Wir erinnern uns zurück an unsere Kindheit, als wir zum ersten Mal die bunte Vielfalt unseres Malkastens entdeckten: Natürlich mussten direkt und ausnahmslos alle Farben mit aufs Bild. Dass die übereinandergesetzten Pinselstriche am Ende statt Regenbogen eher einen braun-grauen Sumpf ergaben, mag unserer fehlenden Erfahrung geschuldet sein. Das Resultat jedenfalls war eines, das böse Zungen in ähnlicher Weise LORNA SHORE zum Vorwurf machen.
Dass diese Kritik nicht ganz unbegründet ist, muss man selbst bei wohlwollender Betrachtung zugestehen: Auch „I Feel The Everblack Festering Within Me“ setzt mit seinem „Wall of Sound“-Ansatz auf gezielte Reizüberflutung und nimmt dafür einen Verlust an Transparenz und Dynamik in Kauf. Ganz so zusammengepresst wie seinerzeit auf „…And I Return To Nothingness“ (2021) ist der Mix zwar nicht, Produzent Josh Schroeder behandelt die Rhythmusgitarren anno 2025 jedoch abermals stiefmütterlich, indem er sie zugunsten der orchestralen Arrangements und ausladenden Doublebass-Passagen häufig im Hintergrund verschwimmen lässt.
LORNA SHORE führen auf „I Feel The Everblack Festering Within Me“ genau den Ansatz weiter, der ihnen zum Durchbruch verholfen hat
Schade ist das, weil LORNA SHORE auf ihrem fünften Album durchaus starke sowie mitreißende Riffs versteckt haben, die ihren Moment im Scheinwerferlicht durchaus verdient hätten. Dort kommt allerdings überwiegend das zur Geltung, was bereits auf dem Vorgänger „Pain Remains“ (2022) so hervorragend funktioniert hat. Kurzum, die US-Amerikaner haben spätestens mit dem Einstieg von Ausnahmeshouter Will Ramos im Jahr 2021 ihr Erfolgsrezept gefunden, das sie nun über weite Strecken ausschlachten.
Das Ergebnis ist – je nach Erwartungshaltung – eine potenziell leicht zwiespältige Angelegenheit. Denn was auf „I Feel The Everblack Festering Within Me” zu kurz kommt, ist der Mut zur Innovation. Aus dem üblichen Trott brechen LORNA SHORE nur einmal aus, wenn sie in „War Machine“ den Pomp gegen subtil-atmosphärische Synthesizer eintauschen und auf waschechtes Death-Metal-Riffing setzen. Eben weil sich das Quintett hier aus der Komfortzone wagt, ist der Song einer der interessantesten Augenblicke auf einem Album, das mit rund 67 Minuten Laufzeit nicht unbedingt langatmig wirkt, aber gerne etwas straffer hätte ausfallen dürfen.
Bisweilen bewegen sich LORNA SHORE nahe an der Selbstkopie
Nicht immer kommen LORNA SHORE zum Punkt: Ihr Faible für ausladende Kompositionen spiegelt sich auch auf „I Feel The Everblack Festering Within Me”, was oftmals gelingt, hin und wieder jedoch auch in die Länge gezogen wirkt. „Glenwood“ etwa hat mit seinem formelhaften Arrangement und der simpel-eingängigen Lead-Melodie nicht genug Gesprächsstoff, um knapp sieben Minuten zu füllen. Der schablonenhafte Songwriting-Ansatz ist grundsätzlich der größte Kritikpunkt des Albums: Zeitweise bewegen sich LORNA SHORE nahe an der Selbstkopie („In Darkness“), indem sie ähnlich gelagerte Melodiebögen, Riffs und Soli regelmäßig neu aufkochen.
Dass zudem nicht jeder Track einen plakativen Breakdown gebraucht hätte, trägt zu dem Eindruck bei, als hätte die Band beim Schreibprozess der Platte nach dem Baukastenprinzip gearbeitet. Dabei wird „Malen nach Zahlen“ dem Talent der Formation keineswegs gerecht: Blenden wir das kitschige und dabei etwas flache „Unbreakable“ mit seinen Melodeath-Anleihen aus, finden wir auf „I Feel The Everblack Festering Within Me” durchaus eine ganze Menge Klasse.
„I Feel The Everblack Festering Within Me“ fehlt es nicht an Qualität, aber an Überraschungen
„Prison of Flesh“ etwa kreiert eine geradezu bedrückende Atmosphäre, um sich seiner allzu realen Thematik der (Alters-)Demenz anzunehmen. Gesanglich schmückt Frontmann Will Ramos das Songmaterial ohnehin in einer Weise aus, die ihresgleichen sucht. Die stimmliche Bandbreite des Shouters reicht wie gehabt von bösartigem Growling über berstende Screams bis hin zu dämonischen Grunzlauten während der brachialen Breakdowns.
Es fehlt somit keineswegs an Qualität: „I Feel The Everblack Festering Within Me“ ist ein durchweg gutes bis sehr gutes Album, dessen Risikoscheu sich aufgrund seiner Überlänge jedoch unweigerlich bemerkbar macht. Derselbe Überraschungseffekt wie seinerzeit „Pain Remains“ (2022) bleibt dem Nachfolger folglich verwehrt, obwohl das episch angelegte „Forevermore“ durch seine orchestrale Untermalung auf ein Finale von übermenschlicher Größe zusteuert.
Viel Talent, viele große Momente, aber auf Albumlänge zu wenige Konturen: LORNA SHORE können sich selbst nicht übertrumpfen
Die Vielfalt an sich ist bei genauerer Betrachtung also weiterhin vorhanden, eben weil sich LORNA SHORE eigentlich aller Farben in ihrem Repertoire bedienen. Dicht übereinandergesetzt verschwimmen jene allerdings zu einem Bild ohne echte Konturen. Das große Glück dabei ist lediglich, dass das ausgeklügelte Erfolgsrezept der Symphonic Deathcore-Könige – anders als unsere ersten Malversuche seinerzeit – selbst ohne diese Trennschärfe prächtig zu funktionieren scheint.
Veröffentlichungstermin: 12.09.2025
Spielzeit: 66:31
Line-Up
Will Ramos – Vocals
Adam De Micco – Guitar
Andrew O’Connor – Programming, Synthesizer, Gitarre (Live)
Michael Yager – Bass, Backing Vocals
Austin Archey – Drums
Produziert von Josh Schroeder
Label: Century Media
Homepage: https://lornashoreband.com/
Facebook: https://www.facebook.com/LornaShore/
Instagram: https://www.instagram.com/lornashore/
Bandcamp: https://lornashore.bandcamp.com
LORNA SHORE “I Feel The Everblack Festering Within Me” Tracklist
1. Prison of Flesh (Video bei YouTube)
2. Oblivion (Video bei YouTube)
3. In Darkness
4. Unbreakable (Video bei YouTube)
5. Glenwood
6. Lionheart
7. Death Can Take Me
8. War Machine
9. A Nameless Hymn
10. Forevermore