Der Edelspießer. Eine Betrachtung

Die Welt ist nicht nur bevölkert von Menschen, deren physische wie auch psychische Anwesenheit ebensolche Schmerzen bereitet, nein, es gibt auch noch Spießer. Aber darum geht es gar nicht.

Die Welt ist nicht nur bevölkert von Menschen, deren physische wie auch psychische Anwesenheit ebensolche Schmerzen bereitet, nein, es gibt auch noch Spießer. Der gemeine Spießer zeichnet sich dadurch aus, daß er keiner sein möchte; jeder ist Spießer. Diese Gattung Mensch kennzeichnet weiterhin eine besondere Identifizierungstreue mit ihrer gesamten Umwelt, denn sie ist mit ihr identisch; der Spießer fällt nicht auf und will das auch nicht. Er lebt konventionell, ist in seinem Leben zufrieden und behelligt mit diesem Empfinden nicht einmal die, die manche liebevoll „Mitmenschen“ nennen.

Spießer sind durchweg sympathisch – solange sie nicht den Weg des Nicht-Spießers kreuzen, aber das ist hier nicht wichtig. Was wichtig ist, ist die Existenz einer weiteren Subkultur der modernen, nein: post-modernen Weltgeschichte: der Edelspießer. Der Edelspießer will ebenfalls keiner sein, verspürt aber den offenbar instinktiven Drang, dies sich und der gesamten Umwelt permanent mitzuteilen. Mit letzterer identifiziert er sich dabei nur dann, wenn er sich im Vollsuff befindet, was am Wochenende geschieht: „In der Woche trinke ich nicht“, sagt er freundlich lächelnd und glotzt sein Gegenüber dabei mit genau der Mischung aus Großkotz und Selbstverleugnung an, die beim des Denkens mächtigen Menschen Übelkeit, Mitleid und gelegentlich verloren geglaubte Schlägerinstinkte auslöst. Man lächelt dennoch höflich zurück, trinkt, was man hat, und wendet sich ab, schaudernd.

Der Edelspießer kennt also das Wort „Spießer“ und verleugnet damit seine Existenz. Im Spiegel sieht er sich an, am Freitag abend, nach stundenlanger Arbeit, und begutachtet sein vor Haargel glänzendes Werk: den Draufgänger, den Rebell, den wahren König der Straße. „…denn sie wissen nicht, was sie tun“, kommt einem in den Sinn, verkommt aber schnell zur Bedeutungslosigkeit, wenn der Edelspießer sein Auto anschmeißt: jene mit zahlreichen „subversiven“ Aufklebern verzierte kleine Möhre, vor der ihn nie jemand gewarnt hat; er quält den altersschwachen Motor dieses Fahrzeugs sogar, um damit Brötchen zu holen oder den Leserbrief an „Visions“ wegzubringen, denn Fahrrad fahren ist out und wer exakt an seinem achtzehnten Geburtstag noch keinen Führerschein hat, ist kein Mann und treibt es auch mit kleinen Kindern. Das Motto des Edelspießers hingegen ist „Ride the fire“, und er reitet es: laut, ordinär und gänzlich inhaltslos dröhnt die Musik aus den Boxen, penetriert das wissende Ohr und hinterläßt zwar keine bleibenden Schäden, dafür aber wachsendes Unverständnis über soviel sinnfreie akustische Umweltverschmutzung. Rock´n´Roll ist das nicht, höchstens das, was der „Rolling Stone“ und EMI dafür halten; weil der Edelspießer aber auch Anleitung und deshalb Meinungsführer braucht, hält auch er diesen Blödsinn für Rockmusik und befindet sich damit genau in dem Marktsegment, das Leute wie Markus Kavka davon abhält, ihr Geld durch Drogenhandel zu verdienen. Er tut damit was für die Gesellschaft, immerhin, denn ansonsten hält er politisches Engagement für Arbeit, „die andere besser können“ und geht alle paar Jahre mal auf Friedensdemos, weil das alle machen und er halt kein Spießer ist.

Soweit, so gut. Was aber tut man nun mit dieser Sorte Mensch. Sie zu ignorieren ist nicht möglich, da der Edelspießer jedem die Hand gibt, der nur einen kurzen Augenblick in seine Richtung geschielt hat, weil er – berechtigterweise – zunächst dachte, die in seinen Kniekehlen auf halb acht hängende Hose sei dort aus Versehen hingelangt. Ist sie aber nicht. Daraufhin setzt der Edelspießer eine Waffe ein, die fies ist: das Penetrierungsmaschinengewehr. Zunächst der Blick und das oben schon erwähnte entweder haifischartige oder großkotzige Grinsen; dann der Blick des Rezipienten, der die Boxershorts des Edelspießers entdeckt und schreien möchte; dann der kräftig oder auch lässige Händedruck, meist schwitzig; nun Wörter wie „Hey, Mann“ oder „Alter, wie geht´s?“; und abschließend, sofern die sexuellen Präferenzen stimmen, der Balztanz.

Es gibt nichts, was zu tun ist mit oder gegen den Edelspießer. Der erste aber, der in einer sich „alternativ“ schimpfenden Kneipe bei den Klängen des aktuellen „Visions“-Samplers dem hüpfenden Edelspießer die Boxershorts auf Fußhöhe bringt, verdient sich die Neil Young-Ehrennadel für bemerkenswerten Einsatz im Kampf gegen Spießertum und Hippiemist. Zum Wohl.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner