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STARBENDERS: Take Back The Night

Schmutzigen Sex, Glamour und dunklen Hedonismus bieten uns STARBENDERS auf ihrem dritten Album “Take Back The Night”, auf dem auch das “No Future” des Punk schmutzige Flecken auf dem Laken hinterlässt. Hair Metal, Glam Rock, Garage, Sleaze und FLEETWOOD MAC wühlen hier gemeinsam in den Kissen.

Was macht eigentlich der Glam-Rock? Leute, was haben wir Idealisten des guten schlechten Geschmacks, die wir unsere T-REX- und CINDERELLA-Shirts noch immer mit leidlicher Würde tragen, in letzter Zeit ertragen müssen. Da kommen so Bands wie JOHN DIVA daher und downgraden die Musik mit biederer Hartmannskost auf Fernsehgartenniveau. Billige Posen, klischeehafte Texte und Produktionen, die mehr Plastik enthalten als so mancher Hochseefisch. Auch ich hatte manchmal das Bedürfnis, mein Fönfrisuren-Toupet in die Tonne zu werfen, aus dem Ganzkörper-Latexanzug zu schlüpfen und meinem musikalisch gebildeten Freundeskreis zuzurufen: „Ihr Götzen des Kontrapunkts, ab heute bin ich einer von euch!“ Fast hätte ich mir schon so einen Pinguinfrack gekauft, wie man ihn manchmal in Konzertsälen mit Kristalllüstern sieht.

Und dann – swooosh – kommt die Rettung. Sie kommt mit übersteuerten Gitarren, mit breitbeinigen Posen, mit Mitgröhlmomenten, mit Lust, Spielfreude und Sexappeal. Nein, nicht mit Sexismus, sondern ernsthaft mit Sexappeal. STARBENDERS sind eine Band, die 2013 in einem Suburb von Atlanta/Georgia gegründet wurde. Es ist die Stadt, in der die Coca Cola Company ihren Sitz hat, Geburtsstadt von Martin Luther King: und bekannt für ihre große LGBT-Community, Austragungsort der Atlanta Pride Parade. Ein ideales Pflaster für eine Band, die mit androgynen Images spielt, mit knallenger Lederkluft posiert und mit Glitzer: Schlagzeugerin Emily Moon ist auf manchen Bandfotos ebenso oberkörperfrei zu sehen wie Gitarrist Kriss Tokaji, die Brustwarzen nur mit Tape zugeklebt, alle Bandmitglieder tragen wallende Mähnen. Schon die Bandfotos verströmen viel Star-Appeal: und eine schwüle Erotik.

STARBENDERS: von “Heavy Petting” zur Rückeroberung der Nacht

Wer wissen will, wohin es programmatisch geht, dem seien die Titel ihrer bisherigen Alben zitiert. „Heavy Petting“ hieß das Debüt von 2016, „Love Potions“ der Zweitling von 2020: Dass die Band ihre Musik als Aphrodisiakum versteht, liegt auf der Hand. Und auch der Titel des vorliegenden Albums, „Take Back The Night“, ist programmatisch zu verstehen. Es ist Musik für das nächtliche Zwielicht, für verrauchte und verschwitzte Nachtclubs, in denen sich Körper auf abgewetzten Kissen regen, Küsse und Bisse ausgetauscht werden. Würde im Berliner Kit Kat Club Rockmusik gespielt – was leider nicht der Fall ist – wäre STARBENDERS der ideale Soundtrack.

Doch darf man den Sex der STARBENDERS nicht missverstehen. Frontfrau Kimi Shelter, die auch das Songwriting in der Hand hält, versteht sich als Feministin: Und so ist ihr Sex gemischt mit Wut, Schmerz und Autorität, sammeln sich Blutspritzer auf den samtenen Kissen. Romantischen Beziehungen erteilt sie schon mal eine Abfuhr. „Ich will nicht verliebt sein/ Ich will nur deinen Sex/ Deine Tränen schmecken/ Ich will deinen Namen nicht wissen/ Ich will deine Stöße“ singt sie im zweiten Song „Sex“ drängend und fordernd. Und weiter: „Ich kenne all die Freude, die die Liebe bringt, aber ich habe genug davon“. Der dritte Song „Body Talk“ beschreibt, wie sie nachts auf Jagd geht, „Lost Boys in the Clubs“ sucht: trunken vor Liebe und blutlüstern. „Ich will fühlen, was im Inneren tot ist“. Das „No Future“ des Punk schimmert durch die glitzernde Hülle, befällt Körper, Lust und Gefühle. Mehrfach thematisiert Shelter Sucht und Depressionen, schmerzhafte biographische Erfahrungen und ihren Umgang damit: Selbstermächtigungs-Statements, deren Zwischentöne man überhören könnte.

