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SALTATIO MORTIS, ALESTORM: Konzertbericht – Zenith, München – 18.11.2023

Erst hochverlegt und am Ende trotzdem ausverkauft: Während ihres Gastspiels in München stellen SALTATIO MORTIS unmissverständlich klar, weshalb sie mittlerweile zu den angesagtesten Bands der deutschen Mittelalter- und Folk-Rock-Szene gehören.

Die Rahmenbedingungen sind überraschend ähnlich: rund acht Grad Celsius, Nieselregen und letzten Endes ausverkauftes Haus. Doch anstatt wie 2009 vor der gemütlichen Münchner Backstage Halle stehen wir nun fast anderthalb Dekaden später vor dem hiesigen Zenith, der zweitgrößten Indoor-Location der Stadt. Es hat sich in diesen Jahren wohl offensichtlich auch einiges verändert: SALTATIO MORTIS sind vom Mittelalter-Rock-Geheimtipp zu einem der größten Vertreter ihres Genres angewachsen, haben Party-Kollaborationen mit populären Rappern und Ballermann-Sängerinnen genauso in ihrem Repertoire wie folkig angehauchte Trinklieder oder schmissige Deutschrock-Singalongs. Über ZDF-Fernsehgarten bis hin zur Videospiel-Vertonung lässt man dabei keine Gelegenheit aus, das eigene Zielpublikum zu erweitern – und fährt damit außerordentlich gut: Auch in der bayerischen Landeshauptstadt könnte das Publikum kaum gemischter sein, wo vor dem Merch-Stand schon früh am Abend Szene-Publikum auf Familien-Ausflug trifft.

Keine Frage, die „Taugenichts“-Tour ist ein Konzertevent, bei dem wirklich alle willkommen sind. Das steckt nicht allein in den Zeilen des namengebenden Tracks, sondern schlägt sich zugleich in der entspannten wie losgelösten Atmosphäre nieder: Trotz ausgeprägter Feierlaune nimmt man im Zenith aufeinander Rücksicht, um genau das zu verhindern, was ALESTORM-Frontmann Christopher Bowes am Vortag der Tour widerfahren ist.


ALESTORM

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Selbiger stürmt nämlich um Viertel nach sieben im eher ungewohnten Look die Bühne. Dabei sind es weder die Sandalen noch der grün-schwarz-karierte Kilt, der uns stutzig werden lässt, sondern die blaufarbene Schlinge um die Schulter. Dass ein gebrochener Arm den umtriebigen Frontmann nicht zur Absage zwingt, verdient selbstverständlich besondere Anerkennung, die sich ALESTORM in der folgenden Stunde aber auch anderweitig erarbeiten.

Dank des hitgespickten Sets – für gewöhnliche bastele man die Setlist einfach aus den 15 meistgespielten Tracks auf Spotify zusammen, witzelte Bowes in der Vergangenheit -, dauert es ohnehin nicht lange, die feucht-fröhliche Menge auf die eigene Seite zu ziehen. Die folkigen Klänge von „Keelhauled“ gehen direkt nach vorne, bevor im nicht minder tanzbaren „The Sunk’n Norwegian“ die Bierbecher in die Luft gereckt werden. „One more drink!“, fordern Band wie Zuschauerschaft dabei im Chor, wohlwissend, dass es im Laufe des Abends wohl nicht bei dem einen Glas bleiben wird.

Selbst ein gebrochener Arm kann ALESTORM die Partylaune nicht nehmen

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Dafür ist das Material ALESTORMs schlicht zu aufrüttelnd, selbst wenn es mal ausnahmsweise nicht allein um Alkoholkonsum und dessen Folgen geht. Am Ende des Tages kommen die Schotten aber ohnehin immer auf ihr Lieblingsthema zurück, das sie in „Under Blackened Banners“ auch mal als flotte Piratenhymne verpacken, bei welcher es sich Frontmann Bowes trotz körperlicher Einschränkung nicht nehmen lässt, ein flottes Keytar-Solo zum Besten zu geben. Hilfe kommt dabei vom Roadie, der freundlicherweise das Instrument per Kniefall präsentiert – selbst in einer Ausnahmesituation muss es also kein Backing-Track sein.

Zwischen überdimensioniertem Quietsche-Entchen als Bühnendeko und einem Gastrapper im Haifisch-Kostüm („Hangover“) bleibt trotz des leicht matschigen Sound-Mix also wenig zu meckern: ALESTORM packen zwischen ihre großen Hits wie „Drink“ oder dem kunterbunt ausgeleuchteten „P.A.R.T.Y.“ mit „Walk The Plank“ und „Pirate Song“ sogar ein Paar Raritäten für die eingefleischte Fangemeinde, welche natürlich auch das abschließende Ritual mit passioniertem Eifer zu begehen weiß. Die gereckten Mittelfinger in „Fucked With An Anchor“ sind zum Ende hin quasi Ehrensache, bevor ALESTORM mit der clever gewählten Outro-Musik einen weiteren Volltreffer landen. Den „Ducktales“-Titelsong singen die Münchner:innen bei so viel Adrenalin im Blut natürlich ebenso lauthals mit wie die vorherigen Eigenkompositionen der Band.

