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PROTEST THE HERO: Palimpsest

Progressiv ist, seine erste Single einer Pionierin der Luftfahrt zu widmen, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz in einer Männerdomäne behaupten, ja sogar Rekorde aufstellen konnte. „The Canary“ – der Titel ein Verweis auf Amelia Earharts erstes Flugzeug – konnte als Vorbote von PROTEST THE HEROs „Palimpsest“ folglich kaum besser gewählt sein. Denn das Album versteht sich in gewisser Weise als Gegenentwurf zu Donald Trumps rückwärtsgewandter Vision eines starken Amerikas. Davon zeugt bereits das Artwork: die Vereinigten Staaten als wildgewordener Bulle, der sich selbst seiner Sicht beraubt hat.

Wo PROTEST THE HERO politisch stehen, ist folglich kein Geheimnis und wird im Weiteren auch textlich immer wieder deutlich. Dementsprechend versucht es die Band auch gar nicht, es dem amtierenden Präsidenten gleich zu tun: Statt mit dem Kopf durch die Wand geht es für die Musiker eben außenherum: Umwege sind ohnehin Möglichkeiten, neue Eindrücke zu gewinnen.

“Palimpsest” besticht durch seine leidenschaftliche Melodramatik

Kaum überraschend also, dass uns der moderne Progressive Metal von Anfang bis Ende herausfordert. Instrumental erinnern Riffs und Gitarrenläufe wie in „The Canary“ oder dem starken „From The Sky“ nicht selten an BETWEEN THE BURIED AND ME, nur dass sich PROTEST THE HERO weniger an härteren Exzessen laben, als es die Kollegen in der Vergangenheit getan haben. An deren Stelle tritt mal ein moderner Djent-Einschlag im Stil von PERIPHERY (“From The Sky”), meist jedoch eine gute Dosis Melodramatik.

Natürlich liegt das vornehmlich an Frontmann Rody Walkers ausdrucksstarker Stimmfarbe, der entsprechend des Materials oft am Anschlag singt, beizeiten allerdings auch überraschend gefühlvoll erklingt. Unterstützt von subtilen Synthie- bzw. Streicher-Arrangements verleiht Walkers der Platte eine Theatralik, die ihresgleichen sucht. Tatsächlich erwischen wir uns während „All Hands“ immer wieder dabei, wie wir morgens am Bahnsteig mit empor gereckter Faust „My train is coming in!“ in die Welt schreien.

PROTEST THE HERO holen alles aus ihren Instrumenten heraus

Mit Blastbeats und zahlreichen Tempowechseln tendiert „The Fireside“ in Richtung Crossover, was die verschachtelten, aber doch rockigen Gitarren nur unterstreichen, während „Reverie“ sich im Refrain mit vorsichtigen Musical-Anleihen gesanglich für einen kurzen Moment in Sphären hineintastet, in welche sich sonst nur MEAT LOAF hineintraut. Es ist eher ein kleines Details in einem komplexen Song, das aber in Erinnerung bleibt.

Kitschig wird „Palimpsest“ trotzdem nicht, dafür sind PROTEST THE HERO zu gute Musiker, die geradezu routiniert alles aus ihren Instrumenten herausholen. In „Little Snakes“ spielt der Bass etwa auf Augenhöhe mit den Frickelgitarren, während sich Drummer Mike Ieradi ohnehin nie mit einem simplen Standard-Rhythmus zufriedengibt.

Auch lyrisch bleiben PROTEST THE HERO fordernd

Das alles ist technisch absolut sauber und transparent verpackt, wodurch wir aller Reizüberflutung zum Trotz nie den Überblick verlieren. Vielleicht bleiben uns auch deshalb genug Kapazitäten, um parallel zur Musik auch den Botschaften der Kanadier Gehör zu schenken. Sei es nun das vertonte Porträt der Flugpionierin Amelia Earhart oder der Einfluss visueller Medien auf die historische Wahrnehmung am Beispiel der Hindenburg-Katastrophe: PROTEST THE HERO sind auch in lyrischer Hinsicht so mutig wie fordernd – oder eben anders ausgedrückt: progressiv.

Veröffentlichungstermin: 18.6.2020

Spielzeit: 52:29

Line-Up

Rody Walker – Vocals
Luke Hoskin – Gitarre, Piano, Backing Vocals
Tim Millar – Gitarre, Piano, Backing Vocals
Mike Ieradi – Drums
Cam McLellan – Bass

Produziert von Derya Nagle, Simon Grove (Mix) und Ermin Hamidovic (Mastering)

Label: Fearless Records / Spinefarm Records

Homepage: http://www.protestthehero.ca/
Facebook: https://www.facebook.com/protestthehero/

PROTEST THE HERO “Palimpsest” Tracklist

01. The Migrant Mother
02. The Canary (Video bei YouTube)
03. From the Sky (Video bei YouTube)
04. All Hands
05. The Fireside
06. Soliloquy
07. Reverie
08. Little Snakes
09. Gardenias
10. Rivet

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