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MESHUGGAH, THE HALO EFFECT, MANTAR: Konzertbericht – TonHalle, München – 19.03.2024

Den Live-Shows MESHUGGAHs eilt ein gewisser Ruf voraus. Mit glasklarem Sound, einer beeindruckenden Lightshow und dem vielfältigen Vorprogramm aus THE HALO EFFECT sowie MANTAR zeigen die Schweden in der ausverkauften Münchner TonHalle, weshalb die Vorschusslorbeeren nicht ungerechtfertigt sind.

Den Status als Koryphäen ihrer Szene haben sich MESHUGGAH hart erarbeitet: Nicht etwa aufgrund des im Internet viral gegangenen „obZen“-Tracks (2008) „Bleed“, sondern weil der progressive Death Metal der Schweden über die Jahre sowohl zahllose Künstler:innen inspirierte als auch ganze Subgenres entscheidend prägte. „Djent“ nennt sich das Resultat seither in gewissen Kreisen und ist doch oftmals nur ein verwässertet Aufguss des Originals.

Warum also nicht gleich Selbiges heranziehen? Immerhin eilt den Live-Shows des Quintetts ein gewisser Ruf voraus, von dem MESHUGGAH offensichtlich profitieren können. Die Münchner TonHalle mit dieser Art Musik zu füllen, ist jedenfalls keine Selbstverständlichkeit, auch wenn THE HALO EFFECT als zugkräftiger Special Guest und MANTAR als hochkarätiger Geheimtipp für entsprechende Rückendeckung sorgen, um letztlich gut 2000 Metalheads ins hippe Werksviertel zu locken.


MANTAR

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Dass sich gerade die Letztgenannten zunächst noch von einem Kulturschock erholen müssen, macht sich in den Anfangsminuten überhaupt nicht bemerkbar. Dabei haben sich die Bilder des heutigen Ausflugs in die Erdinger Therme unweigerlich ins Gehirn gebrannt, wie uns Gitarrist und Shouter Hanno bald schon wissen lassen soll. Das Bremer Duo jedenfalls legt trotzdem direkt und unverblümt los: Ohne Rücksicht auf Verluste fahren MANTAR mit ihrem rotzigen Sludge über das Münchner Publikum, wo man ob so viel räudiger Rockstar-Energie erstmal verdutzt dreinblickt.

Als Quasi-Gegenentwurf zum Headliner präsentieren sich die beiden Musiker, welche in dichten Nebel und Stroboskop-Blitze gehüllt den Zuschauer:innen die meiste Zeit über ihr Profil präsentieren. Scheint die sich beständig füllende TonHalle während des ersten Showdrittels noch ein wenig mit dem direkten Ansatz MANTARs zu fremdeln, taut man zumindest im Zentrum mit jedem weiteren Stück auf. Nicht nur der Groove des abgezockten „Hang ’Em Low (So The Rats Can Get ‘Em“) ist unwiderstehlich, auch die trockenen Ansagen Hannos sorgen für den einen oder anderen Schmunzler.

Mit Energie und Nachdruck fahren MANTAR über das verdutzte Publikum

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Daher kommt man der Bitte schlussendlich auch gerne nach, sich für eine Weile zumindest so zu „benehmen als wäre Donnerstag oder Freitagmittag“, auch wenn an diesem Dienstag das Wochenende offenbar noch ein wenig in den Knochen steckt. Kurzweilig und mit Nachdruck ziehen „Era Borealis“ und „White Nights“ so nach einer knappen Dreiviertelstunde den Schlussstrich, der uns vor allem mit einem Gedanken zurücklässt: Ein solches Energie-Paket wie MANTAR müssen wir unbedingt mal in einem kleinen, verschwitzten Club gesehen haben, wo die Bühne am besten noch aus einem Stapel alter Europaletten zusammengeschustert ist.

