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SANGRE DE MUERDAGO: O Xardín

In „O Xardín“ liegen Trauer und Wut, aber auch zarte Hoffnung: SANGRE DE MUERDAGO bespielen viele Emotionen auf ihrem archetypisch wirkenden, siebten Album. Dabei ist der heimliche Held in diesen 10 Stücken die Klarinette.

Es war einmal ein Garten, in dem alles Leben auf einer Ordnung basierend funktionierte. Eine gnadenlose Ordnung freilich, eine, die sich über Jahrmillionen hinweg immer neu definierte, aber stets zurück ins Gleichgewicht fand. In diesem Garten tauchte einst ein nackter Trockennasenprimat auf, der nur ein paar Intelligenzpunkte mehr besaß, als die anderen Arten, die mit ihm verwandt war

en. Dieser Bewohner krönte sich selbst und regierte wie ein Despot. Sein Gott sprach zu ihm, er solle sich die Erde untertan machen, und das tat er mit Grimm und ohne Gnade. Indem er diesen Garten scheinbar zähmte, zerstörte er ihn, in dem er diesen Garten bewirtschaftete, saugte er ihn aus. Dabei hätte der nackte Trockennasenprimat doch so viel Potenzial.

So singen wir ihm Lieder. Über das, was er zerstört, über das, was er imstande ist, zu leisten. In der Hoffnung, die Heilung voranzutreiben, bevor er sich selbst auslöscht. Wenige singen diese Lieder schöner als SANGRE DE MUERDAGO, die seit über 15 Jahren einen kleinen Teil dazu beitragen wollen, den Antagonisten dieser Weltgeschichte in Richtung des Potenzials zu lenken, das in dieser Spezies schlummert. „O Xardín“ ist somit ein introspektives Album, das nach der Wahrheit sucht. SANGRE DE MUERDAGO beobachten die menschliche Welt und denken nach, während sie singen. Wie kann dieser Wahnsinn enden, der Hass, die Ausgrenzung, die unaussprechlichen Verbrechen an unserem Planeten? Viele Lösungen wären in greifbarer Nähe, nur einzelne dieser Affen, diejenigen mit viel Macht und Geld, halten in panischer Furcht und entfesselter Wildheit fest an einer Vergangenheit, die längst tot und begraben sein müsste.

Mit üppigerer Instrumentierung erschaffen SANGRE DE MUERDAGO intensive Momente, selbst in den leisen Momenten von „O Xardín“.

Wie sollte „O Xardín“ da ein freudiges Album werden? Was muss man tun, um den Kreis aus Hass und Gier zu durchbrechen? Wir stehen kollektiv im Schwellenbereich vor zwei Türen. Die eine geöffnet, die Klauen der entfesselten „mehr-mehr-mehr“ schreienden Despoten winken und heißen kleine Teile der Trockennasenaffen willkommen, während sie den größeren Teil wahlweise ausbeuten oder draußen verhungern lassen will. Die andere Türe ist verschlossen und führt zur Heilung. „A porta“ heißt konsequent die Hörenden willkommen, ein instrumentales Stück, das mit Spieldose und Leierkasten melancholisch beginnt, sich aber im Laufe der fünf Minuten aufbaut und zu einem elegischen Tanz einlädt. Es folgt das leise, in sich gekehrte „A chave“ („Der Schlüssel“), bestehend aus Gesang, Gitarre, Nyckelharpa, Cello und Klarinette. SANGRE DE MUERDAGO lassen damit den Zauber von „Noite“ wieder aufleben und zielen mitten ins Herz.

„O que mora no lume“ („Was im Feuer verweilt“) führt dies fort. Ein leises, sehr kraftvolles Stück, das durch das Klarinettenspiel an Weichheit gewinnt. Überhaupt: Nachdem „O vento que lambe as mi​ñ​as feridas“ als Trio aufgenommen wurde und etwas roher wirkte, ist „O Xardín“ wieder üppiger arrangiert und profitiert gerade von der wundervollen Klarinette. Das erlebt man im Titelstück, das vermutlich das schönste ist, was SANGRE DE MUERDAGO je geschrieben haben. In siebeneinhalb Minuten lässt sich das Lied genügend Zeit, zunächst auf einer Gitarrenfigur mit Gesang aufzusetzen und überlässt die Melodieführung schließlich der Klarinette, die sich organisch mit Cello und Nyckelharpa umgarnt, bevor am Ende die Musik zum Tanz einlädt und in wundervollen Harmonien ausfaded. Was für ein großes, bewegendes Stück, in all seiner Subtilität. Hier darf geweint werden, vor Freude, vor Trauer, vor Trotz.

„O Xardín“ zeigt SANGRE DE MUERDAGO so introspektiv wie zu Zeiten von „Noite“, berührt aber vor allem mit ganz großen Momenten in der Mitte.

Spannung bauen SANDRE DE MUERDAGO in der Folge mit „O abisme“ („Der Abgrund“) auf, das mit dramatischen Drones aus dem Hurdy-gurdy, die mit leidenschaftlicher Stimme gepaart wurden. In der zweiten Hälfte entlädt sich diese Spannung mit ekstatischen Rhythmen und leidenschaftlichen Harmonien. Ein weiteres atemberaubendes Stück, nach welchem „O Xardín“ zur Ruhe des Anfangs zurückfindet. „A gralla“ („Die Krähe“) berührt mit seinen Texten mehr, als es die Musik schafft, auch trotz der bezaubernden Verbindung aus Gesang, Gitarre und Klarinette, mäandert aber etwas ziellos seinem Ende entgegen. Der Rest des Albums fühlt sich wie ein langes Outro an – ein schönes zwar, wie gerade das tragische „De lume e cinza“ („Von Feuer und Asche“) verdeutlicht. Ein Finale furioso, wie es die Stücke in der Mitte des Albums bieten, gibt es nicht, so gut es auch getan hätte.

Das Narrativ verlangt indes etwas anders. Denn zwischen all dem Kummer, all der Tragik und der Wut liegt ein zartes Licht, das beschützt werden muss. Statt der naheliegenden Kampfansage – immerhin ist Pablo Caamiña Ursusson ein Urgestein der galicischen Crust Punk-Szene -, wählen SANGRE DE MUERDAGO den Weg der Empathie. Die Geschichte hat uns nämlich gelehrt, dass diejenigen, die sich friedlich den repressiven Kräften entgegenstellen, die sind, die unsere Welt prägen. Und hier sind wir wieder bei der Suche nach „A chave para a porta“: Der Schlüssel liegt in der Menschheit selbst. Zeit, uns nach innen zu besinnen und den Garten neu zu bestellen.

Wertung: 8 von 10 Harken und Spaten

VÖ: 12. September 2025

Spielzeit: 48:10

Line-Up:
Georg „Xurxo“ Börner – Nyckelharpa, voice, bells
Saúl Nogareda – Cello, voice, bells
Xoel López – Clarinet, voice, pandero cuadrado de Peñaparda, bells
Pablo Caamiña Ursusson – Voice, classical guitar, hurdy-gurdy, music box, pandero cuadrado de Peñaparda, bells, pandeireta, shaker, steel string guitar.

Gastmusikerin:
Priscila da Costa – Voice („O xardín“)

Label: La Rubia Producciones / Música Máxica

SANGRE DE MUERDAGO „O Xardín“ Tracklist:

1. A porta
2. A chave
3. O que mora no lume
4. O transo
5. O xardín
6. O abismo (Official Video bei Youtube)
7. A lamia
8. A gralla
9. De lume e cinza
10. A Agulla

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