Ich gestehe, es verging einige Zeit, bis ich mich dem Interview mit MESHUGGAH widmen konnte, das bereits vor ihrer Europatour stattfand. Nichtsdestotrotz ist es mehr als verblüffend, was Schlagzeuger Tomas Haake über das neueste Wahnsinnswerk der schwedischen Ausnahmeformation erzählte, das im Nachhinein aus einem ganz anderen Licht erstrahlte. Der witzige und sympatische Schwede erläuterte im Detail, was an den Aufnahmen und der Arbeitsweise besonders war, und hinterließ den Eindruck als sei Alzheimer in Stockholm eine weitverbreitete Krankheit. Doch lest selbst.
Zunächst, „Catch 33“ ist verdammt verrückter Stoff. Ein Konzeptalbum bestehend aus einem Song, der in dreizehn Tracks unterteilt ist, ist nun wirklich ungewöhnlich, selbst für eure Verhältnisse.
Es gibt dreizehn Kapitel, sie wurden auch betitelt, aber wirkliche Songs stellen sie nicht dar. Das sollte jedem klar sein, der „Catch 33“ bisher gehört hat.
Für mich stellt euer neues Album eine Eskalation ins Obskure da. Für MESHUGGAH-Verhältnisse beginnt das Werk recht unspektakulär und enttäuschend, wird mit zunehmender Dauer – spätestens in „Re-Inanimate“ – geradezu beängstigend.
(lacht) Ja, ich kann das vollkommen nachvollziehen, viele waren am Anfang verschreckt von dem neuen Material. Es gibt lange Passagen zu hören, vieles basiert auf Kontinuität. Es ist untypisch für MESHUGGAH, denn hier wird nicht alles Mögliche in einen fünfminütigen Song gepackt. Jedes Riff braucht seine Zeit um wirklich zu funktionieren. Hier geht es eher um die Atmosphäre, den Vibe, als um Komplexität.
Also geht es weniger um Technik, mehr um das Feeling?
Ja, das kann man so sagen.
Viele Fans werden die schnellen Passagen vermissen.
Das auf jeden Fall. Das Album gab es wie jedes heutzutage schon lange vor der Veröffentlichung im Internet, und in einigen Diskussionsforen habe ich bereits gelesen, dass sich einige Fans daran sehr gestört haben. Doch je öfter sie das Album hören, desto mehr verstehen sie uns, dass wir versuchen anders heranzugehen und etwas Anderes zu erschaffen. Das respektieren sie, da es ja zweifellos nach MESHUGGAH klingt.
Ich empfinde das Album als extrem heavy, wie eine Mischung aus „Nothing“ und „I„.
Puh, das ist schwer zu beurteilen, da wir ja nicht auf Teufel komm raus heavy klingen wollten. Das kam ganz natürlich. Wenn wir Musik schreiben, diskutieren wir im Vorfeld nicht, wie es klingen soll, ob das Material schneller oder langsamer, verfrickelt oder heavy sein soll.
Kommt diese Heaviness vielleicht durch die sich hypnotisch wiederholenden Riffs, die den Hörer nach und nach erdrücken?
Ich sehe das schon so, aber ich weiß nicht, ob das Material erst dadurch so schwer wird oder ob es auch mit weniger Wiederholungen so wirken würde. Aber ich denke schon. Auch da in einem langsamen Song mehr Platz für verschiedene Nuancen ist, so dass sich verschiedene Aspekte ergeben – bei schnellem Stoff geht das nicht so ohne Weiteres. Als wir wussten, was wir mit diesem Album erreichen wollten, kam es ganz automatisch, dass wir die Geschwindigkeit drosselten.
Nach welcher Regel habt ihr das Album in die verschiedenen Tracks gesplittet?
All das kam erst ganz spät. Wir wollten „Catch 33“ ursprünglich als einen Track veröffentlichen, aber nach ein paar Auseinandersetzungen mit der Plattenfirma haben wir uns breitschlagen lassen, dreizehn Tracks daraus zu machen. So gesehen ist das auch nicht ganz so schlecht, wenn ein Fan eine Lieblingspassage hat, muss er nicht manuell vorspulen, das wäre doch ein wenig viel verlangt. Aber eine Regel für das Splitting gibt es eigentlich nicht. Dieses Album beinhaltet ganz klar ein großes Stück Musik, daher sollte man es auch von Anfang an hören.
Wenn man das Album nicht von Anfang an hört, dauert es auch länger hineinzukommen. Da will es dann nicht mehr so recht wirken.