Fotogalerie: MANTAR


THE HALO EFFECT

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Wie viel Starpower uns nach der kurzen Umbaupause erwartet, lässt sich am besten anhand des ungeduldig wartenden Publikums erkennen. Allein das Intro wird begeistert mitgeklatscht – zwischenzeitlich sogar im richtigen Takt -, bevor der Einmarsch der fünf Schweden sich in regelrechter Euphorie entlädt. Dass auf dieser Tour sowohl Gitarrist Jesper Strömblad als auch Drummer Daniel Svensson vertreten werden, trübt die Stimmung in der prall gefüllten Halle nicht im Geringsten.

Die Blicke auf sich zieht ohnehin der fortwährend strahlende Mikael Stanne (DARK TRANQUILLITY, GRAND CADAVER), der dieser Tage zwischen seinen drei Bandprojekten eigentlich keine freie Minute haben müsste und trotzdem die Zeit seines Lebens zu haben scheint. Dass der Sänger während des Auftakts „Days Of The Lost“ jeden Quadratzentimeter der Bühne persönlich unsicher macht, wirkt nicht nur auf uns belebend.

THE HALO EFFECT-Gitarrist Niclas Engelin ist dem Rampenlicht nicht abgeneigt

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Auch die Kollegen Niclas Engelin und Patrik Jensen (THE HAUNTED) an den Gitarren verweilen in der Folge nicht allzu lange an der gleichen Position, ohne ihrerseits dem Rampenlicht abgeneigt zu sein. Umso kurioser ist daher die visuell eintönige Entscheidung THE HALO EFFECTs, all die fleißigen Posen ausschließlich mit grünem Licht zu untermalen. Besser fährt der Soundmix, der den Klargesang in der B-Seite „Become Surrender“ ebenso zur Geltung bringt wie die Leadgitarren klassischer Göteborg-Kompositionen à la „The Needless End“, „Conditional“ oder „Feel What I Believe“, dem allerdings das andere Tuning der Leadgitarre zu schaffen macht.

Nichtsdestotrotz kommt das Ende mit der gefeierten Debütsingle „Shadowminds“ nach acht Stücken ein wenig früher als gedacht, insbesondere weil MANTAR unmittelbar zuvor sogar rund fünf Minuten länger die Bretter beackerten. Die anschließende Resonanz jedenfalls spricht eine deutliche Sprache: Vielleicht sollte man hin und wieder eben nicht genau dann aufhören, wenn es am schönsten ist.

THE HALO EFFECT Setlist – ca. 40 Min.

1. Days Of The Lost
2. The Needless End
3. Feel What I Believe
4. Become Surrender
5. Conditional
6. The Last Of Our Kind
7. Gateways
8. Shadowminds

Fotogalerie: THE HALO EFFECT


MESHUGGAH

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Aus den wohligen Melodeath-Gefilden geht es nun in eine dystopische Zukunft, wie uns eine Lautsprecherdurchsage um Viertel nach neun erklärt. Allein die Bitte, das Mobiltelefon in der Tasche zu lassen, verhallt ungehört: Gefilmt wird während der ersten Tönen des Openers „Broken Cog“ scharenweise, auch wenn MESHUGGAH die meiste Zeit des Stücks im Dunkeln verweilen. Spärliches Rot taucht die Bühne in unheimliches Licht, während die Aufsteller im „Immutable“-Design (2022) hinter den Musikern immer wieder hell aufleuchten.

Es hat etwas von einem fast sechsminütigen Intro, das die Skandinavier hier auftischen, und passt doch perfekt zum Konzept: Jedes Detail ist akribisch ausgearbeitet, von der perfekt auf die Musik abgestimmten Lichtshow bis hin zum Bühnengehabe der vier Musiker, die ihren zugewiesenen Platz nur in absoluten Ausnahmefällen verlassen. Auf große Gesten verzichtet Fronter Jens Kidman dadurch freilich nicht, zieht sich in den teils ausladenden Instrumentalpassagen aber meist in den Hintergrund zurück, wo er bis zu seinem nächsten Einsatz nahezu regungslos verharrt.

