Der Progressive Metal hat das gleiche Problem wie der Punk: Wenn er beginnt sich zu wiederholen, verliert er seine Originalität, ja, seine Eigenständigkeit. DREAM THEATER haben den Progressive Metal mit ihren ersten beiden Alben maßgeblich geprägt und mit „Metropolis, Pt. 2: Scenes From a Memory“ einige alte und noch mehr neue Fans begeistert. Seither ist die Band in konstanter Bewegung. Album, Tour, Album, Tour usw. Selbst der Ausstieg von Mike Portnoy 2010 bremste die Band nicht nennenswert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Könige des Progressive Metal nach der Rückkehr ihres Gründungsschlagzeugers ganz konservativ da weitermachen, wo sie 2009 aufgehört haben – ausladend arrangiert, präzise umgesetzt und kompromisslos stiltreu.
DREAM THEATER erzählen Schauergeschichten
Musikalisch knüpft „Parasomnia“ nahtlos an „Black Clouds & Silver Linings“ an. Das neue Album gehört zweifellos zu den düsteren in der Band-Discographie. Fans von „Train of Thought“ können blind zugreifen. Textlich erzählt die Band von nächtlichen Schauergeschichten. Auch wenn es im Bandnamen um Träume geht, wirken die Texte sperrig und bekommen durch James LaBries Gesang auch keine weitere Tiefe. Freilich gibt es ja bereits ein Progressive-Metal-Album über nächtliche Erlebnisse: FATES WARNING haben mit „A Pleasant Shade of Gray“ die Stimmung des Themas musikalisch wie textlich ungleich fesselnder umgesetzt. Dass auch „Parasomnia“ mit einem Weckerklingeln endet, ist dabei sicher ein freundschaftlicher Gruß in Richtung Jim Matheos.
Wer Progressivität im Sinne von Veränderungsbereitschaft sucht, muss sich woanders umhören
Nach Portnoys Weggang hatten DREAM THEATER bisweilen eine neue Frische („Breaking All Illusions“) und zuletzt auch Kompaktheit („Distance Over Time“). „Parasomnia“ ist hingegen eine Rückkehr zu den Kernkompetenzen der Band. Es gibt dabei etwas mehr schwere Riffs und Heaviness als zuletzt. Dass es bei „Midnight Messiah“ nach Ewigkeiten mal wieder einen Speed-Metal-Refrain gibt, befriedigt mich als Alt-Fan nicht nennenswert. Vielmehr gefällt mir überraschenderweise „Bend the Clock“ mit seiner ruhigen, fast schon balladesken Grundstimmung am besten.
Und obgleich mich das Songwriting nur noch selten begeistert, hat der DREAM-THEATER-Bandsound 30 Jahre nachdem ich die Band kennen und ihre Musik lieben lernte, immer noch etwas Vertrautes. Die Magie der ersten beiden Alben fehlt freilich einmal mehr – und wer Progressivität im Sinne von Veränderungsbereitschaft sucht, sollte sich lieber mit FATES WARNING oder PAIN OF SALVATION beschäftigten.
„Parasomnia“ bietet reichlich ansprechende Musik mit allen Trademarks
Wenn DREAM THEATER nun Altbewährtes präsentieren, hat das einen anderen Reiz. Wie schon beim Live-Konzert letztes Jahr setzen DREAM THEATER auf Kontinuität und liefern genau das ab, was man erwartet, wenn man die letzten DREAM-THEATER-Alben mit Portnoy als Ausgangspunkt nimmt. Für die entsprechenden Fans wie auch für alle, die erst kürzlich auf die Band gestoßen sind, bietet „Parasomnia“ reichlich ansprechende Musik mit allen Trademarks, seien es filigrane Flinkefingergitarrensoli, ausufernde Tom-Läufe in den Breaks oder virtuose Keyboard-Einwürfe. Die Bandchemie wurde ausgezeichnet eingefangen.
Die Arrangements geben allen Musikern reichlich Raum zur Entfaltung, wobei langsame Songaufbauten die Stücke mehr in die Länge ziehen als instrumentale Kunststücke. Letztere gibt es selbstverständlich immer noch in ausreichender Menge. Doch schon der instrumentale Opener „In the Arms of Morpheus“ konzentriert sich klar auf den Stimmungsaufbau (mit ein paar 90er-Zitaten) statt auf opulente Solo-Eskapaden. Im Mittelpunkt des Songwritings stehen die Gitarren und das Schlagzeug. Der Gesang lockert das Geschehen zwischendurch ein wenig auf und die Keyboards verleihen dem Klangbild Tiefe. Somit werden sich die neuen Stücke nahtlos ins aktuelle Live-Programm einfügen.
Veröffentlichungsdatum: 07.02.2025
Spielzeit: 71:16
Line-Up:
James LaBrie: Gesang
John Petrucci: Gitarre
John Myung: Bass
Jordan Rudess: Keyboard
Mike Portnoy: Schlagzeug
Label: Inside Out
Homepage: dreamtheater.net
DREAM THEATER „Parasomnia“ Tracklist
In The Arms Of Morpheus (5:22)
Night Terror (9:55) (Video bei YouTube)
A Broken Man (8:30) (Visualizer bei YouTube)
Dead Asleep (11:06)
Midnight Messiah (7:58) (Video bei YouTube)
Are We Dreaming? (1:28)
Bend The Clock (7:24)
The Shadow Man Incident (19:30)