EVENTIDE: Einzelleistungen haben keine Priorität

Mit ihrem Debüt haben EVENTIDE ein phänomenales Melodic Death Metal-Brett abgeliefert. Keine Frage, hier muss ein Interview – mit Schlagzeuger Max Seppälä – her, um mehr über die dunklen Welten des schwedischen Quartetts ans Licht zu bringen!

Mit ihrem Debüt Diaries From The Gallows haben EVENTIDE ein nachhaltig phänomenales Melodic Death Metal-Brett abgeliefert, das seit Wochen meinen CD-Spieler blockiert. Keine Frage, hier muss ein Interview – mit Schlagzeuger Max Seppälä – her, um mehr über die dunklen Welten des schwedischen Quartetts ans Licht zu bringen.

Diaries From The Gallows ist ein grandioses Album. Habt ihr die Befürchtung, dass euch jetzt die ganze schwedische Death Metal-Szene beneidet?

Vielen Dank! Haha, ich wüsste nicht, warum Bands, die mit ihrer Musik Geld verdienen, auf dem Ozzfest spielen und eine große Fangemeinde haben, uns beneiden sollten.

Ernsthafter ausgedrückt: Das Album klingt, als hättet ihr eine Menge Energie in die Produktion gesteckt. Wie siehst du das Album jetzt im Vergleich zu der Zeit, als ihr mit dem Songwriting bzw. den Aufnahmen begonnen habt?

Wir sind ihnen immer noch wirklich überdrüssig. Ich höre das Album ziemlich oft an und versuche, es zu hören, als hätte ich es noch nie gehört. Manchmal halte ich es für eins der besten Alben, die ich je gehört habe, und manchmal finde ich wirklich, dass es sehr mittelmäßig klingt. Wir haben jedoch tatsächlich eine Menge Energie in alles reingesteckt, angefangen vom Songwriting über die Wahl, welchen Gitarrensound und welche Art von Keyboard wir wo verwenden sollen, bis hin zu den Rhythmen, die das Schlagzeug spielen soll. Ich denke, das fertige Produkt entspricht weitgehend unseren Absichten, die wir am Anfang hatten. Es klingt fast genau so, wie ich es in meinem Kopf gehört habe, bevor wir es aufnahmen.

Wie schafft ihr es, so viele Details (Breaks, Rhythmuswechsel usw.) in die Stücke einzubauen, ohne den Fluss der Komposition dadurch zu zerstören?

Wir benutzen Breaks oder Wechsel nur, um ein Stück aufzuwerten. Der Schreibprozess läuft sehr diszipliniert ab. Wir setzen uns hin, nehmen ein Stück auf und arrangieren es im weiteren Verlauf. Dadurch weiß man, wie es sich anhören soll, bevor man ins richtige Studio geht. Vor ein paar Jahren schrieben wir die meisten Lieder noch beim Proben. Aber wenn man das macht, ist es schwierig, Sachen zu strukturieren und zu arrangieren, und man hört eigentlich nicht, wie ein Lied als Ganzes klingt. Wir gehen außerdem nach dem Motto vor: Weniger ist mehr. Angenommen ich habe ein wirklich cooles Schlagzeugfill oder einen Rhythmus, den ich verwenden will, um mein Ego zu stärken – wenn es nicht ins Lied passt oder mehr Schaden als Nutzen bewirkt, nehmen wir es nicht. Einzelleistungen haben keine Priorität. Wir haben zum Beispiel auf dem ganzen Album nur zwei Gitarrensoli, was meines Erachtens in diesem Genre sehr selten vorkommt.

Eure Musik erzeugt eine sehr intensive Atmosphäre. Gibt es dazu ein Gegenstück in der Realität?

Haha, eigentlich nicht. Ich kann nicht für die anderen Jungs sprechen, aber wir haben gewöhnliche Jobs, denen wir Tag für Tag nachgehen. Ich schätze, die Musik ist eine Art Reaktion darauf. Manche Leute spielen Videospiele mit wirklich coolen Umgebungen und Geschichten, um der Realität zu entfliehen. Ich mag es, meine eigenen Umgebungen und Geschichten zu erschaffen.

Was glaubst du, verbindet die Lieder auf der CD und lässt das Ganze – trotz des individuellen Charakters von jedem Stück – überaus einheitlich klingen. Gibt es vielleicht ein übergeordnetes, abstraktes Thema?