Bei MESHUGGAH zählt das Kollektiv mehr als das Individuum

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Das mag man kalt und unnahbar empfinden, wirkt jedoch im Gesamtkontext des dystopischen Rahmens absolut stimmig: Was hier zählt, ist das Kollektiv und nicht das Individuum. Selbst als Kidman in seinen seltenen Ansprachen den typisch trockenen schwedischen Humor hindurchblitzen lässt, gerät die Illusion nichts ins Wanken.

Dazu trägt natürlich auch bei, dass die Münchner Anhängerschaft diesem Auftritt geradezu leidenschaftlich entgegengefiebert hat: Als MESHUGGAH nach dem brodelnden „Broken Cog“ mit „Rational Gaze“ Tempo und Intensität erhöhen, scheint die TonHalle mit einem Schlag förmlich zu explodieren. Der Sound ist so druckvoll wie transparent, wodurch es auch für uns ein Leichtes ist, sich in dem teils hypnotischen Groove von Stücken wie „Perpetual Black Second“ oder „Kaleidoscope“ zu verlieren.

MESHUGGAH überraschen mit einem Wechsel des Bühnenbilds

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Selbstredend trägt der visuelle Aspekt sein Übriges dazu bei: Eine imposante und abwechslungsreiche Lightshow setzt zwischendurch auch mal Lead-Gitarrist Fredrik Thordendal durch ein simples Spotlight in Szene, findet ansonsten aber den idealen Mittelweg aus Atmosphäre und visuellem Spektakel. Den umjubelt aufgenommenen Doppelschlag „In Death – Is Life“ sowie „In Death – Is Death“ zelebrieren MESHUGGAH gar mit einem unerwarteten Wechsel des Bühnenbilds, als neben dem neuen Backdrop auch Banner im biomechanischen Cosmic-Horror-Design von der Decke fallen.

Hier und im thrashigen „Humiliative“ der „None“-EP (1994) zieht der Moshpit im Zentrum weite Kreise, während hier und da sogar ein paar Crowdsurfer über die Köpfe gereicht werden. Klare Sache also, dass bei einer solchen Stimmung nach einer guten Stunde mit „Future Breed Machine“ noch nicht der Schlusspunkt erreicht sein kann. Für die Zugabe lassen sich MESHUGGAH überraschenderweise ganz altmodisch zurück auf die Bühne bitten: Kein Intro, kein dramaturgischer Aufbau – fast so, als hätten sie den Fan-Favourite „Bleed“ für den heutigen Abend eigentlich gar nicht eingeplant.

Trotz fordernder Arrangements mobilisieren MESHUGGAH die Massen

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Natürlich überlässt das Quintett in der Realität nichts dem Zufall, was uns in diesem Fall selbstverständlich entgegenkommt, um vor allem Schlagzeuger Thomas Haake näher ins Auge zu fassen, bevor uns die Band mit „Demiurge“ ein letztes Mal den Vorschlaghammer auf die Brust setzt. Keine Frage: Gut bedient sind wir nach dieser Vorstellung in jedem Fall, allein weil der stilprägende Bandsound voller vertrackter Rhythmen und verschachtelter Riffs über 80 Minuten lang bei aller Faszination durchaus fordernd wirkt.

Wie selbstverständlich MESHUGGAH damit die Massen mobilisieren können, ist hingegen ein nahezu beispielloses Talent, das der Gruppe jüngst sogar einen Headliner-Slot auf dem SUMMER BREEZE OPEN AIR eingebracht hat. Gemessen an der heutigen Vorstellung darf man sich dort im August 2024 warm anziehen, wenn die Extrem-Metal-Koryphäen einmal mehr ihre dystopische Vision zum Leben erwecken – ohne Rockstar-Allüren, doch mit akribischem Auge fürs Detail. Nicht das Individuum, sondern das Kollektiv zählt.

MESHUGGAH Setlist – ca. 80 Min.

1. Broken Cog
2. Rational Gaze
3. Perpetual Black Second
4. Kaleidoscope
5. God He Sees In Mirrors
6. Born In Dissonance
7. In Death – Is Life
8. In Death – Is Death
9. Humiliative
10. Future Breed Machine
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11. Bleed
12. Demiurge

Fotogalerie: MESHUGGAH

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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