Nach der Phase der ersten Überwältigung ob der schieren Emotionalität von „Stygian Bough: Volume II“, hatte die zweite volle Kollaboration zwischen BELL WITCH und AERIAL RUIN beim Verfasser keinen leichten Stand. Das groß angelegte cineastische Panorama von „Mirror Reaper“ und „Future’s Shadow Part 1: Clandestine Gate“ und das Überraschungsmoment von „Stygian Bough Volume I“ gibt es hier nämlich nicht. Es fehlen die Ecken und Kanten der ersten Ausgabe, und es saugt nicht so ein, wie es die überlebensgroßen 1-Track-Alben schaffen. Stattdessen ist „Stygian Bough: Volume II“ ein hochmelodisches Funeral Doom-Album, auf dem sich BELL WITCH und AERIAL RUIN mit genau dem präsentieren, was sie können, aber nur selten aus der Komfortzone herauswagen.
Dennoch klingt „Stygian Bough: Volume II“ anders als die erste Kollaboration, beziehungsweise als das, was BELL WITCH boten, wenn Erik Moggridge aka AERIAL RUIN als Gast bei ihnen mitwirkte. Sie scheinen enger zusammengewachsen zu sein und lassen die Musik mehr fließen. Sie erlauben sich, sich in mehrstimmigen Mollleads zu verlieren, wie es ansonsten nur die melodiösesten Doom Death-Bands tun. Kein Wunder, dass die Elegie von MY DYING BRIDE, SATURNUS oder auch WARNING und PALLBEARER vorherrscht und das nihilistische, brutale Element über weite Strecken fehlt, stattdessen fließt viel vom doomigen Neofolk AERIAL RUINs mit ein.
BELL WITCH und AERIAL RUIN wachsen enger zusammen: Auf „Stygian Bough: Volume II“ dominiert nicht mehr nur der Funeral Doom.
Bei aller Hingabe an schwermütige, mitreißende Harmonien vergessen BELL WITCH und AERIAL RUIN das größere Bild. „Stygian Bough: Volume II“ besteht aus vier Songs, die für sich gesehen mal sehr gut und mal sensationell sind. Vielleicht ist man als Hörer*in der Band aus dem pazifischen Nordwesten auch etwas zu verwöhnt von all den larger than life-Konzepten. Immerhin: Für jede – ich wiederhole: JEDE – andere Band aus der Doom-Szene wären Songs wie „Waves Become The Sky“ oder das gewaltige Mainriff aus „King Of The Woods“ die Krönung des Schaffens. Dieser Rahmen scheint nur etwas zu klein zu sein für konzeptionell denkende Künstler dieses Kalibers.
Aber genug lamentiert. „Stygian Bough: Volume II“ rührt in den richtigen Momenten zu Tränen und kostet diese Emotionalität voll aus. Es ist allein schon ungewöhnlich, wie „Waves Become The Sky“ in medias res geht und einen alles um sich herum vergessen lässt. BELL WITCH und AERIAL RUIN setzen ein Statement mit der Würde und der Trauer, die sie hiermit durchleben. „King Of The Woods“ experimentiert ein wenig mehr: Ein längerer Ambient-Part und ein dissonantes, bedrohliches finales Riff erzeugen ein Gefühl des Unbehagens – und doch gibt es auch erstmalig längere Gitarrensoli, die das Ensemble an klassischere Genrevertreter heranrücken. Richtig gut baut sich „From Dominion“ auf, das mit elf Minuten kürzeste Stück des Albums: Auf ein folkiges Intro folgen erhabene Riffs, große Gesangslinien und ein berührender, von Orgeln unterlegter Moment der Stille.
Für jede andere Doom-Band wären diese Songs die Krönung ihres Schaffens: BELL WITCH und AERIAL RUIN haben ganz große Momente, es fehlt „Stygian Bough: Volume II“ nur an der übergreifenden Vision.
„Stygian Bough: Volume II“ ist voller Momente, die berühren und unter die Haut gehen. Der große, philosophische Überbau der letzten Alben mag nicht ganz gegeben sein, wenn das 19-minütige „The Told And The Leadened“ aber nochmal alle Qualitäten auffährt und in ein lärmendes Crescendo übergeht, fühlt sich das Album doch noch an, als würde ein tonnenschweres Gewicht auf der Brust liegen. Und auch hier zeigt sich abschließend das Besondere dieser Kollaboration: Während Erik Moggridge bisher eher der Sidekick für BELL WITCH war, ist er es, der hier das Ensemble anführen darf: Seine Stimme, seine Riffs, die Akustikgitarren stehen im Vordergrund, auch trotz der massiven Basswand von Dylan Desmond, auch trotz des brachialen Drummings von Jesse Shreibman, auch trotz aller eingestreuten Synthesizer und Orgeln.
Auch dass hier nur Moggridge singt und es keine Growlstimme gibt, setzt AERIAL RUIN an die Spitze der Kollaboration. Was „Stygian Bough: Volume II“ verglichen mit der ersten Zusammenarbeit auch besser macht, ist der Sound: Weniger dumpf und präsenter, direkter verschluckt der Mix keine Details. Es ist ein spannendes, intensives Album, aber eines, das BELL WITCH und AERIAL RUIN eher im klassischen Arbeitsmodus zeigt. Keines, mit dem die Künstler Grenzen ausloten und das kollektive Unterbewusste bespielen, aber eines, das Halt gibt, wenn die Zeiten hart sind. Und vielleicht reicht das alles – und vielleicht ist der Verfasser einfach nur verwöhnt von diesen Ausnahmemusikern.
Wertung: 8 von 10 Konjunktionen
VÖ: 14. November 2025
Spielzeit: 57:36
Line-Up:
Erik Moggridge – Vocals, Guitar
Dylan Desmond – Bass, Synthesizers
Jesse Shreibman – Drums, Organ, Percussion, Piano, Synthesizers
Label: Profund Lore Records
BELL WITCH & AERIAL RUIN „Stygian Bough: Volume II“ Tracklist:
1. Waves Became The Sky (Official Audio bei Youtube)
2. King Of The Wood
3. From Dominion
4. The Told And The Leadened
BELL WITCH & AERIAL RUIN „Stygian Bough: Volume II“ Full Album Stream bei Youtube
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