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SPOCK´S BEARD, ENOCHIAN THEORY: Substage, Karlsruhe, 23.09.2010

Die Bärte haben sich von den Erfolgen und Besetzungen der Vergangenheit emanzipiert. Statt dem latenten Drang nach kommerziellem Material beherrschte zeitloser Progrock mit reichlich Spielfreude das Geschehen im neuen Substage.

Die Musik von ENOCHIAN THEORY als sperrig zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Das Trio präsentierte im Vorprogramm ihr Label-Debüt Evolution: Creatio Ex Nihilio in voller Länge. Um nicht auf Keyboards und diverse Rhythmusgitarren zu verzichten, bekamen die Musiker permanent Unterstützung aus der Konserve. Die statische Bühnenshow wirkte so noch uninteressanter, was jedoch hauptsächlich an der stilistischen Achterbahnfahrt ohne erkennbare Aussichtspunkte lag. Die eingestreuten Ansagen ließen einzelne Lieder erahnen. Doch von den Melodien blieb bei mir nichts hängen. Einige Tage später erinnere ich mich nur noch an einen Schlagzeuger, der gerne (sprich ständig) Breaks spielte, einen Gitarristen, dessen Gesang zu keinem Zeitpunkt mit der anspruchsvollen Musik mithalten konnte, und einen Bassist, der dynamisch introvertiert auf der Stelle wippte. Die musikalischen Ausflüge in die Grenzländer der Harmonielehre ernteten soliden Applaus, ließen aber die Eigenschaften, die ich an progressiver Musik schätze (Spielwitz, klare Dynamik, elegische Melodien), komplett vermissen.

 

Ganz anders dann SPOCK´S BEARD. Schon mit dem Opener ihres aktuellen Albums X demonstrierte die Band, wie man Eingängigkeit und Komplexität gelungen miteinander verbindet und dabei spielfreudig die Nähe zum Publikum sucht. Die meisten der 250 Zuschauer dürften Stammgäste gewesen sein, die die Band nicht zum ersten Mal sahen und entsprechend vom ersten Ton an voll bei der Sache waren. Man war vorbereitet, auf das, was kommen sollte – soweit man eben auf Progressive Rock vorbereitet sein kann. Denn diesmal ließen SPOCK´S BEARD es sich nicht nehmen, das komplette neue Album am Stück zu spielen. Das war ungewohnt, aber angesichts der Klasse der Stücke eine schöne Abwechslung, die verhinderte, dass das Konzert austauschbar wirkte.

 

Die fünf Musiker agierten dagegen wie erwartet: Tourschlagzeuger Jimmy Keegan lieferte einmal mehr eine beeindruckende Leistung ab; Alan Morse freute sich wie ein Schneekönig, dass er seiner Gitarre die unterschiedlichsten Töne entlocken konnte; Nick D`Virgilio wechselte routiniert zwischen Gesang, Gitarre, Keyboard und Schlagzeug, wobei das Ganze nicht mehr so zerfahren und hektisch wirkte wie bei früheren Touren; Dave Meros spielte im Hintergrund Bass; Ryo Okumoto steuerte opulente Keyboardklänge bei und war wie erwartet Rock´n´Roll.

 

Live-FotoLive wirkten die neuen Stücke noch homogener und rockiger; einzige Ausnahme: Ryos spontane Intonation der ersten Strophe von Jaws Of Heaven auf Japanisch, bei der auch der sonst so selbstbeherrschte Nick lachen musste. Nach dem monumentalen Finale des Longtracks war dann endgültig klar, dass SPOCK´S BEARD sich von den Erfolgen und Besetzungen der Vergangenheit emanzipiert hatten. Statt dem latenten Drang nach kommerziellem Material beherrschte zeitloser Progrock das Geschehen. So ging es anschließend auch mit On A Perfect Day weiter, einem der besten Songs der Bandgeschichte, bei dem dramatische Melodien auf poetische Texte trafen und zwischendurch auch noch Platz für filigrane Akustik-Gitarren blieb. Erst dann widmete die Band sich ihrem Frühwerk. Thoughts war ebenso skurill wie intenstiv, während The Doorway in all den Jahren nichts von seinem Glanz verloren hatte. Als Zugabe gab es schließlich noch June, ehe nach mehr als zwei Stunden Programm Feierabend war.

 

Nostalgiker dürften so manche Klassiker vermisst haben. Doch nachdem SPOCK´S BEARD sich auf ihren jüngeren Alben bereits weiterentwickelt hatten, war die Aussparung eines repräsentativen Diskographierundgangs nun die passende Konsequenz. Außerdem wird die Band auf ihrer nächsten Tour die Setlist mit Sicherheit wieder generalüberholen.

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