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ASPHYX: Wir haben die heilige Pisse gesoffen

ASPHYX legen die Latte für “Beste Alben 2021” schon mal hoch an mit “Necroceros” im Januar – denn auch 2021 führt an den niederländischen Death Metallern kein extremer Metalweg vorbei. Der legendäre Frontmann Martin van Drunen lässt sich indes schon in der Vorweihnachtszeit interviewen und macht seinem Ruf als wunderbarem Interviewpartner mal wieder alle Ehre – selbst wenn das heutige Gespräch mit einem Hustenanfall aus den Niederlanden beginnt… 

Bist du krank geworden, Martin? 

Nun, ich habe eine ganz merkwürdige Nacht hinter mir. Ich mache mir etwas Sorgen. Es kann nicht sein, dass ich mir was geholt habe. Aber ich habe meine Decke gewechselt und vermutlich reagiere ich allergisch auf die Daunen darin. Da begann ich in der Nacht zu husten und konnte kaum atmen, also habe ich sie weggeschmissen und wieder meine alte genommen. Dann ging’s besser und ich konnte pennen. Ich hoffe nicht, dass ich die Scheisspest bekommen habe! Ich denke aber, dass es wieder eine Allergie war. 

Wollen wir mit dem offiziellen Teil des Interviews beginnen?

Ja, sicher doch. Der erste Doktor, mit dem ich rede. Leider kein Arzt dann, haha. 

Genau, ich bin die falsche für Medizin. Aber ASPHYX widmen sich ja in “Botox Implosion” einem ungewohnten medizinischen Thema. Was hat ASPHYX mit Botox zu tun? 

Wir selbst nichts! Es sei denn, die Jungs machen etwas, wovon ich nichts weiss. Strohtox oder so. Das scheint es ja auch zu geben, haha. Nein, es ist ein Witzsong. Das kam eigentlich von mir, es ist ein Thema, das mich nicht aufregt, aber etwas irritiert. Ich verstehe einfach manchmal die Welt nicht mehr. Es scheinen heutzutage schon junge Mädchen zu sein, denen reicht das Photoshopping im Internet schon nicht mehr, die quengeln dann bei den Eltern – “Ich brauche eine Nasenkorrektur!” und ich denke mir so “Mann, Mann, Mann, wo sind wir denn jetzt gelandet?”. Und darüber wollte ich einen Scherzsong schreiben – wenn die Frischoperierten am nächsten Morgen aussehen wie der Sohn oder die Tochter von Frankenstein. 

Darf man in der Band ASPHYX also in Würde altern? 

Haha, ja. Genau, du kennst mich ja. Aber Paul und Husky, die fangen schon an mit “Wir bekommen graue Haare” und ich sage dazu nur “Schau mich mal an”, haha. 

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Aber du bist vielleicht der einzige, der das darf, beziehungsweise das Monopol hat auf die grauen Haare? 

Haha, ja ich und der Typ von SAXON, Biff. Der darf auch. Aber ich verstehe es nicht, ich sehe auch so ältere Bands und ich weiss, die Typen haben graue Haare. Und ich frage mich dann – gehen diese Typen tatsächlich zum Frisör und lassen sich die Haare färben? Oder färben sie die Haare in der Dusche? Das ist doch hohl. Du bist ein Mensch, du wirst alt. Punkt.

Also ich hatte bis jetzt fünf graue Haare und habe sie einfach ausgerissen.

Das ist aber schlecht, weisst du das? Es gibt Kulturen, da ist das Haarerausziehen gar keine gute Sache. Das bringt böse Sachen mit sich…Es bringt Unheil. 

So von wegen Unheil: Ihr habt mit ASPHYX ja ein paar Konzerte gegeben im Herbst 2020 in Kirchen, mit sitzendem Publikum. Ist das ein Widerspruch für eine Death Metal-Band? 

Nein, weil wir das schon früher mal gemacht hatten, in Rumänien. Also neu war das für ASPHYX nicht. Sagen wir mal so, es konnte nur in einer Kirche stattfinden, weil das die einzige Location war, in der man die Stühle für das Publikum so weit auseinander platzieren konnte. Die Kirche war eine private Kirche, vermutlich von einer Evangelistengemeinde, und sie vermieten die Kirche. Sie haben vermutlich zu wenige Gläubige, also vermieten sie es – und zwar nicht für wenig. Es war also cool. Und etwas Besonderes. Ausserdem kann man in der Kirche dann auch noch Bier trinken. Das war echt geil. 

