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ZOLA JESUS: Arkhon

Von Gothpop und Synthpop hin zum praktisch perfekten Artpop: ZOLA JESUS‘ Rückkehr mit „Arkhon“ ist atemberaubend.

Ausgebrannt, müde, verunsichert – Nika Roza Danilova, besser bekannt als ZOLA JESUS, war in einer Sackgasse. Da tat sie das einzig Richtige: Die Flucht nach vorn antreten. Zum bereits zweiten Mal. Das erste Mal, als sie sich dem Pop und einem Major zuwandte, ging es nicht gerade schief, einige erstklassige Songs schrieb sie schon, aber sie büßte mit „Taiga“ viel von dem ein, was sie ausmachte. „Okovi“, das vor fünf Jahren erschien, war dann das nahezu perfekte ZOLA JESUS-Album, eine Rückkehr zu alter Kraft und zu alter Vision, mit pathosgetränken Songs für den Dancefloor, für die Einsamkeit, für die Ewigkeit. Was sollte da noch groß kommen?

Wenig verwunderlich, dass dieses brillante Album zentnerschwer auf den Schultern der 33-jährigen Musikerin lastete. Die Folge: Eine lange Funkstille unterbrochen von hier ein paar Remixes und da einem Livealbum. Dann das Überraschende: Die ewige Eigenbrötlerin schließt sich mit Produzent Randall Dunn zusammen und heuert Drummer Matt Chamberlain an, um wieder im Pop zu wildern. Doch dieses Mal macht sie einen weiten Bogen um den Mainstream, viel mehr wirkt sie wie die Seelenverwandte von DANIEL O’SULLIVAN aka MOTHLITE. ULVEReskes Pathos im Dancefloor war gestern, jetzt sind da Popexperimente, wie gemacht für einen melancholischen Wes Anderson-Film – wenn er denn so einen drehen würde. Wie könnte das nicht zu ZOLA JESUS passen?

Die ewige Eigenbrötlerin ZOLA JESUS schließt sich mit Randall Dunn zusammen – zum Glück! „Arkon“ ist dass Ergebnis einer fruchtbaren Kollaboration.

Zehn Songs sind das Ergebnis dieser neuen Art der Komposition mit diesem veränderten Team – und sie sind ein Glücksfall. „Okovi“ Teil 2 war nicht möglich, dafür etwas anderes, das eine mutige und vielleicht auch geläuterte ZOLA JESUS zeigt. Ihr Zorn erscheint nur beim düsteren, treibenden „Sewn“, ansonsten ist da eine neue Sanftheit und Zerbrechlichkeit, die gleichzeitig ihre eine enorme Stärke darstellt. Direkter als zuvor und vor allem viel organischer wirkt die Musik. Das liegt nicht nur am Drumming, sondern auch an den ausgewählten Synthesizern, dem Sounddesign und den zahlreichen Streichern.

Der neu angesprungene Kreativitätsmonitor zeichnet sich auch dadurch aus, dass sich ZOLA JESUS in jedem der zehn Songs neu zu erfinden scheint. Mit dem treibenden, pulsierenden „Lost“ beginnt die Reise. Die Stimme, so kraftvoll wie eh und je, dazu eine Detailverliebtheit und Instrumentierung, die viel zu entdecken verspricht. Und dann die Worte: „Everyone I know is lost“ und „give me space to disappear“. Wie soll man hier nicht andocken? Das cool groovende „The Fall“ balanciert sicher zwischen Kühle und Wärme und versteckt zahlreiche Details. Nach dem etwas schroffen „Undertow“ kommt mit „Into The Wild“ der erste emotionale Hammer: Hier umgarnt Nikas unnachahmliche Stimme den Hörer, baut einen gewaltigen Spannungsbogen auf und liefert Melodien, die zu Tränen rühren.

Weniger Zorn, dafür Mut zur Zerbrechlichkeit: „Arkhon“ zeigt eine ZOLA JESUS, die gerade aus der Sanftheit ihre große Stärke zieht.

