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LORD OF THE LOST: Judas

Zwei Discs, 24 Songs, 104 Minuten: “Judas” ist ein ambitioniertes Gothic / Dark Rock-Konzeptalbum, das viele Ideen hat. Weil LORD OF THE LOST aber auf die immergleichen Stilmittel setzen, bleibt das Mammutprojekt hinter seinem Potenzial zurück.

Denn sie wissen, was sie tun: Zählen wir die drei symphonischen Akustikplatten der „Swan Songs“-Reihe, haben LORD OF THE LOST in den vergangenen zwölf Jahren ganze zehn Alben veröffentlicht. Das können wir produktiv nennen oder fleißig – in jedem Fall ist es beachtlich, wie konstant die Hamburger neues Material unters Volk bringen. „Judas“ setzt dem Ganzen nun die dornenbewehrte Krone auf. Ein Konzeptalbum über den Kampf zwischen Gut und Böse aus Sicht des namengebenden Judas Iskarioth, dessen Geschichte sich über zwei Discs, 24 Songs und rund 104 Minuten Musik erstreckt. Das klingt nach einer Mammutaufgabe und doch irgendwie genau nach dem Metier der Gothic / Dark Rock-Band.

Das thematische Spannungsfeld, dem sich „Judas“ hingibt, ist ja auch wie ein gefundenes Fressen für LORD OF THE LOST, die mit dunkler Ästhetik, berührenden Melodien und härteren Ausbrüchen stets für ein hohes Maß an Dynamik gesorgt haben. Insofern trifft der Opener „Priest“ ins Schwarze. Donnernde Percussions heißen uns willkommen und lassen uns umgehend wissen, dass hier irgendetwas am Brodeln ist. Chris Harms‘ tiefe Stimme führt uns durch das Dunkel, während sich im Hintergrund immer mehr Instrumente aus dem Schatten schälen und in einem fast schon erhabenen Refrain kulminieren.

LORD OF THE LOST nehmen ihre härtere Seite weitgehend an die Leine

Mit Dramatik, Theatralik sowie einem packenden Duell von Chorgesängen und Screams spinnt „For They Know Not What They Do“ die eindringliche Klangkulisse weiter, bevor „Your Star Has Led You Astray“ erstmals die für LORD OF THE LOST so typische Melancholie durchscheinen lässt. Im Midtempo fühlt sich die Band schon immer ausgesprochen Wohl – vielleicht sogar zu sehr, wie das Faible des Quintetts für schwermütige Halbballaden auf „Judas“ zur Schau stellt.

Zwar entwickelt “Born With A Broken Heart” im ersten Drittel des Doppelalbums noch eine spannende Dynamik, indem es hymnische Gesangslinien mit Chören, Piano und Metal-Spitzen vermählt. Bald darauf nehmen LORD OF THE LOST ihre härtere Seite aber an die Leine, widmen sich stattdessen fast vollumfänglich Melancholie und Wehmut. Dass die Formation die ruhigen Töne ausgezeichnet beherrscht, ist hinlänglich bekannt und unterstreichen Kompositionen wie „Death Is Just A Kiss Away“ oder die Ballade „In The Field Of Blood“ mit ihrem federleichten Piano nur zu gut.

“Judas” hat viele Ideen, die aber oftmals alleine keine Songs tragen können

Nichtsdestotrotz verliert sich „Judas“ im Weiteren immer mehr in diesem Trott zwischen Konsternation und Melancholie, was das Werk als Gesamtes zusehends gleichförmig werden lässt. Es ist ja nicht so, als hätten LORD OF THE LOST keine Ideen mehr: „The Heart Is A Traitor“ webt etwas Industrial ein, während „Be Still And Know“ als Instrumentalstück durchaus mit einem ergreifenden Gitarrensolo punkten kann. Dazwischen verlässt sich die Band aber immer wieder auf solide Ideen, die alleine aber keine kompletten Songs tragen können: „The 13th“ ist so ein Fall, der mit coolen 80s Synthesizern aufwartet, aber sich zu sehr in repetitiven Strukturen verliert.

Dieser Makel macht sich besonders in der zweiten Hälfte von „Judas“ bemerkbar, wo LORD OF THE LOST in „Argent“ einerseits noch stärker auf die 80er setzen – und zwar bis hin zum hallenden Drum-Sound -, dabei jedoch die Dramatik komplett auf der Strecke lassen.

Leider setzen LORD OF THE LOST zu oft auf die immergleichen Stilmittel

Natürlich hat auch das zweite Kapitel seine Höhepunkte: Der stampfende Rhythmus von „Viva Vendetta“ trifft auf ein verspieltes Piano, bevor „The Heartbeat of the Devil“ die Verschmelzung von Neonlichtern und schwermütigem Dark Rock schließlich doch geradezu spielend meistert. Dazwischen begegnet uns jedoch zu viel Leerlauf. Es fehlen Tempowechsel, es fehlt Dynamik – auch weil „Judas“ zu oft auf simple Rhythmik setzt und allein den durchaus charismatischen Gesang ins Scheinwerferlicht rückt („My Constellation“).

Bedauernswert ist das vor allem, weil LORD OF THE LOST für „Judas“ im Grunde nicht einen einzigen schlechten Song geschrieben haben. Als Gesamtwerk verlassen sich die 24 Kompositionen allerdings zu stark auf die immergleichen Stilmittel, wodurch der Spannungsverlauf schon bald nach der Hälfte zusehends abebbt. Hätte es also ein Doppelalbum sein müssen? Wahrscheinlich nicht, auch wenn oben im Norden die Schublade für Songideen dann endgültig überquellen müsste.

Veröffentlichungstermin: 02.07.2021

Spielzeit: 50:16 / 53:05

Line-Up

Chris Harms – Vocals, Guitars
Pi – Guitars
Class Grenayde – Bass
Gared Dirge – Piano, Synthesizer, Percussion
Niklas Kahl – Drums, Percussion

Produziert von Bengt Jaeschke, Chris Harms und Benjamin Lawrenz

Label: Napalm Records

Homepage: https://www.lordofthelost.de/
Facebook: https://www.facebook.com/lordofthelost/

LORD OF THE LOST “Judas” Tracklist

CD1: Damnation

1. Priest (Video bei YouTube)
2. For They Know Not What They Do (Video bei YouTube)
3. Your Star Has Led You Astray
4. Born with a Broken Heart
5. The 13th
6. In the Field of Blood
7. 2000 Years a Pyre
8. Death Is Just a Kiss Away
9. The Heart Is a Traitor
10. Euphoria
11. Be Still and Know
12. The Death of All Colours (Video bei YouTube)

CD2: Salvation

1. The Gospel of Judas
2. Viva Vendetta
3. Argent
4. The Heartbeat of the Devil
5. And it Was Night
6. My Constellation
7. The Ashes of Flowers
8. Iskarioth
9. A War Within
10. A World where We Belong
11. Apokatastasis
12. Work of Salvation

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