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DARK TRANQUILLITY, MOONSPELL, WOLFHEART, HIRAES: Konzertbericht – Backstage Werk, München – 07.11.2024

Altes, Neues, Unverzichtbares und auch Überraschendes: DARK TRANQUILLITY versprechen auf der „Endtime Signals“-Tour genau das und liefern sogar noch etwas mehr: Mit dabei haben die Göteborger schließlich ein außerordentlich starkes Vorprogramm.

Von Allem etwas wird DARK TRANQUILLITY-Sänger Mikael Stanne zu Beginn des Headline-Sets versprechen: Altes, Neues, Obskures – in über drei Dekaden Bandgeschichte hat sich eben eine ganze Menge Stoff angesammelt. Eines allerdings wird heute Abend überproportional viel geboten: Mit WOLFHEART und dem Opener HIRAES dominiert ganz klar der Melodic Death Metal das Line-up. Als Hahn im Korb wollen wir MOONSPELL dennoch nicht bezeichnen, immerhin sind die Gothic-Metal-Veteranen ihrerseits keine Unbekannten, wenn es um die härtere Gangart geht.

Für uns ist der Sachverhalt indes ganz einfach: Wir wollen keine Minute des Tourpakets verpassen, weshalb wir diesmal überpünktlich vor den Toren des Kulturzentrums stehen, wo sich bereits eine kleine Schlange um das Areal formiert hat. Der Einlass verläuft allerdings zügig, weshalb schon um kurz nach sechs die erste kleine Menschentraube vor dem Merchandise erst die Textilwaren und dann verdutzt die Preisschilder begutachtet: Gesalzene 40,-€ ruft das Tour-Paket kollektiv für ihre T-Shirts auf, weshalb nicht nur unsere Geldbörse doch lieber in der Jackentasche verweilen darf. Trüben soll das die Laune aber genauso wenig wie der kurzfristig verschobene Showbeginn, der am Ende dann doch erst um 19:00 Uhr mit Verspätung den Reigen einleiten darf.


HIRAES

Hiraes live in München 2024

Aus der spärlichen tiefblauen Beleuchtung macht Britta Görtz direkt eine Tugend: Als die Shouterin mit der linken Hand die klassischen Hörner formt, springen uns die neonfarben lackierten Fingernägel geradezu ins Auge. Es ist vielleicht im großen Ganzen ein unscheinbares Detail, unterstreicht jedoch, wie sehr selbst HIRAES als Anheizer um ein stimmiges Gesamtpaket bemüht sind.

Wohl auch deshalb fliegen im Rücken der Frontfrau die Mähnen der Rhythmussektion in perfekter Harmonie, während Görtz als Fixpunkt die Kommunikation mit der Hörerschaft sucht. Die Chemie jedenfalls scheint zu stimmen, wie sich nach dem flotten Auftakt „Through The Storm“ herauskristallisiert: Der Empfang fühle sich „nicht an wie [bei] eine[r] Supportband“, fügt die Sängerin hinzu, um umgehend daraus Kapital zu schlagen.

Für „Undercurrent“ verlässt HIRAES-Sängerin Britta Görtz die Bühne

Hiraes live in München 2024

Die Fäuste reckt das gut gefüllte Backstage zu „About Lies“ gerne, hat auch in „Under Fire“ sichtlich seinen Spaß und zeigt in „We Owe No One“ vereinzelt gar etwas Körpereinsatz. Dass Britta Görtz im Anschluss die erste Hälfte des getragenen „Undercurrent“ auf einem Podest nahe dem Mischpult bestreitet, ist eine nette Idee, die jedoch nicht so recht Früchte tragen will – auf beengtem Raum kommt die sonst starke Präsenz der Musikerin schlicht nicht zum Tragen. Schlussendlich ist das jedoch keine große Sache: HIRAES hätten wir trotz des frühen Slots und wegen des starken Materials gerne noch ein bis zwei Songs länger zugehört.

HIRAES Setlist – ca. 30 Min.

1. Through The Storm
2. About Lies
3. Under Fire
4. We Owe No One
5. Undercurrent

Fotogalerie: HIRAES


WOLFHEART

Wolfheart live in München 2024

Wie wir es vom DARK TRANQUILLITY-Tourtrupp mittlerweile gewohnt sind, läuft das Programm im engen Takt: Gerade mal eine Viertelstunde später stehen bereits WOLFHEART auf der Bühne, die wie der Headliner ein neues Album im Gepäck haben. Mit ganzen drei Tracks bildet „Draconian Darkness“ (2024) folglich auch das Rückgrat des Sets, das zudem keine Gelegenheit auslässt, die Finnen in bestmöglicher Verfassung zu präsentieren.

