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ULRIKE SEROWY: Märchen sind der Goldstandard

Gerade noch “Die Festung” gelesen, dann erfahren, dass ULRIKE SEROWY mit “Highway to Hel” in die ausgedehnteren Romanweiten vorstößt. Island, auferstandene Tote (keine Angst, der Nekrophilie-Alarm kann unbestätigt bleiben) und zack auf über 300 Seiten eine Geschichte erzählen, die einen von ersten bis zur letzten Seite packt. Zeit also, wieder bei ULRIKE SEROWY vorstellig zu werden und mehr über aktuelles literarisches Schaffen zu erfahren. 

Momentan ist bei dir ja bereits dein Roman “Highway to Hel” aktuell – wie geht die Promotion dafür voran? 

Es gibt die ersten schönen Reviews, weitere folgen; ganz wichtig für die Buchpromo sind auch Lesungen, aber darauf kommen wir ja später noch zu sprechen.

Die Geschichte steht im Vordergrund

“Highway to Hel” richtet sich an ein breites Publikum, “Die Festung” war eine limitierte Kleinstveröffentlichung. Weisst du schon zu Beginn des Schreibprozesses, welche Art von Buch es wird? Gehst du dann mit anderen Gedanken an die Schreibarbeit?

Meistens ist es so: Die Geschichte steht im Vordergrund; mir kommt eine Idee und diese Idee bringt ihre Form mit. So war es bei allen Büchern und Texten bisher, von denen viele ja sehr düster, verträumt, vielleicht etwas entrückt sind.

Skogtatt”, “Wölfe vor der Stadt”, “Die Festung”, alle diese Texte sind sehr dicht, sehr auf eine Stimmung ausgerichtet, vielleicht sehr ernst, wenn man so will.

Auch sprachlich sind die älteren Texte sehr konzentriert, teilweise harsch und reduziert, mit bewussten Wiederholungen, die etwas Zwingendes, Monolithisches haben – “Skogtatt” und “Die Festung” sind ja beide stark von Black Metal inspiriert und das spiegeln die Texte und die Sprache darin auch wider.

“Highway to Hel” ist leichtherzig

„Highway to Hel“ ist dagegen ein leichtherziger, lustiger Text, bei dem es mir um die Freude am Erzählen ging, um den Spaß, den es beim Lesen macht, wenn die Figuren von einem skurrilen Abenteuer ins nächste stolpern. Das hat natürlich auch das Schreiben beeinflusst, es war mehr ein lustvolles Fabulieren, es hat mich weniger in die Schatten geführt als die anderen Texte; gleichwohl es bei „Highway to Hel“ ja auch um Tod, Sterben und die Unterwelt geht…aber eben auf amüsante Art! 

 “Die Festung” ist ja – in gewisser Art und Weise – das Resultat der Zusammenarbeit mit der Black Metal-Band BELTEZ. Würdest du einen solchen Schreibauftrag wieder annehmen oder war das für dich eine einmalige Geschichte?

Ich würde ähnliche Projekte immer wieder machen. Gerade der Austausch mit anderen Künstlern kann ein Kunstwerk besonders machen, besonders kreativ, besonders einzigartig. Wer Interesse an einem gemeinsamen Projekt hat, egal ob Musiker, visuell arbeitender Künstler oder Autor, kann sich gerne bei mir melden.

Märchen sind der Goldstandard

Vieles an “Die Festung” wirkt parabel- oder märchenhaft. Sind Märchen im Jahr 2024 noch zeitgemäss? 

Ich denke, Märchen haben eine überzeitliche Botschaft, die nicht an einen bestimmten Augenblick oder eine historische Epoche gebunden ist. Sie sind unzeitgemäß insofern, als dass sie nicht besonders modern sind, sie sind im Moment überhaupt nicht „in“.

Sie sind trotzdem sehr zeitgemäß, indem sie von Werten handeln, die uns prägen, und indem sie uns eine Kausalität von Handlungen und Ergebnis präsentieren, die viele von uns für grundlegend halten. Etwa: Wer fleißig ist, wird belohnt; wer Böses tut, wird bestraft; wer mutig in die Welt hinauszieht, wächst über sich hinaus. 

Natürlich werden diese Erwartungen oft enttäuscht, aber ich glaube doch, dass sie wichtig für unser Miteinander sind, als Goldstandard, nach dem wir irgendwie alle streben.

Außerdem verbinden Märchen uns miteinander. Wer mit den gleichen Geschichten aufwächst wie seine Mitmenschen, der kann auf Bilder, Elemente, Motive zurückgreifen, die auch andere gleich erkennen. Und es gibt wenig, das Menschen so sehr lieben, wie die Wiederholung einer alten Geschichte in einem neuen Gewand.