Das kann ich nachvollziehen. Überhaupt dauert es für unsere Verhältnisse lange, bis man sich mit dem Album anfreunden kann, aber wir kennen so etwas aus eigener Erfahrung als Konsumenten: Diese Alben haben viel höhere Langzeitwirkung. In unserem Fall erschweren es die verschiedenen Levels, die einen erwarten, und dass sich die Musik so aufbaut. Man kann beim ersten Hören nicht erwarten das alles zu verstehen oder alles zu realisieren was passiert.
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Das Cover der „I“-EP |
So etwas bietet auch die EP „I„, die ihr vor nicht allzu langer Zeit veröffentlicht habt. Allerdings wirkt es auf mich komprimierter als „Catch 33„. Wenn ich mir die EP übrigens mal wieder dreimal am Stück anhöre, fühle ich mich wie in einem 5 x 5 x 5 Meter großem Raum und ich werde von einem Eck ins andere geschleudert.
(lacht) Das ist gut! Aber ernsthaft, klar gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen Arbeiten, aber so gesehen bestehen sie lediglich darin, dass beides im Endeffekt ein langer Song ist. Stilistisch gesehen gibt es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten, „I“ gibt durch seine Geschwindigkeit vielleicht einen größeren oder eher anderen Adrenalinschub als „Catch 33„. Zumindest „I“ hat vom Songwriting her große Unterschiede zu bieten, manche Riffs klingen fast schon nach old-school Thrash Metal – oder einer MESHUGGAH-Version dessen. Aber „Catch 33“ ist viel moderner, wir beschritten einen völlig neuen Weg Riffs zu schreiben. Überhaupt ist es in einem größeren Sinn ein absolutes Gitarrenalbum, denn manches, was auf dem Album steht, ist fast schon unmöglich zu lernen, und das zu proben für die Tour, wenn wir einen etwa zehnminütigen Auszug spielen werden, ist fast schon lächerlich schwierig. Marten (Hagström – Gitarrist, Anm. d. Verf) und Fredrik (Thordendahl – Gitarrist, Anm. d. Verf.) üben wie verrückt um das zu lernen. Es liegt nicht am technischen Aspekt, es geht eher darum sich an die Details zu erinnern. Aber es geht gut voran, hoffentlich kommt das auch live cool.
Apropos: Was sagt ihr zur Europa-Tour?
Ganz klar, es war viel zu lange, dass wir in Europa nicht getourt haben. Wir sollten uns dafür schämen, immerhin haben wir eine gute Booking-Agentur hier, es ist nicht wirklich schwer an Tourpartner und Clubs zu kommen, aber die Staaten liefen bisher einfach besser. Unsere Alben verkaufen sich dort besser und wir können mit wirklich großen Bands touren. Auf der anderen Seite können wir nicht erwarten, dass sich die Verkäufe in Europa bessern, wenn wir uns da gar nicht blicken lassen.
Zurück zum Album. War das Solo-Album „Sol Niger Within“ von Fredrik Inspiration „Catch 33„?
Das würde ich nicht so sehen, denn die Idee, ein derartiges Album zu schreiben, existiert schon seit mehr als zehn Jahren in unseren Köpfen. Viel mehr ist es ja umgekehrt und Fredrik war von der Idee des Kollektivs inspiriert. Aber das ist wirklich egal, wer wen inspirierte, die Idee besteht seit langem und wir mussten die richtige Gelegenheit abwarten das Album zu schreiben. Es ist nicht wirklich Livematerial und wir müssen dennoch einen Auszug daraus spielen, da uns die Leute sonst durchdrehen. Aber es ist schwer einen Auszug daraus zu finden, der die gesamte Bandbreite des Albums widerspiegelt. Jedenfalls momentan – wir wissen momentan nicht wie viel wir in der nächsten Zeit touren werden und auch wenn es schwierig ist, es ins Set zu integrieren, jetzt ist die richtige Gelegenheit dazu. Wir wissen momentan nicht, ob wir überhaupt dafür in den Staaten touren, es ist gut möglich, dass wir nach der Europatour direkt ins Studio gehen und beginnen den Nachfolger zu schreiben.
Was ich wirklich an dem Album mag, ist wie ihr mit der Stimme in „Mind´s Mirrors“ spielt. Es klingt fast schon gefühlvoll, was für MESHUGGAH doch eine Innovation darstellt.