Der Soundmix ist kraftvoll doch klar genug, um die Melodieläufe und Soli von „Zero Gravity“ in Szene zu setzen, wohingegen die dekorativen Geweihe der drei Mikroständer tatsächlich den kleineren Teil der imposanten Bühnenpräsenz darstellen. Besonders Gitarrist Vageliss Karis tritt mit beeindruckendem Selbstverständnis auf, indem er etwa nach „Burning Sky“ durch ein paar Trommelschläge auf die eigene Brust klarmacht, wer hier die Hosen anhat.

WOLFHEART-Sänger Tuomas Saukkonen überrascht mit ein paar humorvollen Worten

Wolfheart live in München 2024

Das Rampenlicht wiederum teilt sich der Hüne gerne mit Kollege und Mastermind Tuomas Saukkonen, den wir heute mit geschätzt drei geäußerten Sätzen als überaus gesprächig wahrnehmen. Die beste Crowd der Tour stehe ihm gerade gegenüber, lässt er uns sodann wissen – ein cleverer Schachzug, denn frisch in der Bringschuld revanchiert sich das Münchner Publikum für „Evenfall“ direkt mit einem kleinen Pit.

Sogar ein wenig nordischen Humor hat uns der Sänger mitgebracht: Nach dem stampfenden „The King“ sei für das abschließende „Grave“ ein „menschlicher Ventilator“ vonnöten, um die steigenden Temperaturen im Backstage herunterzukühlen. Nicht mehr als eine Rotationsgeschwindigkeit von 80km/h hätten Saukkonens Berechnungen ergeben – ein Wert, den die Münchner im Circle Pit zwar nicht ganz erreichen, ihr Bestes geben sie aber zweifellos, wie ein Blick ins Getümmel zeigt.

WOLFHEART Setlist – ca. 35 Minuten

1. Strength And Valor
2. Zero Gravity
3. Burning Sky
4. The Hunt
5. Evenfall
6. The King
7. Grave

Fotogalerie: WOLFHEART


MOONSPELL

Moonspell live in München 2024

Genretechnisch tanzen MOONSPELL vielleicht aus der Reihe, auf den Rückhalt des Publikums können die Portugiesen dennoch zählen. Möglicherweise liegt das heute Abend auch an der Songauswahl, die sich weitgehend auf die eigenen Klassiker beschränkt: Allein die ersten beiden Alben stellen rund die Hälfte des Sets. Das kommt in München ähnlich gut an wie auf dem SUMMER BREEZE 2024, zumal das Eröffnungsdoppel „Opium“ und „Awake“ die richtige Balance aus Pathos und Power findet.

Die gesampelten Streicher schenken Letzterem Opulenz, während Sänger Fernandos charismatische Stimme den Rest erledigt. Mit bedeutungsschwangeren Gesten und seiner sympathisch-direkten Art klappt die Kommunikation des Frontmanns mit seinen Fans auch ohne langwierige Reden. Für den entsprechenden Motivationsschub sorgt überdies das kompromisslose „Finisterra“ für das Keyboarder Pedro kurzzeitig zur Gitarre greift, um mit energischem Riffing den Pit anzuheizen.

MOONSPELL setzen auf ihre Klassiker und fahren damit ausgezeichnet

Moonspell live in München 2024

Ansonsten finden wir den Musiker meist hinter den Tasten wieder, wo er in geradezu eleganter Weise die Hüften schwingt. Routiniert und trotzdem voller Spielfreude reihen MOONSPELL einen erprobten Hit an den nächsten, bis der in Nationalfarben ausgeleuchtete Evergreen „Alma Mater“ auch im Backstage Werk lauthals mitgesungen wird. Gewidmet hatte Sänger Fernando Ribeiro die Hymne kurz zuvor den hier ansässigen portugiesischen Fans, welche sich im Handumdrehen durch vollen Einsatz revanchieren.

„Full Moon Madness“ als letztes Ritual wird somit zum Siegeszug, den das Quintett aber als Gemeinschaftserfolg betrachtet: Bevor MOONSPELL die Bühne räumen, bedankt sich Gitarrist Ricardo per Handschlag bei den textsicheren Anhänger:innen an der Absperrung.

MOONSPELL Setlist – ca. 55 Min.

1. Opium
2. Awake
3. Love Crimes
4. Extinct
5. Night Eternal
6. Finisterra
7. Everything Invaded
8. Breathe (Until We Are No More)
9. Alma Mater
10. Full Moon Madness

Fotogalerie: MOONSPELL


DARK TRANQUILLITY

Dark Tranquillity live in München 2024

Für einen Handschlag ist auch Mikael Stanne jederzeit zu haben. Vielleicht ist es die Euphorie, mit der DARK TRANQUILLITY im Backstage Werk empfangen werden, die den Frontmann dazu veranlasst, den Fans schon während des Openers die Hand zu reichen. Fakt ist jedoch, dass sich die Göteborger in den vergangenen Jahren zusehends in das Herz der bayerischen Landeshauptstadt gespielt haben, sodass die Melodic-Death-Metal-Innovatoren nun erstmals – so kommuniziert es die Formation im Nachhinein – vor ausverkauftem Haus spielen.

