BETWEEN THE BURIED AND ME: The Silent Circus

Bei den ganzen Stilmischmaschen, die heute erlaubt sind, braucht der Musikfreund wirklich nicht mehr viele Bands und Scheiben zu kennen. Diese ist Pflicht.

Wenn mir wieder jemand erzählt, dass gegrilltes Suppenfleisch das Schwerverdaulichste dieser Erde ist, dann haue ich ihm eine rein. Erstens grillen nur Trottel sowas und zweitens haben diese Leute wohl noch nie was von BETWEEN THE BURIED AND ME aus North Carolina gehört. Die Jungs haben nicht nur mein Debüt-Album 2002, sondern auch das Album überhaupt abgeliefert, da sind die Erwartungen natürlich extrem hoch und die Überraschung war umso größer, dass die Newcomer bereits nach anderthalb Jahren auf Victory ihr Zweitwerk veröffentlichen. Das sind Gründe, die andeuten könnten, dass sie zu einer typischen Metalcore-Band verkommen hätten können, doch mein Orakel hat glücklicherweise nicht immer recht.

Stattdessen haut das Quintett aus den Staaten um sich, als wären Oliver Kahn die Weiber ausgegangen. Ihr absolut kranker und wüster Stilmischmasch aus CEPHALIC CARNAGE, CRYPTOPSY, HATEBREED, MESHUGGAH, BOTCH, AT THE GATES, EYEHATEGOD, OPETH, neuerdings sogar SATYRICON und COLDPLAY und vielen mehr ist nun wahrlich nichts für Zartbesaitete, für Suchende aber essentiell. So beginnt der stille Zirkus mit verdrehtem Geknüppel im Song Lost Perfection – Coulrophobia, bis sich ein paar Takte später ein Mitklatsch-Part einfindet, der in ein erstklassiges Slugderiff mündet. So wird munter weitergemacht, in der Hoffnung, dass kein Zuhörer mehr durchblickt, was vor allem bei den fiesen, äußerst kurz eingesetzten Harmonien äußerst verstörend wirkt. Es macht einfach Spaß.

Der Song, der am meisten mitreißen kann ist allerdings Mordecai, denn hier wird die gesamte Bandbreite der Band aufs Eindrucksvollste präsentiert. Zu Beginn wird noch herumgebotcht, bis die entscheidende Wendung eintrifft und sich der Song in einen erhabenen, aber zerbrechlichen Höhepunkt wandelt, als vorwärtstreibende Drums und ebensolche Riffs den Song in Richtung härterer OPETH verwandeln und das Chaos für ein paar Minuten vergessen zu machen. Denn hier wird konsequent weiter in Richtung der schwedischen Avantgardisten gearbeitet und ein wunderschön ruhiger und unglaublich dramatischer Höhepunkt mitsamt genialem Gesang angestrebt. Nach diesem musikalischen Seelenstriptease folgen zwei kurze Abstecher in Pop- bzw. Emogefilde, die nicht unbedingt Sahne, aber auf die gesamte Länge des Album gesehen mehr als notwendig sind, denn nach diesem Abstecher macht die Band weiter mit dem langen und brutalen, aber eingängigem Ad a dglgmut, das auch einen genialen Mittelteil beinhaltet, dem schwarzmetallisch angehauchtem Destructo Spin und den beiden typisch kranken abschließenden Tracks. Besonders letzter hört wieder mit einem genialen Wink in Richtung Morningrise auf und bietet noch einen höchst debilen, aber unglaublich witzigen Hidden Track zum Abschluss.

Dass hier starke Nerven von Nöten sind ist alleine schon beim bloßen Versuch sich dies vorzustellen klar, doch auf Scheibe ist dies nochmal um 100 % verschärft. Man kann den Musikern gerne vorwerfen, dass sie sowas nur aufziehen um sich zu profilieren und ich kann es den Gegnern von BETWEEN THE BURIED AND ME gar nicht verdenken, andererseits folgt hier eine Band nur ihrem verdammten Sturschädel. Allen voran die Klampfer, die sich alle Nase lang was komplett anderes aus dem Ärmel schütteln und für diese Scheibe wohl mehr als 100 Riffs verschwendet haben. Auch der neue Schlagzeuger Mark Castillo steht seinem in die seichte Pop-Liga abgestiegenem Vorgänger William in nichts nach. Gut, die Blast-Beats und Double-Bass könnten schneller sein, aber zu sehr fällt das auch nicht ins Gewicht. Außerdem ist Tommy Rogers Stimme im letzten Jahr genug gewachsen, um mit großer Variablität, erfreulicherweise sogar in den cleanen Parts, alle Kriterien zu erfüllen. Genießen kann man die Musik durchaus, solange man nicht versucht sie krampfhaft zu erklären, oder irgendwas hinein zu interpretieren. BETWEEN THE BURIED AND ME haben einfach ihren ureigenen Sinn für Humor – wer käme sonst auf die Idee den abschließenden Song The Need for Repitition zu nennen – und ihren eigenen, zusammengeklauten Stil.

Bei den ganzen Stilmischmaschen, die heute erlaubt sind, braucht der Musikfreund wirklich nicht mehr viele Bands und Scheiben zu kennen. BETWEEN THE BURIED AND ME mit ihren unzähligen verarbeiteten Richtungen zählen allerdings zu denen, die in den Plattenschrank müssen, selbst wenn The Silent Circus nicht an das Debüt heranreichen kann. Irgendwie fehlen mir ein wenig die aufbauenden Elemente und der Überraschungseffekt von Between the Buried and Me. Nichtsdestotrotz ist dem Quintett aus North Carolina hier ein geniales zweites Album mitsamt einer dicken Produktion von Matthew Ellhard (der auch Jane Doe von CONVERGE veredelte) geglückt, das beweist, dass diese Band keine Eintagsfliege ist, dass auch von Victory schräger Sound kommen kann (BLOODLET mal außen vor gelassen) und dass sich derart abstruse Kunst durchsetzt. Früher oder später.

VÖ: 21. Oktober 2003

Spielzeit: 52:49 Min.

Line-Up:
Tommy Rogers – Vocals, Keyboards

Nick Fletcher – Guitar

Paul Waggoner – Guitar

Jason King – Bass

Mark Castillo – Drums

Produziert von BETWEEN THE BURIED AND ME & Matthew Ellard
Label: Victory Records

Homepage: http://www.betweentheburiedandme.com

Email: betweentheburied@hotmail.com

Tracklist:
1. Lost Perfection

a) Coulrophobia

2. b) Anablephobia

3. Camilla Rhodes

4. Mordecai

5. Reaction

6. (Shevanel Take 2)

7. Ad a dglgmut

8. Destructo Spin

9. Aesthetic

10. The Need for Repetition

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