Hier kommen wir wieder auf den Vibe zu sprechen, den wir zum Leben erwecken wollen. Ich denke, das Album wird durch solche Parts am Leben erhalten und spiegelt unseren Willen zur Entwicklung wider. Wenn du ins Studio gehst und fühlst, dass du tun kannst was du willst, weil du eh nicht vor hast das Material live zu spielen, wirkt es sehr befreiend. Dann findet man coole Effekte und Sounds, aber gleichzeitig wird es sehr schwierig, immerhin darf der Gesamteindruck nicht verloren gehen.
Textlich ist es wieder einmal schwierig „Catch 33“ einzuschätzen. Wird hier eine Person wahnsinnig? Oder dreht es sich um die Suche nach dem Inneren?
So kann man es nicht sehen, aber dennoch hast du mit beiden Punkten recht. Es ist wirklich schwer das zu bestimmen, einerseits spiegeln die Texte die Musik wider, andererseits geht es darum wie die Texte geschrieben sind. Der Titel symbolisiert Paradoxen und Widersprüche und es gibt nicht wirklich eine Story darin. Das ist wieder eine kleine Innovation für uns, da es mehr darum geht wie die Texte geschrieben wurden und was sie schlussendlich ergeben. Wenn du eine Story finden müsstest, würde es sich wohl um eine Person handeln, die langsam ins Jenseits oder einen komatösen Zustand gleitet.
„Catch 33“ ist ein ungewöhnlicher Titel, stellt die 33 eine Weiterführung der 22 dar?
Nicht wirklich, ursprünglich ging es uns um den Titel des Buches von Joseph Heller, der zu einer bekannten Phrase wurde. Die 33 haben wir gewählt, weil wir von dieser Zahl quasi verfolgt wurden. Die absoluten Die Hard-Fans dürften wissen, dass diese Zahl immer wieder bei MESHUGGAH vorkommt (ich wusste es bislang nicht – Anm. d. Verf.). Ein tieferer Sinn steckt nicht dahinter.
Tomas, sag mir, wie soll sich der Hörer fühlen, wenn „Catch 33“ ausklingt. Ich fühle mich immer etwas verwirrt danach, aber gleichzeitig auch ein wenig entspannt, da der Schlussteil so schön harmonisch ist.
(lacht) Ich weiß, was du meinst, mir geht es genauso. Das wollten wir auch erreichen, deshalb haben wir diesen ruhigen Schluss auch verwendet. Dieses Feeling bekommt man nicht oft nach einem Metalalbum. Schön, dass man versteht, was wir erreichen wollten.
Je lauter man das Album hört, desto besser kommt die Dynamik zur Geltung.
Allerdings, immer wenn wir es hören, muss die Anlage extrem aufgedreht werden. Manche Alben lässt man lieber leise, aber „Catch 33“ muss man laut konsumieren.
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„Könnten wir beispielsweise Gitarren auf dem Keyboard spielen, wenn es genauso klingen würde und einfacher wäre, warum sollten wir das nicht tun?“ – für MESHUGGAH-Drummer Tomas zählt nur das Endprodukt. |
Ich habe vernommen, dass du nicht die Drums eingespielt hast und dafür ein Drumcomputer verwendet wurde. Ist das Material so schwierig zu spielen?
Nein, das nicht. Es liegt viel mehr an der Art des Songwritings. Jedes Gitarrenriff, das aufkam, wurde sofort zu Hause auf dem Computer eingespielt. Wäre das nicht der Fall, wären sie schnell wieder vergessen worden. So wurde fast das ganze Album geschrieben und aufgenommen, mit Ausnahme der ersten Minuten. Dazu müssen natürlich zunächst Drums programmiert werden, damit man überhaupt weiß, was auf der Gitarre gespielt wird. Dann hätte ich sofort die Passagen ausarbeiten müssen, und es aufnehmen müssen. Das hätte sich dann bestimmt bis in den Herbst gezogen. Da jedes Riffs ungefähr fünfmal geändert wurde und sich das natürlich auf das Drumming auswirkte, das dann nicht mehr passte, also neu aufnehmen. Auf der anderen Seite fanden wir heraus, dass programmierte Drums genau das erreichen, was sie sollten, es klingt statisch und emotionslos. Und dennoch hört es sich nach echten Drums an, da wir verdammt viel Energie in die Programmierung gesteckt haben. Meiner Meinung nach passt es sogar besser als ein echtes Schlagzeug.
Im Endeffekt geht es doch immer um das Endprodukt. Könnten wir beispielsweise Gitarren auf dem Keyboard spielen, wenn es genauso klingen würde und einfacher wäre, warum sollten wir das nicht tun? Es ist das Endprodukt, das zählt, und nicht die dazu verwendeten Werkzeuge.