Bevor wir die ersten Reviews erhielten, waren wir tatsächlich etwas nervös, weil wir fürchteten, die Leute würden der Meinung sein, die CD würde sich von Song zu Song zu stark verändern. Ich finde immer noch, dass die Stücke recht unterschiedlich sind. Aber wenn man jedem denselben Sound verpasst und immer derselbe Sänger den Gesang beisteuert, klingen die Stücke automatisch einheitlich. Wir bemühen uns sehr, für jeden Text ein anderes Thema zu finden, damit jedes Stück einzigartig wird. Die Verbindungen von Song zu Song sind nicht beabsichtigt. Es gibt ein Thema, das wir erst entdeckten, als wir über das Coverdesign diskutierten: Die meisten Lieder handeln von inneren Konflikten, die gute Seite in einem gegen die böse Seite in einem. Die beiden Figuren auf dem Titelbild stellen einen Geist dar, dessen böse Seite die gute besiegt hat und sie nun zum Galgen zerrt, um sie ein für alle Mal loszuwerden.

EVENTIDE:
Das Cover von Diaries From The Gallows stammt von Niklas Sundin, dem die Band freie Hand ließ. Er konnte fast alles machen, was er wollte. (Max Seppälä)

Während die meisten eurer Texte einen Ich-Erzähler als Protagonisten haben, scheint Standards Of Rebellion eine Ausnahme zu sein. Unterschied sich der Schreibprozess für dieses Song vom restlichen Album?

Der Prozess war nicht sonderlich verschieden, aber die Stimmung, als ich es schrieb, war sehr anders. Als ich damit begann, hatte ich lediglich das Bild von dieser erschöpften, gekrönten Figur in meinem Kopf, die in einer Ecke ihres Schlosses kauert. Wie du vielleicht bemerkt hast, soll das Intro klingen, als würde der Tyrann schwer atmen, während man sein Herz schlagen hört. Das Intro ist wie eine kurze Pause, gefolgt vom Donnern von hunderten von Füßen, die vom Schlagzeug im Vers verkörpert werden.

Trotz des Alptraumszenarios, das im Abschlusstrack Confinement beschrieben wird, gibt es im Text dazu eigentlich keinen Konflikt. Die Musik bleibt eher schleppend und doch beklemmend. Glaubst du, der Song hätte auch früher auf dem Album funktioniert?

Ich verstehe, was du meinst, denn der Text handelt im Wesentlichen von Einwilligung im Gegensatz zum Rest des Albums. Aber ich glaube, es würde schon gehen. Es hängt nur davon ab, ob man das Album zum ersten Mal hört. Wenn du es jetzt anhören würdest mit Confinement irgendwo in der Mitte, würdest du wahrscheinlich finden, dass es dort nicht hinpasst. Aber ich glaube, du würdest dem nicht viel Aufmerksamkeit schenken, wenn du es so zum ersten Mal hören würdest. Wir ließen die Texte außen vor, als wir die Playlist festlegten. Musikalisch ist es allerdings ein perfekter Schlusstrack, weil er langsam und mächtig ist.

EVENTIDE
Thomas Magnusson (Bass), Max Seppälä (Schlagzeug), Sebastian Sebbe Olsson (Gitarre), Jacob Magnusson (Gesang, Gitarre): EVENTIDE unterwegs an die Spitze der Melodic Death Metal-Szene.

Ist eure Musik ein Versuch, der Realität zu entfliehen oder sie zu reflektieren? Oder vielleicht sie zu verzerren?

Es dürften alle drei Punkte sein. Die meisten Texte sind fiktiv, reflektieren aber die Wirklichkeit. Andere basieren auf Sachen, die wir in bestimmten Momenten gefühlt oder durchgemacht haben.

Wie seid ihr vorgegangen beim Finden/Erschaffen der Keyboardsounds? Was werdet ihr live damit machen?