Na gut, die Kirche hat ja kein Problem mit Wein in der Messe. Alkohol ist ja nicht verboten in der Kirche. 

Nein, es ist ja das Blut von Christus! Und jetzt haben wir einfach seine Pisse getrunken. Wir haben die heilige Pisse gesoffen!

Dann darfst du jetzt einfach die Biermarke nicht nennen, sonst beleidigst du jemanden… Musstet ihr eigentlich etwas ändern am Live-Sound in der Kirche? War es schwieriger abzumischen, weil man von der Akustik her mehr Hall hat in dieser Art von Gotteshaus? 

Ja, das auf jeden Fall hat es mehr Hall. Normalerweise haben wir nie lange für einen Soundcheck, aber bei diesen Konzerten mussten wir mehr Zeit für den Soundcheck aufwenden. Unser Soundmann meinte auch “Ach du kacke, Kirche hat viel Hall.” – aber da mussten wir halt schauen, dass es trotzdem funktioniert. Es war laut und den Leuten hats gefallen, der Sound kam besser raus, als wir es uns gedacht hatten. 

Da wir grad schon bei Live-Auftritten sind – du warst ja “vor Ewigkeiten” bei BOLT THROWER zwei Mal auf Tour dabei. Was ich nie verstanden habe – warum wurde deine Stimme eigentlich nie auf einem BOLT THROWER-Album verewigt? 

Weil es einfach kein Material gab. Als ich bei BOLT THROWER einstieg, da hatten sie gerade “…for Victory” aufgenommen. Ich war dann bei BOLT THROWER dabei, um die Scheibe zu promoten – live auf Tour. Dann kam eine zweite Tour, die war nur ein Jahr nach der Scheibe – sie war also noch immer frisch. Ich habe auch nie neues Material von ihnen bekommen im Sinn von “Ist das was für dich?” Aber da war einfach nichts vorhanden zu dieser Zeit. Es war wirklich nur das. 

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Dann kommen wir doch mal in die Gegenwart zurück – und zur Promotion von “Necroceros”. Auf den Promofotos sieht man ASPHYX – sehr ungewohnt – mit Schusswaffen posieren. Was war die Überlegung dahinter? Mich hat das Foto sehr überrascht, ihr seid ja keine flintengeilen Amis. 

Ha, gut! Gut, dass es dich überrascht hat. Das war ja eigentlich die Überlegung dahinter, die Absicht: Die Leute überraschen. Letztes Mal hatte ich eine Axt in der Hand, dieses Mal machen wir mal Schusswaffen – das war der Gedanke. Andere Bands posieren mit Blut oder aufgeschlitzten Schweinen, wir wollten etwas mit Waffen machen. Und vor allem als niederländische Band, denn hier sind Waffen ja komplett verboten. 

Normalerweise darf man als Privatperson in den Niederlanden keine Waffen haben, ausser man ist Polizist oder in der Armee, aber auch dann kannst du nicht einfach deine Dienstwaffe nach Hause nehmen. Das ist hier sehr sehr streng. Die Bilder sind ja eigentlich illegal, deswegen war es auch spannend, yeah, haha. Wir probierten es mal aus und wir wussten auch nicht, ob diese Bilder nachher benutzt werden oder nicht. 

Welche Waffe – allgemein – findest du am faszinierendsten? 

Am ehesten ein U-Boot, glaube ich, haha. 

Das ist ja glatt eine Überleitung zu einer Übersetzung, die ich für “ceros” gefunden hatte – ohne Gewähr soll es sich dabei auf Spanisch um einen Sägefisch handeln. Ist das neue Album also der Todessägefisch? Der Titel verwirrt mich etwas. 

