’s übrigens auch wieder. Nachdem sich THE DILLINGER ESCAPE PLAN mit „Dissolution“ schon vor sechs Jahren versöhnlich verabschiedeten, nachdem die junge Garde, zu deren Speerspitze ROLO TOMASSI zählen, mittlerweile auch schon gesetzter sind, steht die übernächste Generation in den Startlöchern.

Eine reinrassige ADHS-Platte: Auf „Celebrity Therapist“ zeigen sich THE CALLOUS DAOBOYS unwahrscheinlich kreativ und anarchistisch.

Im Gegensatz zu den monströsen FAWN LIMBS, die auf die Zersetzung und Erneuerung des Genres pochen, präsentieren THE CALLOUS DAOBOYS aus Atlanta, Georgia ihr zweites Album „Celebrity Therapist“ als reinrassige ADHS-Platte. Eine Platte, die klingt, wie das heimische Wohnzimmer aussieht, wenn meine dreijährige Tochter mit dem Spielen fertig ist. Kunterbunt, chaotisch, mit kaum erkennbarer Struktur, aber einer unwahrscheinlichen Detailverliebtheit, mit Genialität, Humor und purer Anarchie. Bühne frei für THE CALLOUS DAOBOYS, die auf ihr Alter bezogen relativ alte Vorbilder nennen: Mathcore von THE DILLINGER ESCAPE PLAN, Metalcore von POISON THE WELL und der Rockavantgarde von MR BUNGLE.

Irgendwie kommt das schon hin, die Klasse der Originale zu erreichen ist natürlich unrealistisch, da THE CALLOUS DAOBOYS das Pech der späten Geburt haben. Unterschätzt werden sollte diese Band indes nicht. Denn neben spastischer Heaviness schleicht sich bei der Band auch immer wieder eine komplexe Melodieverliebtheit ein. Doch das Hören wird anstrengender als bei anderen Bands, die Komplexität und Catchyness verbinden, denn THE CALLOUS DAOBOYS sind echt unberechenbar und ändern ihren Ausdruck oft von einer Sekunde auf die andere. Schon der Opener „Violent Astrology (fka Solar Plexus Clown Glider)“ balanciert auf der Schneide zwischen Heaviness, Chaos, Weirdness und Eingängigkeit.

Keine Spur von konventionellem Songwriting auf „Celebrity Therapist“: THE CALLOUS DAOBOYS erzählen eher bizarre Geschichten statt fade Wiederholungen.

„Celebrity Therapist“ bietet mit jedem Durchgang etwas Neues, ist nervig, anstrengend, macht aber auch ziemlich Spaß. Und oft werden da eher bizarre Geschichten erzählt, als tatsächlich Songs geschrieben. „The Elephant Man In The Room“ ist hier ein ausgezeichnetes Beispiel, das schizophren zwischen schwindelerregendem Chaos und abrupten Stopps mit seltsamen Einfällen ringt. Auch das mit sechseinhalb Minuten längste Stück des Albums „Title Track“ nimmt sehr früh eine waghalsige Wendung in Richtung Avant-Rock, baut Spannung auf und hat schon fast das Zeug zum Indie-Hit – bis zur nächsten Eruption.

In „Field Sobriety Practice“ gehen THE CALLOUS DAOBOYS etwas vom Gas und haben einen etwas zähen Mittelteil des Albums, der aufgelockert wird durch einen schönen Chor. Diese choralen Elemente sind immer wieder auf „Celebrity Therapist“ zu hören, aber so in die Stücke eingearbeitet, dass sie nicht so recht als solche auffallen. Das Sextett erweist sich gerade in diesem Bereich als Bande von Trickstern, die eine diebische Freude daran haben, ihr Publikum aufs Glatteis zu führen. So frech wie sie das machen, lässt man sich aber auch gerne in die Irre führen. Apropos: Das ebenfalls relativ zugängliche „Star Baby“ endet mit einem unfassbar eingängigen Indierock-Finale, und ich komme einfach nicht drauf, von wem sie das geklaut haben.

THE CALLOUS DAOBOYS überzeugen mit starker instrumentaler Arbeit und einem variablen Frontmann – „Celebrity Therapist“ bringt wieder Leben ins Genre Mathcore.

Die instrumentale Darbietung ist selbstredend ausgezeichnet. Die Akteure schaffen es, ihre Songs unter Kontrolle zu halten. Die Gitarren reichen von dissonanten Leads hin zu komplexen Riffs, die Basslinien sind satt und virtuos, das Drumming tight und verspielt. Dazu kommt die häufig verzerrte Violine von Amber Christman, die den Stücken eine gewisse Würze gibt. Daneben sind zahlreiche Gastmusiker zu hören, die in das Chaos Klavier bis Saxofon einstreuen. Angeführt werden THE CALLOUS DAOBOYS von einem sehr variablen Sänger. Carson Pace fokussiert sich auf Mathcore-Geschrei, beherrscht aber auch das melodische Spektrum – nicht auf dem Niveau eines GREG PUCIATO oder gar MIKE PATTON, ist dem Gros derzeitigen Konkurrenz wegen einer Extraportion Wahnsinn eine Nasenlänge voraus.

Wie das mit dem Genre weitergehen soll? Nische bleibt Nische, aber die mehr als sympathischen THE CALLOUS DAOBOYS und ihr wuchtig, recht dynamisch produziertes Zweitwerk „Celebrity Therapist“ füllen die etwas leere Schublade wieder mit frischem Leben. Wenn die Südstaatenformation am Ball bleibt, werden sie für Furore sorgen. Hey, und falls THE CALLOUS DAOBOYS eines Tages ihre Karriere beenden sollten, steht die Generation meiner Tochter in den Startlöchern, die dann vielleicht schon ihren kunterbunten Krimskrams gegen Drumsticks getauscht haben wird.

Wertung: 6 von 8 aufgeräumte Zimmer

VÖ: 2. September 2022

Spielzeit: 36:41

Line-Up:
Carson Pace – Vocals
Maddie Caffrey – Guitar
Dan Hodsdon – Guitar
Jack Buckalew – Bass
Amber Christman – Violin
Sam Williamson – Drums

Label: MNRK Heavy

THE CALLOUS DAOBOYS „Celebrity Therapist“ Tracklist

1. Violent Astrology (fka Solar Plexus Clown Glider)
2. A Brief Article Regarding Time Loops (Official Video bei Youtube)
3. Beautiful Dude Missile
4. Title Track
5. Field Sobriety Practice
6. The Elephant Man In The Room (Official Video bei Youtube)
7. What Is Delicious? Who Swarms? (Official Video bei Youtube)
8. Star Baby

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