LOCRIAN: Ghost Frontiers [EP]

Mehr als nur eine Bonus-EP: „Ghost Frontiers“ bringt tiefere Erkenntnis zu „New Catastrophism“ und steigert dank getriggertem Reflexionprozess die Intensität von LOCRIANs Musik zusätzlich.

New Catastrophism“ ist die eine Seite von LOCRIAN anno 2022, „Ghost Frontiers“ ist die andere. Ein Gegenentwurf dazu ist sie allerdings nicht, viel mehr eine Erweiterung, eine Meditation über die Schwelle, an der die Menschheit steht. Zwei Tracks, die insgesamt eine halbe Stunde umfassen und organisch-elektronische Soundscapes bilden, lassen tief in den Abgrund eintauchen. „Ghost Frontiers“ sucht Frieden im Unausweichlichen, ist gleichzeitig gefangen in der Schwärze, lässt aber auch irgendwo Licht sehen.

Ein tiefer Blick in den Abgrund: „Ghost Frontiers“ lässt LOCRIAN vereinzelt Licht in der Schwärze finden.

Die zwei Tracks wirken wie ein großes Stück, dessen zweite Hälfte rückwärts abgespielt wurde. Als würde sich das Morgen mit dem Gestern vermischen, sprengen LOCRIAN hier eher spirituelle als musikalische Grenzen. Oder anders gesagt: Während „New Catastrophism“ als eine Brücke zwischen Ratio und Gefühl ist und Erkenntnisse generiert, lädt „Ghost Frontiers“ zur Reflexion ein. Dadurch, dass beide Stücke genau 15 Minuten und 22 Sekunden dauern, entfaltet sich im inneren Auge die Abstraktion einer brach liegenden Welt. Ich habe den alten Tron-Film vor Augen, mit seinen dunklen, protodigitaten Gittern, in dem nach einigen Minuten bildschöne Synthesizer wie neonfarbene Sprenkel aufblitzen.

Mit „The Chasm of The Future“ wiederholt sich dieser Aufbau. Die beiden Stücke klingen, als wären sie gegeneinander gespiegelt worden – einen Hinweis darauf gibt auch die Tracklist auf der CD, die den Titel des Stücks gespiegelt zeigt. So erzeugen LOCRIAN im Kleinen wie im Großen Klangwellen, die sich durch das Bewusstsein der Rezipienten graben und dafür sorgen, dass die durch „New Catastrophism“ aufgebaute emotionale Anspannung in den Körper einsickern darf. Eine klassische Bandbesetzung gibt es hier nicht zu hören, hier spielen nur elektronische Elemente, die einen nahezu meditativen Zustand auslösen. Auch wenn diese beiden Ambientstücke wie ein Bonus zu dem Album wirken, um neben der intellektuellen und emotionalen Ebene auch die spirituelle Ebene zu erfassen, sind sie von hoher Bedeutung – das Album wäre ohne diese beiden Stücke nicht vollständig.

Mit „Ghost Frontiers“ sprengen LOCRIAN spirituelle Grenzen und vervollständigt „New Catastrophism“.

LOCRIANs Mission ist nach wie vor klar. Sie erschaffen Mahnmale, eben weil auch sie sich dem gegenüber machtlos fühlen, was unser aller Existenz bedroht. Dabei sind sie künstlerisch nach der Drone-Phase der ersten Jahre und der bandorientierten Phase ab dem Einstieg von Steven Hess in ihrem dritten Stadium angelangt. Fern einer Drone-Band, fern einer Rockband. Die Dunkelheit, in die LOCRIAN eintauchen, ist zu weiten Teilen bedrückend, doch es gibt immer wieder Licht. Und gerade durch das eben geisterhafte „Ghost Frontiers“, das die Hörer wie einer von Charles Dickens‘ Weihnachtsgeister heimsucht, gerät diese Musik zur prophetischen Kunst. Und dazu, dass alles weitergehen wird – mit uns, oder ohne uns. Ob wir noch die Wahl haben?

VÖ: 12. August 2022

Spielzeit: 30:44

Line-Up:
André Foisy – Guitar, Bass, Electronics, 12-String Acoustic Guitar
Terence Hannum – Vocals, Lyrics, Synthesizers, Drum Machine, Bowed Metal
Steven Hess – Drums, Electronics, Pump Organ

Label: Profound Lore Records

LOCRIAN „Ghost Frontiers EP“ Tracklist:

1. Witness The Collapse Of Geologic Time
2. The Chasm Of The Future

Mehr im Netz:

https://locrian.bandcamp.com/
https://www.instagram.com/locrianofficial/
https://www.facebook.com/LocrianOfficial

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