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FAWN LIMBS: Darwin Falls

Was läuft im Roadhouse von „Darwin Falls“? THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE bitten ION DISSONANCE und STARKWEATHER zum Tanz. FAWN LIMBS gehören damit zu den furchtlosesten extremen Bands der vergangenen Jahre.

„Past the occasional piles of carrion, my thoughts drowned to the thrum of Darwin Falls in the distance“, war der letzte Satz der dritten EP „Thrum“ von FAWN LIMBS. Und nun sind wir also in „Dawin Falls“. Ein Ort, wie eine Mischung aus Twin Peaks und Silent Hill mit einem Schuss Innsmouth. Nicht gerade gemütlich hier, aber doch sehr anziehend. Und FAWN LIMBS? Das Mathcore-Trio aus den USA und Finnland veröffentlichte im August 2018 seine Debüt-EP und brachte es seither auf beachtliche vier EPs und zwei Alben. Allesamt finster, komplex, enervierend. Also im Prinzip das, was von dem Genre verlangt wird.

Nun das dritte Album „Darwin Falls“. Kenner der Band dürften bereits erwartet haben, dass das narrative Element, das in „Thrum“ integriert war, hier fortgeführt wird. Doch zunächst einen Schritt zurück: Was bedeutet narrativ? Dies in diesem Genre unterzubringen ist vielleicht leichter als gedacht, denn die komplexen Rhythmen und Breaks, mit denen sich FAWN LIMBS häufig selbst abwürgen, eignen sich dafür, atmosphärische Fetzen einzuwerfen und darüber passt eben auch die Stimme eines Erzählers. „Darwin Falls“ setzt hier an und leistet Unglaubliches. Konkret: Verglichen mit „Darwin Falls“ sind die früheren, schon sehr starken, komplexen und intensiven Veröffentlichungen zwar lauter und brutaler, aber weit weniger verstörend.

FAWN LIMBS präsentieren die Schnittmenge aus Mathcore, Avantgarde und Darkjazz. „Darwin Falls“, ein Ort wie eine Mischung aus Twin Peaks, Silent Hill und Innsmouth

„Nesting Lumens“ beginnt überraschend leise mit Gitarrenarbeit, die von EARTH stammen könnte, und dem Spoken Word-Einsatz von Drummer Lee Fisher, danach sofort Viola, Cello, Oboe und weitere Instrumente, die eher Musik zwischen Jazz und neoklassischer Avantgarde ankündigen statt ein brutales Mathcore-Album. Dafür wirkt die erste Eruption umso unvermittelter und manischer, auch da die Grenzen zwischen den stilistischen Polen immer wieder verschwimmen. Es ist ein einziges Ersticken von sich selbst und den Kompositionen, der Tanz eines Besessenen, der epileptische Anfall eines durch und durch Schizophrenen. Beschreiben lässt sich das freilich schwer, immerhin fasst die Single „Twitching, Lapsing“ den Wahnsinn dieser 35 Minuten am konkretesten zusammen.

Und so bahnt sich das Album seinen Weg durch sieben Kompositionen. Es gibt keine Sicherheit, weder in der Gewalt, noch in der trügerischen Ruhe. Überraschend prägnante Riffs in „Dead Horse Cavern“ und „Noose Gestures“, repetitive Heaviness in „Dissolver“, das sich an den Rand des Wahnsinns schraubt, unendlich komplexes, kraftvolles und kreatives Drumming, manisches Gebrüll inmitten von trügerischen Traumbildern. FAWN LIMBS zeigen Dias des Schrecklichen, mal im Stroboskoplicht, dann wieder im Kerzenschein. Ja, das klingt so gut – oder so unerträglich –, wie man es sich vorstellt. THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE bitten ION DISSONANCE und STARKWEATHER zum Tanz? Naja, zumindest ist das eine Idee, wohin die Reise geht.

FAWN LIMBS zeigen hohes spielerisches Niveau als auch Improvisationskunst und visionäres Songwriting – „Darwin Falls“ sucht seinesgleichen.

„Darwin Falls“ ist nebenbei noch ein weltweites Kunstprojekt. Was zusätzlich musikalisch zum Einsatz kommt, die Piano, Cello, Posaune, Trompete, Saxofon und mehr, wurde von Musikern rund um den Globus eingespielt. Durch die dichte Atmosphäre wirken die sieben Tracks trotz der Distanz wie ein bizarres Kammerorchester. Und dann die surrealen Texte, das abermals gestochen scharfe Cover von Gitarrist und Sänger Eeli Helin, das wie ein Fiebertraum der CELESTE-Artworks anmutet – FAWN LIMBS überlassen nichts dem Zufall und zeigen sich nach so kurzer Zeit ihres Bestehens als ausgereifte Einheit.

Dass FAWN LIMBS ein enorm hohes spielerisches Niveau an den Tag legen, haben sie nicht zuletzt mit den beiden Alben „Harm Remission“ und „Sleeper Vessels“ unter Beweis gestellt. Jetzt bringen sie die Improvisationskunst und Instrumentation des Jazz und Storytelling in ihre Version des Mathcore und erzeugen somit nicht nur furchterregend gute Musik, sondern geben dem Genre einen Evolutionsschub, mit dem nicht zu rechnen war. Ein wenig länger hätte das Album aber sein dürfen, um die einzelnen stilistischen Eckpunkte noch besser zu beleuchten. Das schmälert den Genuss des Albums aber nur minimal. Es mag nicht sonderlich überraschen, dass diese Band nur einem furchtlosen Publikum zu empfehlen ist, aber verdammt nochmal, dieses Publikum wird FAWN LIMBS und speziell „Darwin Falls“ lieben.

Wertung: 6 von 7 mal Sam Neil von „In The Mouth Of Madness“

VÖ: 13. August 2021

Spielzeit: 34:46

Line-Up:
Eeli Helin – Vocals/Guitars/Noise
Lee Fisher – Drums/Narration
Samuel Smith – Bass

Gastmusiker:
Stéphane Babey – Electric Cello
David Burke – Trombone
Michael Frei – Piano/Wurlitzer/MikroKorg/Mellotron/Voice
Hanna Ott – Oboe
Philippe Simon – Trumpet
Richard Spencer – Viola
Iván Zapata – Saxophone

Label: Wolves And Vibrancy Records / Roman Numeral Records

FAWN LIMBS „Darwin Falls“ Tracklist:

1. Nestling Lumens
2. Wound Hiss
3. Dead Horse Cavern
4. Noose Gestures (Official Audio bei Youtube)
5. Caesura
6. Twitching, Lapsing (Official Audio bei Youtube)
7. Dissolver

Mehr im Netz:

https://fawnlimbs.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/fawnlimbs

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