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GODFLESH: Purge

GODFLESHs doomige Variante des Industrial versprüht auch sechs Jahre nach „Post Self“ ihre Magie: Das dunkle Juwel „Purge“ fügt sich bestens in die Diskografie der Band ein.

Das Reptil auf dem Artwork ist ein passendes Sinnbild für GODFLESH. Während JESU ruhiger und harmonischer ist, ist Justin Broadricks anderes großes Alter Ego – lassen wir FINAL, JK FLESH, und seine weiteren Projekte mal außen vor – gemeiner und boshafter und beißt nicht selten zu. Wobei, GODFLESH zu umschreiben hieße sprichwörtliche Eulen nach Athen zu tragen. Ebenso über die Qualität der Musik Broadricks zu referieren. Zwar verlor der Verfasser dieser Zeilen JESU in den letzten Jahren aus den Augen, umso größer die Vorfreude auf „Purge“. Immerhin, „Post Self“, das letzte Album des britischen Duos liegt sechs Jahre zurück und präsentierte die Band eingängiger, auf den Punkt komponiert und voll kantiger Schönheit.

Doch „Purge“ folgt konzeptionell nicht „Post Self“, sondern dem legendären Zweitwerk der Band, „Pure“. Schnell wird klar warum, doch kompakt ist „Purge“ dennoch geworden. GODFLESH brauchen nicht mehr als den treibenden, verzerrten Bass von G.C. Green, charakterstarke Riffs, beherztes Geschrei als Basis, subtile Synthesizer und – und hier ist die Parallele zu „Pure“ – diese Rhythmen, die so sofort in Fleisch und Blut übergehen. Hierbei orientieren sich GODFLESH wie 1992 an Hip-Hop-Beats der der damaligen Zeit. Erfreulich ist, dass sie auch heute exzellent zur Musik passen. Und doch, es irritiert ein wenig, dass die Beats nicht fett aus den Boxen wummern, und die Bässe missen lassen.

Eingängig, auf den Punkt komponiert und von kantiger Schönheit: Auch mit „Purge“ erschaffen GODFLESH ihren eigenen Kosmos.

Das ist allerdings konsequent. GODFLESHs Postmoderne stammt aus einer anderen Zeit und will sich nicht im Hier und Jetzt festmachen lassen. Gleichzeitig ist das Sounddesign auch weit von den Neunzigern entfernt. „Purge“ kreiert so einen eigenen Kosmos, und es dauert ein wenig, sich daran zu gewöhnen. Konsequent ist dabei auch das Songwriting. Die typischen schwer groovenden, dissonanten Tracks wie der Opener „Nero“ und „Mythology Of Self“ erzeugen eine ganz eigene Brutalität und Heaviness, die nur von „Army Of Non“ übertroffen werden, das GODFLESHs brutalstes Gesicht zeigt.

Auf der andere Seite zeigen sich GODFLESH atmosphärischer, aber nicht minder gefährlich. „Lazarus Leper“ ist eigenwillig, mit monotonen Gitarrenläufen und ebensolchen Beats, schlängelt sich um den Hörer und baut Spannung auf, die ein wenig von Justin Broadricks Sprechgesang ausgehebelt wird. Ein spannendes Stück, doch diese Art des Songwritings gelingt besser bei dem abschließenden, doomigen „You Are The Judge, The Jury And The Executioner“ und „The Father“, das einen Bogen zum Frühwerk von JESU spannt.

GODFLESH und der facettenreiche Minimalismus: „Purge“ pendelt abseits von aktuellen und damaligen Trends zwischen Brutalität und Atmosphäre.

Sich selbst übertreffen Broadrick und Green dann mit  „Permission“. Fünf Minuten lang pulsiert und pumpt der Song und erzeugt eine Sogwirkung mit einfachsten Mitteln und wirkt deshalb frisch, unverbraucht und energetisch. So etwas nach fünfunddreißig Jahren zu schaffen, obwohl der Stil schon in der ersten Dekade definiert war, bedarf einer eigenen Erwähnung. Und es zeigt, dass GODFLESH in ihrem gesetzten Alter noch wandelbar sind, ohne dem Zwang zu verfallen, etwas neu zu erfinden. „Purge“ lebt Minimalismus auf seine Art und ist dennoch vielschichtiger, als es zunächst den Anschein macht, facettenreicher sowieso. Justin Broadrick und G.C. Green müssen niemandem mehr etwas beweisen und wollen das auch gar nicht. GODFLESH ist mit dem dritten Album seit ihrer Wiedervereinigung ein wirklich starkes Album gelungen – keines zwar, das neue Impulse setzt, die Band aber in mindestens ebenso guter Form wie zu „Post Self“ zeigt. Wen kümmert es da schon, dass die Schlange GODFLESH nach der Häutung genauso aussieht wie zuvor.

Wertung: 6,5 von 8 Exuvien

VÖ: 9. Juni 2023

Spielzeit: 43:44

Line-Up:
Justin K. Broadrick – Guitars, Vocals, Drum Programming
G.C. Green – Bass

Label: Avalanche Recordings

GODFLESH „Purge“ Tracklist:

1. Nero (Audio bei Bandcamp)
2. Land Lord (Audio bei Bandcamp)
3. Army Of Non
4. Lazarus Leper
5. Permission
6. The Father
7. Mythology Of Self
8. You Are The Judge, The Jury And The Executioner

Mehr im Netz:

https://godflesh1.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/godflesh.official
https://godflesh.com/

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