Wir haben einen Haufen unterschiedlicher Samples, die wir verwenden. Wir nehmen sie seit Jahren und wissen deshalb, welche in der Regel passen und welche nicht. Gewöhnlich wissen wir, was für einen Klang wir haben wollen. Also finden wir ihn entweder im Menü unserer Samples, oder wir erschaffen ihn selbst mit Hilfe von unterschiedlichen Plug-ins, Software-Synthesizern und Effektgeräten. Sie neigen dazu, sich natürlich zu entwickeln. Ein Lied wie Standards Of Rebellion besitzt diese orchestrale Atmosphäre, weshalb ein moderner Keyboard-Sound nicht funktioniert hätte. Da wir keinen Keyboarder haben, werde wir live Hintergrundbänder verwenden, was im Klartext heißt, dass ich mit einem Metronom spielen werden, das synchron mit einem Computer läuft, der die Keyboard-Spuren spielt.

Euer Zusammenspiel auf Diaries From The Gallows ist unglaublich tight. Waren alle Lieder bereits vor den Aufnahmen arrangiert oder gab es noch Raum für Experimente?

Wir machen immer rohe Aufnahmen von den Liedern, während wir sie schreiben. Es gibt jedoch ein paar Sachen, die wir in letzter Minute noch geändert haben, die meisten während den Schlagzeugaufnahmen. Wir hatten ursprünglich zwölf Songs am Start, aber die Zeit reichte nicht, um alles aufzunehmen. Der Text zu Killing What Can´t Be Handled wurde gelichzeitig mit den Gesangsaufnahmen geschrieben. Sebbe schrieb sein Gitarrensolo für The Skeleton Who Sold Its Skin gerade mal ein oder zwei Tage, bevor wir es aufnahmen. Es wurden während des Aufnahmeprozesses also einige Sachen geschrieben, umgeschrieben oder arrangiert.

Sind die Teile, die du live am liebsten spielst, auch die, die du am liebsten anhörst?

Manchmal ist es so und manchmal nicht. Ich weiß nicht, was die anderen Jungs denken, aber No Place Darker macht auf dem Schlagzeug zum Beispiel nicht viel Spaß, aber es ist mit Sicherheit einer meiner Lieblingssongs auf dem Album.

Niklas Sundin schuf ein geniales Cover, das anscheinend auf dem Text von Killing What Can´t Be Handled basiert und meiner Meinung nach perfekt zur Musik passt. Wie viel Freiraum habt ihr ihm gegeben?

Es ist genau umgekehrt. Ich schrieb den Text auf der Grundlage des Covers. Wir stellten Niklas die Idee vor, eine Art Kampf auf dem Cover darzustellen, da die meisten Stücke von inneren Konflikten und so handelten. Er schickte uns dann Ideen zurück, wir machten ihm Vorschläge und wir tauschten Ideen aus. Er konnte jedoch fast alles machen, was er wollte.

EVENTIDE
EVENTIDE unterwegs an die Spitze der Melodic Death Metal-Szene. Diese Bilder wurden gemacht, ohne dass wir davon wussten. (Max Seppälä)

Wir viele Meilen seid ihr während der Fotosession für das Album gelaufen?

Haha, wir liefen insgesamt etwa zehn Minuten. Diese Bilder wurden gemacht, ohne dass wir davon wussten. Das ist amüsant, weil das die einzigen Bilder sind, die wir letztlich im Booklet verwendet haben.

Wenn ich mir das Video zu den Aufnahmen auf eurer MySpace-Seite anschaue, entsteht der Eindruck, dass ihr während der Albumproduktion viel herumgefahren seid. Was für Musik hört ihr im Auto? Wir entscheidet ihr euch für Musik, wenn ihr zu viert im gleichen Wagen sitzt?

Wie hören meistens Metal. Wir hören DARK TRANQUILLITY, OPETH, HYPOCRISY, IRON MAIDEN, SOILWORK, Rough-Mixe unserer eigenen Songs, DIMMU BORGIR, METALLICA, DEFTONES und einen Haufen anderer Bands, an die ich mich nicht erinnere. Wir sind eine demokratische Band, deshalb darf jeder mal die Musik auswählen.

Was sind eure Pläne, Ambitionen und Hoffnungen für EVENTIDE 2007?

Wir hoffen, dass wir viele Liveauftritte spielen werden, hoffentlich ein paar Festivals und ein paar Shows außerhalb von Schweden. Wir sind dabei, hier auf heimischem Boden eine Release-Party im Februar zu organisieren. Wir werden neues Material schreiben und hoffentlich mehr und mehr Aufmerksamkeit gewinnen und mehr und mehr Fans bekommen!

Bandfotos: Anna Grafström

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner