Alles auf Anfang: Genau hier waren wir doch schon einmal, als wir unseren Gedanken Struktur verleihen wollten. Aber wie schon vor vier Jahren mit „Colors II“ (2021) und eigentlich jedes Mal, wenn BETWEEN THE BURIED AND ME ihren jüngsten Spross in die Welt entsenden, verlieren wir auch hier zunächst einmal den Überblick. Als irrten wir durch endlose Korridore, hinter deren Türen sich stets weitere Abzweigungen und Wirrungen verbergen. Ein Bild, das wie die Faust aufs Auge passt, spielt „The Blue Nowhere“ doch im namengebenden, fiktiven Hotel.
Ein Konzeptalbum, das aber keinem expliziten Konzept folgt, sondern einem Gefühl nachjagt: Es gehe auch um das menschliche Dasein, dessen man sich oft in der Einsamkeit bewusstwerde, so Sänger Tommy Rogers. Jenseits der verschachtelten Korridore und Räume jedenfalls erwartet uns ein Kuriositätenkabinett der Kreativität.
BETWEEN THE BURIED AND ME haben auf „The Blue Nowhere“ nichts von ihrem Einfallsreichtum verloren
Dass BETWEEN THE BURIED AND ME auch ohne Gitarrist Dustie Waring nichts von ihrem Einfallsreichtum verloren haben, offenbart der beinahe kauzige Auftakt „Things We Tell Ourselves In The Dark“, wo die Band auf unverkrampfte Weise mit funkigen Rhythmen hantiert, mit 70er Prog-Vibes spielt, hier und da ein paar 80s-Drums einstreut und selbstverständlich auch kurze Ausflüge ins Extreme wagt. Kurzum, weiterhin ist alles möglich.
Das führt das experimentelle „God Terror“ sodann fort, wo die Industrial-Note zur Hälfte frenetischen Synthesizern Platz macht, welche Frontmann Tommy Rogers als Spielwiese für allerlei stimmliche Akrobatik dienen. Mike Patton als Pate? Wir könnten es uns jedenfalls durchaus vorstellen.
Grenzen setzen sich BETWEEN THE BURIED AND ME auch weiterhin nicht
Bei so viel Sturm und Drang – man mag es angesichts der bereits elften Studioplatte kaum glauben – freuen wir uns dennoch darüber, dass die US-Amerikaner in „Psychomanteum“ und „Absent Thereafter“ ihre klassische Handschrift durchscheinen lassen. Wobei das natürlich relativ ist, denn selbst ein „konservativer“ BETWEEN THE BURIED AND ME-Track sprüht vor Vielfalt und verwebt in letztgenanntem etwa kurze Big-Band-Akzente mit technischen Riffs, getragen-melancholischen Gesangslinien und einem gefühlvollen Gitarrensolo. Dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Halbzeitmarke des Stücks erreicht haben und noch ein Ausflug in Richtung Bluegrass folgen soll, spricht wohl Bände.
Müssten wir „The Blue Nowhere“ irgendwo im Bandkosmos einordnen, sähen wir das Album wohl häufig in der großzügigen Schnittmenge von „Coma Ecliptic“ (2015) und „The Parallax II: Future Sequence“ (2012) in den härteren Passagen, wobei ab und an auch mal ein bisschen „Colors“ (2007) hervorblitzen darf. Am deutlichsten zeigt sich das im fantastischen „Psychomanteum“ und doch sollten wir derlei Eckpfeiler grundsätzlich bestenfalls zur groben Orientierung heranziehen, da sich BETWEEN THE BURIED AND ME weiterhin keinerlei Grenzen setzen.
Seine stolze Länge merkt man „The Blue Nowhere“ nicht an
So lässt sich das ulkige Interlude „Mirador Uncoil“ nur schwer in Worte fassen, bevor wenig später der Titeltrack wohl mit der größten Überraschung des Albums aufwartet. Wenn man nahezu jede Ecke des Raumes schon abgegrast hat, bleibt am Ende eigentlich nur die Tür direkt vor der Nase: Und dann ist es ja eigentlich nicht nur konsequent, sondern ironischerweise sogar progressiv, sich an einer geradlinigen Altpop- / Rock-Nummer zu versuchen. Man mag vielleicht anfangs die Nase rümpfen, doch nach dem Wechselbad des Elfeinhalbminüters „Slow Paranoia“ ist ein wenig Seelenbalsam genau das Richtige.
Zumal uns hier so langsam eine weitere bemerkenswerte Stärke des Werks dämmert: Seine stolze Länge von 71 Minuten merken wir „The Blue Nowhere“ nicht im Geringsten an. Aufgrund der vielen Wendungen, aufgrund des Ideenreichtums und aufgrund der spieltechnischen Meisterleistung, die mittlerweile auf jahrzehntelange Erfahrung trifft, fesseln uns BETWEEN THE BURIED AND ME an den Kopfhörer und sei das Dargebotene auch noch so fordernd.
Einmal eingecheckt, lässt einen „The Blue Nowhere“ nicht so schnell los
Verpassen wollen wir nicht eine der Noten, die selbst in „Beautifully Human“ teils vertraut und doch frisch und neu klingen. Verbirgt sich hier sogar ein klitzekleiner Querverweis auf den „Colors“-Schluss „White Walls“? Vielleicht müssen wir nochmal genauer hinhören und darüber hinaus herausfinden, was sich hinter den zahllosen Türen des „Blue Nowhere“ noch so an Eastereggs verbirgt. Und so stehen wir einmal mehr am Anfang, den Check-in gerade hinter uns. Doch wann wir dieses unergründliche Hotel letztendlich verlassen werden, können wir bestenfalls erahnen.
Veröffentlichungstermin: 12.09.2025
Spielzeit: 71:20
Line-Up
Tommy Rogers – Vocals, Keyboards
Paul Waggoner – Gitarre, Akustikgitarre
Dan Briggs – Bass, Bass Synthesizer
Blake Richardson – Drums, Percussion
Produziert von BETWEEN THE BURIED AND ME, Jamie King, Jens Bogren (Mix) und Tony Lindgren (Mastering)
Label: InsideOut Music
Homepage: https://www.betweentheburiedandme.com/
Facebook: https://www.facebook.com/BTBAMofficial/
Instagram: https://www.instagram.com/btbamofficial
Bandcamp: https://btbam.bandcamp.com
BETWEEN THE BURIED AND ME “The Blue Nowhere” Tracklist
- Things We Tell Ourselves In The Dark (Stream & Video)
- God Terror
- Absent Thereafter (Video bei YouTube)
- Pause
- Door #3
- Mirador Uncoil
- Psychomanteum
- Slow Paranoia
- The Blue Nowhere (Video bei YouTube)
- Beautifully Human