Den neu errungenen Status trägt das Sextett zudem anderweitig zur Schau: Anstelle der bislang üblichen Leinwandprojektionen sorgen nun LED-Tafeln inmitten einer Rückwand aus dutzenden Scheinwerfern für gestochen scharfes Bild. So gelungen die Visuals aber sein mögen, wandert unser Blick immer wieder in die Hallenmitte, wo es in der Arena schon früh zur Sache geht. Der erste Pit formiert sich bereits zu „Nothing To No One“, bevor DARK TRANQUILLITY im forschen „Unforgivable“ das Tempo anziehen.

Selbst DARK TRANQUILLITY können auf manche Hits kaum verzichten

Dark Tranquillity live in München 2024

Neues, Altes und etwas Obskures hat Sänger Mikael Stanne kurz zuvor in Aussicht gestellt, um an der Seite seiner Kollegen dieses Versprechen umgehend zu realisieren. Mit dem starken „Hours Passed In Exile“ folgt nicht nur ein Klassiker, sondern einer unserer persönlichen Favoriten, bevor die Band mit „The Dark Unbroken“ einen weniger offensichtlichen Track aus dem Ärmel schüttelt. Hier lädt uns der warme Klargesang Stannes nach „Wayward Eyes“ ein weiteres Mal zum Schwelgen ein – eine klug gesetzte Zäsur, bevor das Gaspedal erneut Bodenblech spürt.

Mit einer derart umfassenden Diskografie stehen DARK TRANQUILLITY für gewöhnlich vor der Qual der Wahl. Ein Hit wie „Final Resistance“ darf dennoch meist nicht fehlen, allein weil es in der Halle dann zwischen gereckten Fäusten und Getümmel im Pit kaum noch ein ruhiges Fleckchen gibt. Auffallend ist dabei, dass die Schweden ihre Fans eigentlich zu keinem Zeitpunkt bitten müssen: Geklatscht, gejubelt und gesungen wird auch ohne Aufforderung, wenn die Gruppe todsicheres Material wie „Atoma“ oder das immer wieder aufs Neue packende „Therein“ anstimmt.

Routiniert und doch spielfreudig: DARK TRANQUILLITY lassen keine Längen zu

Dark Tranquillity live in München 2024

Auch wenn sich der eine oder andere Track in den vergangenen Jahren hartnäckig im Set halten konnte, sind Abnutzungserscheinungen nicht auszumachen. Dafür zeigen sich DARK TRANQUILLITY schlicht zu spielfreudig und motiviert. Johan Reinholdz lässt die Finger nicht nur für die schnellen Riffs routiniert übers Griffbrett fliegen, auch die eingestreuten Soli zelebriert der Gitarrist gemeinsam mit den Zuschauer:innen. Bei aller Routine wirkt die Reaktion der Musiker über die Begeisterung im Backstage doch authentisch, insbesondere weil Mikael Stanne diesmal nicht minutenlang im Applaus badet, sondern für den richtigen Zug im Set sorgt.

Zwischen neuem Material à la „Our Disconnect“ und der Rarität „Empty Me“, die man erstmals für die Überraschungsshow auf dem SUMMER BREEZE 2024 ausgegraben hatte, kommt es so zu keinerlei Längen. Selbst die Pause vor der geplanten Zugabe halten DARK TRANQUILLITY erfrischend kurz, um schließlich mit drei Live-Krachern auch die letzten Energiereserven aus uns herauszuholen. Persönlich würden wir dem finalen „Misery’s Crown“ zwar eine kleine Live-Pause durchaus gönnen, die springende Meute in der Mitte liefert allerdings ein paar Dutzend gute Gründe, weshalb das wohl auch in absehbarer Zukunft nicht passieren dürfte.

DARK TRANQUILLITY ernten die Früchte ihrer Arbeit

Dark Tranquillity live in München 2024

Wohlverdient ist diese Reaktion ohnehin, dürfen DARK TRANQUILLITY doch nun auch abseits der großen Open-Air-Bühnen endlich die lang überfälligen Früchte ihrer Arbeit ernten. Dass damit wohl auch das überteuerte Merchandise und optionale VIP-Pakete einhergehen, können wir zähneknirschend akzeptieren, solange wir im Gegenzug mit einer Show entlohnt werden, die selbst nach so vielen Jahren noch so kurzweilig wie erfüllend wirkt.

DARK TRANQUILLITY Setlist – ca. 90 Min.

1. The Last Imagination
2. Nothing To No One
3. Wayward Eyes
4. Unforgivable
5. Hours Passed In Exile
6. The Dark Unbroken
7. Final Resistance
8. Cathode Ray Sunshine
9. Atoma
10. Shivers And Voids
11. Not Nothing
12. Empty Me
13. Our Disconnect
14. Phantom Days
15. Therein
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16. The Wonders At Your Feet
17. Lost To Apathy
18. Misery’s Crown

Fotogalerie: DARK TRANQUILLITY

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)