Ne, es ist kein Fisch. Ich mag aber Wortspiele. “Ceros” kommt vom Rhinozeros, also vom Nashorn. Es ist also ein Todesnashorn. Es hört sich gut an, wie ein dicker Baum. Und ab 2007 haben wir immer das Wort “Tod” in unseren Albumtitel drin, dieses Mal halt einfach als “Necros”. Es bleibt also brutal!

blankDu hast in deiner Karriere schon viele Alben gemacht. Welches erfüllt dich mit dem größten Stolz?

Ja, erst einmal dieses. Das ist ja auch normal, es wäre ja bescheuert, wenn eine Band ein Album rausbringt und dann nicht sagt, es sei da Beste, was sie bis jetzt gemacht haben. 

Es ist ja immer der Höhepunkt eines Entwicklungsprozesses.

Ja, genau. Und ich finde für “Necroceros” habe ich auch meine besten Texte geschrieben. Sehr viele verschiedene Texte, viele verschiedene Themen. Ich finde auch, dass Paul viel Abwechslung reingebracht hat in die Songs. Normalerweise erwartet man ja viel mehr Geschwindigkeit bei unseren Alben, und bei diesem steht die Geschwindigkeit ja nicht im Vordergrund. Jeder Song ist wirklich eigen und darum denke ich, dass “Necroceros” die abwechslungsreichste Platte ist, die ich in meinem Leben je gemacht habe. Und da bin ich wirklich stolz drauf. Die Jungs können auch stolz darauf sein. 

In der Tat. Mir gefällt der Song “In Blazing Oceans”, weil da der Gitarrenlead einfach so überraschend melodiös ist – und trotzdem unverkennbar ASPHYX. Das ist also die dritte Überraschung – erst die Waffen auf den Fotos, dann das unerwartete Interesse an Botox bei der “Botox Implosion” und dann noch das geile Faible für Melodien bei “In Blazing Oceans”! Es war eine Steigerung von Überraschung für mich… 

Das ist ja schön, dass das so rüberkommt bei dir. Wenn man eine Platte schreibt, ist es nicht so gemeint, erst. Aber Paul hat bei “In Blazing Oceans” dann eben mit den Melodien rumgespielt. Und es ist auf eine Art ja kein typisches ASPHYX-Stück. 

Ja, eben. Die Überraschung war da, aber man merkt, dass es trotzdem noch ASPHYX ist. Es ist also nicht eine Entfremdung vom ASPHYX-Sound. Es ist eine “sanfte Innovation”.

Genau! Sanfte Innovation. Du greifst sozusagen die Kuh bei den Hörnern. Von der Musik her sind wir bei ASPHYX natürlich eine sehr konservative Band. Aber ab und zu mal eine sanfte Innovation da rein tun – das machen wir natürlich mal. Und wenn es dann den Fans gefällt, dann es natürlich super. Ab und zu eine Innovation reintun, das können wir uns leisten. Aber es muss natürlich schon reinpassen und nicht zu “äh, das kann ja kein ASPHYX mehr sein” werden. 

Richtig, ich will nicht, dass ASPHYX plötzlich Trip Hop machen.

Genau.  

Andererseits kann man auch nicht sagen, dass ASPHYX jetzt einfach nochmals zehn Mal “The Rack” reproduzieren sollen. Also nichts gegen “The Rack”, natürlich…

Ja, man soll sich nicht wiederholen, das wäre ja Schwachsinn. Alles was du machst – Paul mit den Riffs, ich mit den Texten – darf sich nicht kopieren. Es muss ja eine Herausforderung bleiben. Vielleicht sind gewisse Riffs nicht super originell, weil man sich von anderen Bands inspirieren lässt, aber man spielt es anders und wir haben dann unseren ASPHYX-Stil, und der ist es schon immer gewesen. 

Ja, mich beruhigt das auch. Ich höre mir eine neue ASPHYX-Scheibe an und höre den ASPHYX-Charakter – da fühle ich mich wieder in meinem Weltbild bestätigt und sicher.

Haha, du sagst das für dich, aber so denken eben unsere Fans, die uns unterstützen. Wir sind zufrieden mit unserer Platte und wissen schon dann, dass unsere Fans das auch so sehen werden. Das ist toll zu hören und auch zu wissen, dass unsere Fans unsere Musik so schätzen. 

