Die guten alten Zeiten

Heavy Metal im Zeitalter der Globalisierung? Werteverfall durch Stilvielfalt? War früher alles besser oder einfach nur billiger? Wirre Gedanken eines hadernden Online-Redakteurs.

Die guten alten Zeiten! Das sind die Alben in der Hell of Fame. Das sind unsere ersten Konzerterlebnisse! Das sind Erinnerungen an jene unschuldige Zeit, als Geschwindigkeit das vorrangige Kriterium für die Qualität einer Neuveröffentlichung war. Damals war der Markt noch überschaubar. Man konnte ganze Landstriche einfach ignorieren, weil Heavy Metal ein Privileg amerikanischer und britischer Bands war. Combos aus heimischen Gefilden schenkte man zwar auch immer wieder Aufmerksamkeit, weil sie einfach präsenter waren als jene sagenhaften Bands aus Texas, Seattle und der Bay Area. Doch sobald man auch nur irgendein angrenzendes Gebirge überquerte (Alpen, Pyrenäen, Ural), befand man sich im metallischen Niemandsland. Es gab natürlich Gerüchte von dort ansässigen Fans und Mythen über legendäre Bands wie ADRAMELCH oder SEPULTURA. Doch wer war schon so verrückt und schickte blind 50 DM an Hellion in der Hoffnung, ein Juwel zu entdecken?

So waren sie, die guten alten Zeiten. Niemand hätte damals zu hoffen gewagt, dass schwedische Death Metaller einmal die hiesigen Charts stürmen würden oder dass Ozzy Osbourne eine eigene Fernsehserie bekommen – und damit durchschlagenden Erfolg haben – würde. Im Gegensatz zu den guten uralten Zeiten, als Bands wie IRON MAIDEN und JUDAS PRIEST (und mit ihnen die NWoBHM) ihre ersten Erfolge feierten und METALLICA Dave Mustaine rausschmissen, sind die guten alten Zeiten mit dem Makel belastet, dass sich unabhängig von der Metal-Szene eine ganze Reihe von Hard Rock-Giganten gesellschaftlich etabliert hatte (die SCORPIONS, FOREIGNER, DEEP PURPLE, AC/DC, und wie sie alle hießen). Dennoch waren es schöne, einfache Zeiten. Ich ging gerade in den Kindergarten.

Wann die Zeiten schließlich aufhörten gut zu sein bzw. jung wurden, lässt sich nicht genau sagen. Auf jeden Fall endeten die guten alten Zeiten spätestens mit dem schwarzen Album von METALLICA. Daran besteht kein Zweifel. Es folgten jene unrühmlichen 90er Jahre, die den Grunge und andere Krankheiten brachten. Dann kam das Internet und mit ihm unzählige Bands, die es sich auf einmal nicht nur leisten konnten, ihre Musik aufzunehmen, sondern zugleich auch die Möglichkeit hatten, sie in der ganzen Welt zu verbreiten. Während die großen Plattenfirma selig schliefen, entstanden Tag für Tag hundert neue Musikszenen, die häufig so schnell verschwanden, wie sie entstanden. Doch die schiere Masse an neuer (und alter) Musik ließ sich nicht zügeln und zog die bestehenden Strukturen arg in Mitleidenschaft.

Profitiert haben von dieser Entwicklung – mal abgesehen von einzelnen qualitativ hochwertigen Online-Magazinen *hüstel* – einzig fanatische Sammler (Die Edinburgh-Probe im März ´81 mit Luke Harrington am Bass, aufgenommen auf der Toilette im Haus gegenüber – das ich das noch erleben darf!) und die Gelegenheitshörer, die ihre Hits nun für ein paar Euro (oder sogar weniger) bekommen und nicht mehr eine ganze, ansonsten furchtbar aggressive Platte kaufen müssen, nur um Nothing Else Matters zu hören. Wer über 25 ist, vergnügt sich in der Regel mit den Idolen seiner Jugend, während der Rest heutzutage die Wahl zwischen den altbackenen Originalen und den wenig originellen Epigonen hat. Bei diesen Alternativen ist es nicht verwunderlich, dass sich viele zweifelhaften Nu Metal-Geschichten zuwenden.

In den heutigen tristen jungen Zeiten ist Nostalgie ansonsten scheinbar das Einzige, was noch Profit abwirft. So wird der ohnehin schon übersättigte Markt mit Wiederveröffentlichungen und -vereinigungen überflutet, die selbst die ambitioniertesten Newcomer in die Resignation treibt. (Nur wer ist im Endeffekt schuld daran? Die Lethargie der Fans oder die Profitgier der Geschäftsleute? Oder etwa die Bundesregierung?) Die Vielzahl unbekannter Bands erlaubt zwar geduldigen Personen kaum bekannte Schätze zu entdecken. Doch für jede solche Perle gilt es zehn Enttäuschungen wegzustecken und 20 Versuchungen aus dem Radio zu widerstehen*. Und selbst dann sind da immer noch die verlockenden Rufe der eigenen Plattensammlung, die einem jammernd vorwirft, man habe schon seit sieben Monaten nicht mehr DREAM THEATERs When Dream And Day Unite-Götterwerk angehört.

In Momenten wie diesen kann ich HAMMERFALL verstehen, wenn sie veränderungsresistent von der Kraft und dem Feuer des Metals singen. Denn dann verdränge ich für eine Weile die halbgaren CDs, die ich in den nächsten Tagen besprechen darf, und erfreue mich einfach an der Musik, zumal es zwischendurch auch immer wieder Hoffnungsschimmer in Form von talentierten Bands und gelungenen Alben gibt. Außerdem sollten wir froh sein, dass wir hier und heute leben, da es früher – in den guten alten Zeiten also – überhaupt noch keine guten alten Zeiten gab, zumindest was den Heavy Metal anbelangt!

Allerdings war mein Haarwuchs früher doch um einiges vitaler. Verdammt.

* Ist es nicht sonderbar bzw. erschreckend, dass einige gestandene Metaller mittlerweile unumwunden zugeben, Johnny Cash gut zu finden, und schamlos Madonna-Alben zwischen MACABRE und MANOWAR in ihr CD-Regal stellen!?

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