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ALESTORM Setlist – ca. 55 Min.

1. Keelhauled
2. No Grave But The Sea
3. The Sunk’n Norwegian
4. Walk The Plank
5. Under Blackened Banners
6. Hangover
7. Mexico
8. P.A.R.T.Y.
9. Pirate Song
10. Shit Boat (No Fans)
11. Drink
12. Zombies Ate My Pirate Ship
13. Fucked With An Anchor

Fotogalerie: ALESTORM


SALTATIO MORTIS

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Diesen Schwung im Anschluss mitzunehmen gerät für SALTATIO MORTIS erwartungsgemäß zur leichtesten Übung, schließlich halten die Fans die Stimmung während des halbstündigen Changeovers selbständig am Brodeln. Ähnlich wie in der nahegelegenen Allianz Arena dirigiert ein Einheizer die Fangesänge der Meute, wenn nicht gerade ein Genre-Klassiker aus den Lautsprechern zum Mitsingen animiert. Als dann endlich die Lichter ausgehen und Frontmann Alea vor dem hochgezogenen Vorhang das Tour-Motto a cappella anstimmt, ist die elektrisierende Atmosphäre förmlich zu spüren.

Dass dabei – glücklicherweise nur in den ersten Minuten der Show – noch nicht jeder Ton des Frontmanns perfekt sitzt, ist mit dem im Flitterregen fallenden Tuch schnell vergessen. Denn der dort aufgedruckte Regenbogen-Banner weicht einer nicht minder farbenfrohen und durchaus imposanten Bühne. Auf zwei Stockwerken verteilen sich SALTATIO MORTIS, wobei die Rhythmussektion im Hintergrund die beste Aussicht zu genießen scheint. Während davor Falk, El Silbador und Luzi das L die Ethno-Instrumente bedienen, ist die vordere Sektion zunächst ganz Alea vorbehalten. Aus gutem Grund, denn der Sänger fegt pausenlos über die Bühne und setzt dabei auch zur einen oder anderen akrobatischen Sprungeinlage an.

Bei SALTATIO MORTIS steht bald sogar der Bühnensteg in Flammen

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Die Energie, die uns entgegenschwappt, ist geradezu ansteckend, zumal die Band nach dem eröffnenden „Taugenichts“ mit dem Evergreen „Wo sind die Clowns?“ einen todsicheren Hit nachlegt. Ein cleverer Schachzug, der ein ekstatisches Zenith zur Folge hat, das eifrig klatscht, singt und tanzt, als gäbe es kein Morgen mehr. Dabei nehmen sich Jung und Alt freilich nichts: Selbst der rund zehnjährige Metal-Nachwuchs zu unserer Rechten wirft in „Ich werde Wind“ ausgelassen die Arme nach oben.

Die gute Stimmung bleibt auch den Musikern auf den Brettern nicht verborgen: Tatsächlich muss Frontmann Alea nach einer guten Viertelstunde gar um etwas Mäßigung bitten. So sehr man die zahlreichen Crowdsurfer zu schätzen weiß, sei im Folgenden doch etwas Vorsicht geboten – im Graben werde es nämlich jetzt ein paar Grad wärmer. Zu viel versprochen hat der Sänger dabei nicht, als in „Loki“ und dem starken „Satans Fall“ dicke Flammensäulen emporschießen. Das Auge fürs Detail fehlt derweil auch hier nicht: Als Alea im Refrain des Letzteren den Weg nach vorne sucht, steht kurz darauf sogar der Bühnensteg in Flammen.

SALTATIO MORTIS setzen auf abwechslungsreiche Schauwerte

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Dass die komplette Show in diesen Anfangsminuten nicht nur abwechslungsreich, sondern auch perfekt durchgetaktet wirkt, hat einen guten Grund. Immerhin nehmen SALTATIO MORTIS heute Abend eine neue Konzert-DVD/-BluRay auf – eine relativ spontane Entscheidung, wie wir bald darauf erfahren sollen. Sicherlich nicht das schlechteste Wagnis, immerhin machen sich Showelemente wie der simulierte Schneefall in „Brunhild“ auch auf dem heimischen Bildschirm ganz bestimmt hervorragend. Zumal das Publikum ohnehin bereitwillig mitzieht und gerne mit Alea das Traditional „My Mother Told Me“ anstimmt, während fleißige Hände im Hintergrund die Bühne für den zweiten Akt vorbereiten.