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Gerade die Fans fehlen ASPHYX vermutlich – ihr wart ja (und hier muss ich wirklich das Präteritum benutzen) – live immer sehr aktiv. Das fällt jetzt weg bei der Veröffentlichung von “Necroceros”. Wie plant ihr jetzt das Promoten der neuen Platte?

Es ist hart. Das einzige, was wir machen können, ist hoffen, dass es irgendwann nächstes Jahr wieder losgeht. Und wenn es losgeht, sind wir bereit. Auch kurzfristig. Die Scheisse für uns ist halt, dass bei uns eine Release-Show Tradition ist.

Genau, dafür seid ihr ja oft im Essener Turock zu Gast.

Richtig, und das ist eben genau der Schmerz. Bei einer Release-Show spielen wir live die ganze neue Scheibe durch. Diese Möglichkeit haben wir sonst bei einer normalen ASPHYX-Show nicht, denn die Leute wollen natürlich auch die älteren Songs hören. Das geht bei einem Festival nicht, dafür brauchen wir die Release-Show. 

Wir sind momentan – zur Not – am Überlegen, ob wir einen Live-Stream machen würden. Das diskutieren wir innerhalb der Band zurzeit angeregt. Aber – da kommt eben der Punkt, das wissen wir alle: ASPHYX ohne Publikum – das ist scheisse. 

Update: Als wir das Interview fegührt haben, stand noch nicht fets, dass die Releaseshow am 23. Januar als Stream übertragen wird: Zur Veröffentlichung von “Necroceros” gaben ASPHYX am 23. Januar 2021 ein Konzert im Metropool, einem Club im niederländischen in Hengelo. Der Livestream des Auftritts ist kostenlos!

Ja, das Problem sehe ich bei ASPHYX auch. Ich habe nur etwa drei Live-Streams gesehen, die mich wirklich überzeugt haben. Und sogar bei BEHEMOTH – die ja wesentlich theatralischer agieren als ASPHYX das je tun würden – hat das Publikum irgendwie gefehlt, als Nergal kurz ins “Leere” sprach. 

Wir diskutieren es halt, weil es auf die kurze Dauer keine andere Möglichkeit gibt. Aber – wenn es schon einmal in der ASPHYX-Geschichte einen Live-Stream gibt, dann wäre in der jetzigen Zeit die Gelegenheit dazu da. Und wenn es ihn dann gibt und es ist scheisse, dann wissen wir: ein Mal und nie wieder. Dann ginge es nur um die Erfahrung. Für mich würde es allerdings total blöd sein – da spreche ich in eine Kamera und die Leute sitzen irgendwo auf ihrer Couch. Das ist doof für mich, denn ich brauche die Leute. Wir als ASPHYX brauchen die Leute. Sie brauchen uns und wir brauchen sie! Ohne Leute ist es für mich keine Show. Aber wie gesagt – wir sind am Diskutieren und die Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. 

Es ist ja auch schwierig. 

Da kommt soviel auf dich zu. Wenn wir es machen, dann soll es auch für uns spassig sein. Wir wollen wieder zusammen zocken. Die neue Scheibe, ein paar Bierchen dabei – es wäre sozusagen eine professionelle Probe. Schauen wir mal.

Gibt es etwas anderes als Live-Konzerte, das du zurzeit am meisten vermisst? 

Meine Freundin, die in Paris wohnt. Dorthin kann ich momentan nicht. Normalerweise bin ich um diese Jahreszeit in Frankreich bei ihr, aber die französischen Massnahmen sind zurzeit so enorm streng, dass wir an Weihnachten ihre Eltern nicht besuchen können. Ich bin jetzt nicht der grosse Weihnachtsfan, aber ich habe dort immer wunderbare Weihnachten. Das sind tolle Menschen, die ganze Nacht wird gefressen und gesoffen und gefeiert und Spass gemacht. Es ist total lustig, es ist keine “Stille Nacht, heilige Nacht”-Weihnachtsfeier, eher das komplette Gegenteil. Das fehlt mir.

Ich kann auch nicht in meine Stammkneipe. Was ich am schlimmsten finde, ist, dass die persönliche Freiheit weg ist. Ich vermisse die totale Freiheit.

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