Momo und Minas Tirith als Inspiration

blankManchmal erinnerte mich “Die Festung” auch an das düstere “Mio, mein Mio” von Astrid Lindgren. Haben dich Geschichten aus deiner Kindheit inspiriert? Wenn ja, welche?

Für “Die Festung” kann ich keine Geschichten aus meiner Kindheit nennen, an die ich beim Schreiben bewusst gedacht habe. Aber vielleicht sind die Gezeichneten, die die Stadt unterhalb der Festung heimsuchen, die erwachsene Version der Grauen Herren aus “Momo”, die in ihrer Strenge und Gleichförmigkeit das Leben ersticken.

Eher aus meiner Jugend stammt der Einfluss, den “Der Herr der Ringe” auf “Die Festung” hatte – für mich war Minas Tirith aus der Peter Jackson-Verfilmung eine große Inspiration für die sterbende Stadt in meiner eigenen Geschichte. Diese verwehte Größe, dieses Wissen um das eigene Absterben, um das Versinken in den Nebeln der Zeit, das durch die Stadt weht, bevor der Weiße Baum wieder blüht, hat mir damals im Kino Schauer über den Rücken gejagt.

Wahre Freundschaft ohne Neid

Was macht für dich eine wahre Freundschaft aus?

Sich so nehmen, wie man ist; dem anderen wohlwollen, seine Erfolge nicht neiden, sondern sie feiern. Verlässlich sein, ehrlich sein, sich unangenehme Dinge sagen, füreinander das Korrektiv sein, dass man manchmal braucht, um in dieser merkwürdigen Welt nicht lauter Unsinn zu veranstalten.

Bis jetzt hast du dich ja vor allem Erzählungen beziehungsweise Romanen gewidmet. Denkst du auch über Ausflüge in Richtung Drama / Drehbuch nach? 

Ja, Drehbücher zu schreiben reizt mich sehr!

Wenn man “Die Festung” verfilmen würde, wer wäre deine Wunschbesetzung für “den Jüngling” und wer müsste sonst noch dabei sein? 

Am besten wäre jemand mit viel jugendlicher Energie, vielleicht jemand wie Heath Ledger, bevor er vom Joker besessen wurde. Der “Freund” steht mir nicht so klar vor Augen, aber das müsste jemand sein, der eher verhuscht und schicksalsergeben wirkt. 

Ein Schmöker, der Spass macht

Interessant. Aktuell beschäftigst du dich primär mit “Highway to Hel”. Dieser Roman ist ja wesentlich länger als deine bisherigen Bücher. Wusstest du schon bei Schreibbeginn, dass die Geschichte um Max ein größeres Projekt würde? Wenn nicht zu Beginn, wann zeichnete sich das für dich ab? 

Als mir die Idee zu “Highway to Hel” kam, war gleich klar, dass dieses Buch anders wird als meine früheren Bücher, nämlich eher ein klassischer Roman, ein Schmöker, den man genüsslich runterlesen kann. Auch dass die Geschichte länger wird, war ziemlich schnell klar.

Ich wollte ja so vieles unterbringen, was mir selbst Spaß macht: Mein Interesse an jenseitigen Themen wie Zauberei, Geisterbeschwörungen und solchen Dingen. Meine Begeisterung für Nordische Mythologie, meine Liebe zu Island…all das wollte ich in der Geschichte drin haben, die dazu noch an vier größeren Schauplätze spielt. Es hat gut geklappt und das Schreiben war ein Riesenspaß! Ich habe seitdem auch große Lust, sowas noch mal zu machen, vielleicht auch als Serie.

Zuhörer, die sich fallen lassen

Was darf für dich bei einer deiner Lesungen nicht fehlen und warum? 

Ein Publikum, das sich auf den Text einlässt – bei Lesungen kann man oft spüren, wenn sich die Zuhörer wirklich in die Geschichte fallen lassen, das ist immer wunderschön.

Im Literatursalon am 23. März

Wo bist du in nächster Zeit an Lesungen zu hören und zu sehen?

Es ist einiges geplant: Zum Beispiel werde ich auf der Buchmesse in Leipzig lesen, beim Literatursalon meines Verlags, der Edition Outbird, am 23. März 2024. Außerdem lese ich natürlich in Köln! Am 05. April gibt es ein besonderes Event im Literaturhaus, zusammen mit Ása Ástardóttir. Wir veranstalten eine Literatur meets Comedy-Show und werden der Frage nachgehen, ob Island wirklich das Tor zu Hölle ist, wie manche behaupten…

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