Auf ihrem neuen Album entkleiden sich die STARBENDERS bis auf die Knochen: Sie mögen es roh, fett und manchmal ungeschliffen. Es ist eine infektiöse Mischung aus Hard Rock und Hair Metal, die zwar die 80er zitiert: „Whohoo“-Chorus im spritzigen Opener „The Game“, aber weiter zurückreicht. Es ist auch der Punk der NEW YORK DOLLS, der sich in ihrem Sound spiegelt, das nervöse Flackern der Protopunks MC5, der rotzige, wie Kaugummi auf die Straße gespuckte Rock ’n’ Roll von JOAN JETT und den RUNAWAYS. Und, wenn auch weniger präsent als auf den Vorgängeralben, die polyphonen Harmonien von FLEETWOOD MAC, die den Songs bisweilen eine sehnsuchtsvolle Melancholie verleihen. Die STARBENDERS bringen einem den Glauben an die Ideale des Glam zurück. Wenn auch nicht frei von Nostalgie, so bieten sie doch simple, aber taufrische Rock-Hymnen für Hedonisten, Strapsträger und Löwenmähnen. Dass sich Frontfrau Kimi Shelter zuweilen anhört wie die nikotinsüchtige kleine Schwester von FLEETWOOD MAC-Sängerin Stevie Nicks, ist da sicher kein Nachteil. Da verzeiht man es auch, dass sich mit der überflüssigen Coverversion von ALICE COOPERs “Poison” ein echter Totalausfall auf der Platte befindet.

„Bring Back The Night“ klingt schroffer und dunkler als der Vorgänger

Schon die ersten drei Songs des Albums, „The Game“, „Sex“ und „Body Talk“, machen deutlich, dass es die beiden Girls und Boys diesmal etwas ruppiger angehen lassen als auf dem Vorgängeralbum. Man könnte die Songs fast als Trilogie betrachten: Shelter verzichtet weitgehend auf ihre sanfte Singstimme und fordert stattdessen rau und aggressiv die Rückeroberung der Nacht. Sie faucht und knurrt, sie springt dich zuweilen an, sie singt drängend und voller Ungeduld, auch ein wenig kühl. Und sie lässt wenig Raum für Sentimentalität. Die Gitarren, tatsächlich ein wenig übersteuert klingend (was passend und angemessen ist), liefern ein ebenso schroffes Fundament wie der verzerrt pulsierende Bass und das hart im mittleren Tempo groovende Schlagzeug. Shelters Feminismus ist offensichtlich, denn es ist eine weibliche Perspektive, die hier eingenommen wird: „Es nützt nichts, Hexen zu verbrennen/ Wenn wir sterben, macht uns das doppelt so wütend/ Das Feuer brennt in deinen Augen/ Die Macht ist dein, erobere die Nacht zurück!

Ein erstes Luftholen erlaubt „We’re Not OK“, wobei auch hier der Atem noch brennt und schmerzt von der durchfeierten Nacht. Ein psychedelischer, leicht verschleppter New-Wave-Song mit schlingernden Gitarren, die an Grunge und Noise erinnern. Dann aber reichen uns STARBENDERS den Kelch und streichen uns sanft mit der Fingerkuppe über die Haut, denn „Cherry Wine“ ist eine schöne und eingängige 60s-Goth-Pop-Nummer, bei der sich LEE HAZLEWOOD und STEVIE NICKS im Unterholz begegnen. Vergifteter Wein, den man gerne trinkt.

Melodieverliebt geht es weiter mit „Seven White Horses“: Ein Song, der nun wirklich in der Sonne Kaliforniens tanzt und mit süßem Harmoniegesang tief in den Westcoast-Sound der 60er und 70er Jahre eintaucht. „Liebe wie Heroin brennt wie die Hölle/ Ich habe eine Vorliebe für Engel, die gefallen sind/ Leck mich, fick mich, lass es andauern/ Sieben weiße Pferde reiten zur schwarzen Messe“, singt Shelter. In eine ähnliche Kerbe schlägt „Marianne“: Hier klingen die vier wohl am ehesten nach FLEETWOOD MAC in ihrer goldenen Phase, wenn auch vermählt mit dem Hair Metal der 80er. „Blood Moon“ kommt mit schroffen MOTÖRHEAD-Riffs daher, „Midnight“ mit viel Atmosphäre und einem durch und durch hitverdächtigen Refrain. Mit der versöhnlichen Ballade „Say You Will“ schenken uns die Vier zum Abschluss noch eine tröstende Umarmung, damit wir die Flecken von unserer Kleidung abwischen können und den Glauben an das schönste (und schmerzhafteste) aller Gefühle nicht aufgeben müssen.

Veröffentlichungstermin: 22. September 2023
Spielzeit: 47 Min. 38 Sek.
Label: Sumerian Records

Line-up:
Kimi Shelter (Gesang und Gitarre)
Emily Moon (Schlagzeug)
Aaron Lecesne (Bass)
Chris Tokaji (Gitarre)

STARBENDERS “Take Back The Night” Tracklist

1 – The Game (Lyric-Video bei YouTube)
2 – Sex (Visualizer bei YouTube)
3 – Body Talk (Audio bei YouTube)
4 – We’re Not OK (Video bei YouTube)
5 – Cherry Wine (Audio bei YouTube)
6 – Seven White Horses
7 – The End Is Near
8 – Blood Moon (Video bei YouTube)
9 – If You Need It
10 – Marianne
11 – Poison
12 – Midnight
13 – Say You Will

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