Überraschung: MOONSPELL beginnen ihr neues Album mit einem alten Song. Den Opener von “1755”, “Em Nome Do Medo”, gab’s auf dem 2012er “Alpha Noir/Omega White”-Album schon in herkömmlicher Besetzung mit Gitarren, Bass, Drums und Keyboards zu hören.
Jetzt haben MOONSPELL den Song anders arrangiert und nochmals aufgenommen: Die neue Version stimmt auf das ein, was “1755” im Übermaß bietet: Chöre, Orchester-Bombast und Sänger Fernando Ribeiro unverkennbaren Gesang, Streicher und noch mehr Chöre.
Mit “1755” sind MOONSPELL weit entfernt vom Metal-Musical-Kitsch – trotz Chor, Orchester & Streichern
Das Konzeptalbum “1755” ist trotz der vielen, vielen Streicherteppiche und Gruppengesänge nicht zum Metal-Musical-Kitsch verkommen. MOONSPELL erzählen mit “1755” die Geschichte der Naturkatastrophe, die am 1. November 1755 Lissabon fast vollständig zerstörte. Ein Tsunami, ein Erdbeben und Brände forderten rund 100.000 Tote. MOONSPELL wollten eigentlich nur eine EP zu diesem Thema aufnehmen, schließlich wurde ein ganzes Album daraus – zum ersten Mal in der Bandgeschichte mit ausschließlich portugiesischen Texten.
Was die Band mit “1755” erzählt, versteht man aber auch, ohne Portugiesisch zu sprechen – und genau deshalb ist “1755” eine ziemlich faszinierende Platte geworden. Dass die Band Songs schreiben kann, weiß man seit “Wolfheart”, dass sie sich etwas trauen, sieht man an der Diskografie, die voller Experimente steckt. Dass ihnen auch ein dermaßen bombastisches und übertrieben instrumentiertes, zusammenhängendes Album gelingt, überrascht trotzdem.
“1755” lebt vom Kontrast, einen neuen MOONSPELL-Hit gibt’s auch
Thema des Albums ist der Kontrast zwischen den opulenten Orchesterpassagen und der gnadenlosen Gewalt – das zugrundliegende Konzept der Gegensatz zwischen der sakral-religiös geprägten Gesellschaft und der zerstörerischen, unaufhaltsamen Rohheit der Natur. Und das ist einfach verdammt gut umgesetzt. Mit “Ruinas” haben es MOONSPELL sogar geschafft, wieder einen kleinen Hit zu schreiben, der fast schon zu eingängig für das Thema ist.
“1755” bietet neben fast schon unzählige majestätische Melodien, Bombast kurz vor Schwulst einige besondere Details: viele kleine maurisch-orientalisch inspirierte Momente(“Ruinas”), himmelstrebende Gitarrensoli (ebenfalls in “Ruinas”), ein bisschen Lokalkolorit wie einen Gastauftritt des portugiesischen Fado-Sängers Paulo Bragança – und einfach gut geschriebene und sauber arrangierte Songs mit herausragendem Gesang. Dazu kommt eine Coverversion der brasilianischen Popband OS PARALAMAS DO SUCESSO. MOONSPELL machen daraus einen düsteren Grabgesang, was “Lanterna Dos Afogados” besser macht als das Original, auf mich wirkt der Song trotzdem wie ein Fremdkörper auf “1755”. Aber vielleicht soll er ja so irritieren wie ein Blümchen auf dem Ruinenfeld.
Kritisieren kann man die schrecklich lieblose Aufmachung der LP: Im Gatefold aus billiger Pappe steckt lediglich ein Textblatt mit den Originaltexten und einer Übersetzung. Hier wäre ein Booklet eigentlich Pflicht – und ich glaube nicht, dass es an MOONSPELL liegt, dass es keines gibt, denn die hatten in besseren Zeiten immer tolle Artworks, man erinnere sich zum Beispiel mal an “Sin/Pecado”.
Veröffentlichung: 3. November 2017
Label: Napalm Records
Spielzeit: 47:42
Tracklist MOONSPELL „1755“
1. Em Nome Do Medo
2. 1755
3. In Tremor Dei (featuring Paulo Bragança)
4. Desastre (Audio bei YouTube)
5. Abanão
6. Evento (Lyrics-Video bei YouTube)
7. 1 De Novembro
8. Ruínas
9. Todos Os Santos (Lyrics-Video bei YouTube)
10. Lanterna Dos Afogados
11. Desastre (Bonus-Track)
Besetzung
Fernando Ribeiro – Gesang
Ricardo Amorim – Gitarre
Pedro Paixão – Keyboards, Gitarre
Aires Pereira – Bass
Mike Gaspar – Drums
Mehr im Netz: facebook.com/moonspellband