Wäre „Catch 33“ mittels Analogaufnahme überhaupt möglich gewesen?
Nein, absolut nicht. Auch nicht vor fünf Jahren, da der technische Aspekt noch lange nicht so fortgeschritten war. „Catch 33“ ist so gesehen Computermusik. Wir verwendeten 120 Kanäle, es gab insgesamt zwei Stunden Musik und all das zu einem 47-minütigen Stück zusammenzufügen verschlang die meiste Zeit.
War es erfrischend auf diese Art und Weise zu arbeiten?
Ja, auf jeden Fall. Dahingehend wurden wir durch „I“ inspiriert, auch wenn es echte Drums hatte. Es war auf jeden Fall eine neue Erfahrung des Arbeitens. Die EP ist eher ein Produkt aus Jamsessions, wir fanden etwas, das gut war, und prompt wurde es im Studio aufgenommen. Das und die Wiederholungen gehören zu den Gemeinsamkeiten der Werke. „Catch 33“ ist das nächste Level zu „I„. Das wiederum inspirierte uns wieder ins Studio zu gehen und auf typische Art und Weise zu arbeiten. Diese beiden Werke halfen uns auf mehreren Ebenen.
Könnt ihr euch vorstellen für spezielle Shows mit Gastmusikern und speziellen Medien, wie Videoanimationen, „Catch 33“ zu spielen?
Das ganze Album? Vielleicht irgendwann in der Zukunft, aber es bräuchte viele Live-Samples und das wäre irgendwo langweilig. Außerdem benötigen manche Stellen bis zu zehn Gitarren, es wäre also ziemlich unmöglich, aber vielleicht könnte es eines Tages klappen. Innerhalb der Band haben wir nämlich genau das bereits diskutiert.
Ihr habt verlauten lassen, das Album sollte wie ein Film konsumiert werden. Bei mir wäre es eine Mischung aus „Blade Runner“, „Dark City“ und „Happy Tree Friends“, ich weiß auch nicht warum.
(lacht) Das ist eine ziemlich gute Interpretation. Das haben schon einige gefragt, ich glaube auch es müsste ein Mischung aus verschiedenen Filmen sein, momentan gibt es keinen, der dazu passen würde.
Apropos bewegte Bilder, wie sieht es mit dem neuen Video zu „Shed“ aus. Habt ihr es schon gesehen?
Ja, einen Roughcut haben wir gesehen. Es ist komplett computeranimiert, obwohl wir nomalerweise auf Livevideos stehen, wo man uns spielen sehen kann. Aber dieses Album ist nicht das Richtige, um einen derartigen Clip zu drehen. Dieses geht jedenfalls Hand in Hand mit dem Vibe, den das Album ausstrahlt.
Meinst du, dass es durch das Video zu diesem Track möglich wird, einen Gesamteindruck über das Album zu verleihen?
Nein, das geht sowieso nicht. Aber wie wählten diesen Teil aus, weil es eine Art Anfang und Ende hat und somit besser für ein Video geeignet ist als andere Passagen.
„Catch 33“ ist nicht gerade Easy-Listening und schon gar nicht massenkompatibel. Wird es ein kommerzieller Flop?
Nein, das denke ich nicht, auch wenn es schwer zu sagen ist. Ich glaube auch nicht, dass es sich über die Maßen verkauft, aber die Reviews und die Vorbestellungen sind bisher wirklich gut. Es könnte definitiv schlechter sein, wie zum Beispiel im Vorfeld zu „Nothing„. Es ist nicht typischer, brutaler Metal, daher haben wir die Hoffnung, dass Hörer aus anderen Sparten, zum Beispiel Progressive Rock, Gefallen daran finden. Aber das kann man im Vorfeld nie wissen.
Mein abschließender Wunsch: Ich hoffe, dass ihr als Zugabe irgendwann „I“ spielen werdet.
Ich glaube, da muss ich dich enttäuschen, das wird leider unmöglich sein. Wir haben diskutiert, ob wir
das Stück ins Set aufnehmen sollen, aber als wir es uns erneut anhörten, stellten wir fest, dass wir alles vergessen haben, und es ist unmöglich alles zu lernen. Als Band haben wir den Song ohnehin nie geprobt. (lacht)
Schade, aber da kann man wohl nichts machen. Tomas, ich danke dir für das Gespräch und wünsche MESHUGGAH alles erdenklich Gute!
Bilder: Nuclear Blast
Layout: doomster