Mit zusätzlichen Backdrops, Glow-In-The-Dark-Verzierungen und neonfarbenen Trommeln wird im Folgenden selbst ein eher unspektakulärer Song wie „God of War“ zum Live-Erlebnis. Dabei scheint diese Phase der Show nur dem Übergang zu dienen, denn schon im von „The Elder Scrolls“ inspirierten „Pray To The Hunter“ fallen unter lautem Knall die gerade noch hochgezogenen Bühnenelemente und geben den Blick auf eine durchaus stattliche Video-Installation frei.

Erst wird im Zenith gerudert, bevor Sänger Alea ein Bad in der Menge nimmt

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Zwischen klassischen Fantasy-Szenen und später auch modernen Bildern ringen die LED-Tafeln erfolgreich um einen Teil unserer Aufmerksamkeit, obgleich natürlich die Formation selbst weiterhin die Hauptattraktion stellt. Ob nun El Silbador und Luzi das L mit ihrem Dudelsäcken einen kurzen Ausflug an den Bühnenrand wagen oder Alea im Schein der Feuerschalen die Münchner:innen in „My Mother Told Me“ zum Rudern animiert: Im Zenith frisst man der Band bereitwillig aus der Hand und zückt selbst für den deplazierten Schlagersong „Heute Nacht“ gerne die Smartphone-Leuchten.

Bei all diesem Trubel vergessen SALTATIO MORTIS aber keineswegs die Freude an der Sache. So greift Sackpfeifenspieler Luzi das L zwischendurch selbst zum Laubbläser, um mit einem breiten Grinsen das Konfetti von der Bühne zu pusten, während sein Frontmann das folkige „Rattenfänger“ auf den Händen der Zuschauerschaft zum Besten gibt und schließlich mit einem Souvenir auf die Bretter zurückkehrt. Das etwas zweideutig geformte Luftballon-Schwert passt zur Laune der Münchner:innen an diesem Abend, die während der zweistündigen Show eine ganze Menge Kardiotraining zu absolvieren haben.

Im letzten Viertel setzen SALTATIO MORTIS vor allem auf Party-Songs

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Nicht nur springt die Halle in „Mittelalter“ Arm-in-Arm von links nach rechts, auch die erste Zugabe „Alive Now“ stellt mit einem Sprung aus der Hocke sowie anschließendem Circle Pit das Fitness-Level der eigenen Fangemeinde auf die Probe. Dass Fronter Alea höchstpersönlich seine Runden mit der Menge dreht, dürfte hier und da natürlich Ansporn genug sein, nicht vorzeitig das Handtuch oder zumindest T-Shirt zu werfen.

Letzteres brauchen wir nämlich im Anschluss für das flotte „Gardyloo“, wo allerorts überschüssige Textilien über den Köpfen kreisen. Es ist unweigerlich auch ein Sinnbild der musikalischen Ausrichtung der Band im Jahr 2023, wo seichte Party-Hymnen wie „Keine Regeln“, „Hypa Hypa“ oder eben die genannten „Gardyloo“ und „Alive Now“ den dramaturgischen Höhepunkt der Setlist bilden. Das kommt in München zwar sichtbar gut an, lässt aber ausgerechnet die alteingesessenen Anhänger:innen etwas außen vor: Aus den goldenen Jahren, die SALTATIO MORTIS vom Geheimtipp zum ernstzunehmenden Mitstreiter im Mittelalter Rock geformt haben, verbleibt nur noch ein Song im Set.

So sehr sich SALTATIO MORTIS über die Jahre gewandelt haben, bleiben sie doch eine packende Live-Band

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Der abschließende „Spielmannsschwur“ vom Opus magnum „Aus der Asche“ (2007) ist auch 14 Jahre später im Münchner Zenith noch ein festes Ritual, mit dem die Formation die treue Gefolgschaft in die kalte Nacht entlässt. Ein wohliger Gruß aus der Vergangenheit, aber auch eine Art Relikt zwischen den quietschbunten Disco-Songs, die nun das Set dominieren. Immerhin – und das hat sich seit dem damaligen Gastspiel in der kuscheligen Backstage Halle nicht geändert – sind SALTATIO MORTIS auch heute noch eine weitestgehend packende und vor allem passionierte Live-Band.

SALTATIO MORTIS Setlist – ca. 120 Min.

1. Taugenichts
2. Wo sind die Clowns?
3. Schrei nach Liebe/Große Träume
4. Ich werde Wind
5. Loki
6. Satans Fall
7. Odins Raben
8. Brunhild
9. God of War
10. Heimdall
11. Drunken Sailor
12. Pray To The Hunter
13. My Mother Told Me
14. Rattenfänger
15. Heute Nacht
16. Mittelalter
17. Seitdem du weg bist
18. Hypa Hypa
19. Keine Regeln
20. Für immer jung
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21. Alive Now
22. Gardyloo
23. Spielmannsschwur

Fotogalerie: SALTATIO MORTIS

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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