JEB LOY NICHOLS, JASON COLLETT: Geislingen, Rätsche im Schlachthof, 20.05.2006

In der Ruhe liegt die Kraft…

Schubladenfetischisten aufgepasst! Wer bei JEB LOY NICHOLS und JASON COLLETT gleich mit einem lauten „Oh je – New Americana“-Aufschrei das Weite sucht, verpasst eine Performance, die alles andere als weichgespülte Folk-Romantik mitbringt.

Jeb Loy Nichols mag noch von seiner Arbeit mit den Fellow Travellers in den 90er Jahren im Gedächtnis geblieben sein. Schon seit geraumer Zeit wandelt der amerikanische Gitarrist und Sänger allerdings auf Solopfaden. In Geislingen ist er tatsächlich mutig genug, um mit einem nur dreiköpfigen Line-up anzutreten. Zusammen mit Jennifer Carr (Fender Rhodes, Gesang) und Andy Hamill (Bass) stellt Jeb Loy Nichols (Gesang, Akustikgitarre) filigrane Arrangements in den Raum, die durch ihr Unplugged-ähnliches Format schnell zur Gratwanderung werden.

Um es kurz zu machen: wahrscheinlich wäre ein echtes Solo-Set durchschlagender gewesen. Natürlich – Nichols vermag mit kerniger Stimme, guter Technik und merklichem Erfahrungshorizont wie erwartet zu überzeugen. Auch sein junger Bassist überwindet trotz offenkundiger Schüchternheit einige Stolperfallen und agiert zumindest auffällig unauffällig. Doch Jennifer Carr macht einen ordentlichen Strich durch die Rechnung. Die zweite Stimme bröckelt häufig weg und auch der Beat scheint für sie mitunter ein Buch mit sieben Siegeln darzustellen. Schade.

Mit Jason Collett steht einer der Hoffnungsträger der zeitgenössischen Musikoffensive auf der Bühne. Der Gitarrist des kanadischen Indie-Kollektivs Broken Social Scene liefert mit seinem ersten echten Alleingang „Idols of Exile“ (nach der Compilation „Motor Motel Love Songs“) ein intelligentes Set alten Schlages ab. Der Ausgangspunkt hierfür liegt irgendwo zwischen Bob Dylan, Tom Petty und George Harrison. Garniert mit einer gehörigen Portion lässiger Coolness und durch die überragende Band Paso Mino unterstützt, wirkt Colletts Soundtrack zum Leben auch live. Die Songs bleiben kantig, nicht gerade genretypisch und vor allem alles andere als seicht.

JASONIm sachlich-ruhig vorgetragenen „Pink Night“ bedient sich Collett – wie so häufig – einer deutlichen Sprache („I love it when my girlfriend calls me a cock sucking faggot“), während er eines dieser öden Wochenenden schildert, die man durch Trinken und zwischenmenschliche Kontakte letztlich auch nicht retten kann. Seine Musik lebt genau von diesen ungeschönten Momenten. So auch „Brownie Hawkeye“, in dem er augenzwinkernd seine bierlaunige Gammelei vor dem örtlichen Shoppingcenter (gewidmet allen „die ebenfalls ihre Jugend verschwendet haben…“) porträtiert. Die Schnappschüsse wirken also: sei es in „Hangover Days“, dass tatsächlich sehr folklastig an die Tür klopft, oder in „No Redemption“, das – bitte tief einatmen – mit Country-Momenten aufwarten kann. Man darf noch Großes von diesem Mann aus Kanada erwarten.

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