Dass ZOLA JESUS im weiteren Verlauf von „Arkhon“ die Grenze zum Kitsch noch ein paar Mal überspringt, ist mehr als verziehen. Im Gegenteil, hier darf ohne Reue diese Seite ausgelebt werden. Bestes Beispiel ist die Klavierballade „Desire“, die gerade deshalb so unter die Haut geht, weil sie so mutig diese Seite annimmt – und das ohne nur einen Funken guilty pleasure. Dass mit dem Soundtrackartigen, Streicher- und Bläsergetragenen „Dead & Gone“ und dem düster-pulsierenden „Sewn“ in der Mitte von „Arkhon“ zwei vergleichsweise schwache Songs stehen, ist locker verziehen, weil der Rest dies mühelos aufwiegt.

Gegen Ende nimmt ZOLA JESUS ihre Hörer wieder gefangen: „Fault“ ist wieder sagenhaft guter, dunkler, emotionaler Pop und „Efemra“ ist verschrobenes und leicht schräg, hat eine seltsame Melodieführung und bietet eine Bühne für die kräftige, vielschichtige Gesangsleistung von Nika Roza Danilova bietet – ein bildschönes Stück, das kantig daherkommt und erst etwas wachsen muss, bis es begeistern kann. Generell stellt sie gerade mit diesem Song einmal mehr ihr Können als kreativ experimentierende Instrumentalistin unter Beweis, mehr aber noch als Sängerin, deren Stimme wirklich alles kann: Mal kraftvoll laut und mal sanft und leise singt sie so selbstbewusst, dass sie sogar dann alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, wenn ihre Stimme im Hintergrund steht oder unter Effekten vergraben ist.

ZOLA JESUS‘ Flucht nach vorn hat sich ausgezahlt: „Arkhon“ ist wie ein wunderschöner Traum, der immer wieder geträumt werden will.

Am Ende steht da „Do That Anymore“ wie eine faszinierender Halluzination. Vermutlich reflektiert Nika mit diesem schwebenden Lied ihre Lockdown-Erfahrungen, für mich und meine Frau, mit unseren zwei kleinen Kindern sind Zeilen wie „Used to be free, Run through the streets, but it’s No use, cause We Can’t do that anymore“ geradezu Teil der Lebensrealität. So schließt das Album mit einem subtilen Finale, dessen reflektorische Kraft tief berührt. Keine 45 Minuten dauert dieses Album, das selbst für die Verhältnisse von ZOLA JESUS außerordentlich mitreißt und unter die Haut geht. Es ist von solch emotionaler und kompositorischer Tiefe, dass man sich nicht satthören mag. Wie ein wunderschöner Traum, der immer wieder geträumt werden will. Ob „Arkhon“ das beste Album ist, das ZOLA JESUS bisher geschrieben hat? Vielleicht. Hat sich ihr Wagnis ausgezahlt? Zu einhundert Prozent.

Wertung: 9 von 10 Exuvien

VÖ: 24. Juni 2022

Spielzeit: 42:03

Line-Up:
Nika Roza Danilova – Vocals, Piano, Synthesizers, Programming
Randall Dunn – Synthesizers, Programming & Sound Design
Matt Chamberlain – Drums & Percussions

Gastmusiker:
Brent Arnold – Cello
Keiko Araki – Vionlin
Joseph Berger – French Horn
Pansy Chang – Cello
Shahzad Ismaily – Bass
Shin-Young Kwon – Violin
Roberi Aiki Aubrey Lowe – modular Synthesizers
Charles Noble – Viola
Jason Schooler – Double Bass
Skúll Sverisson – Bass

Label: Sacred Bones Records

ZOLA JESUS „Arkhon“ Tacklist:

1. Lost (Official Video bei Youtube)
2. The Fall (Official Video bei Youtube)
3. Undertow
4. Into The Wild (Visualizer bei Youtube)
5. Dead & Gone
6. Sewn
7. Desire (Official Video bei Youtube)
8. Fault
9. Efemra
10. Do That Anymore

Mehr im Netz:

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